Emma

Es war Gerrit Grass´ Geburtstag - und eigentlich hatten seine Kollegen damit gerechnet, dass er sich den Tag frei nehmen würde. Doch er war wie immer zur Arbeit gekommen. Alex und Michael waren erstaunt. Alex fragte: “Nimmst du dir denn heute nicht frei?” Gerrit verzog den Mund und schüttelte den Kopf: “Was soll ich denn zu Hause.. Da fällt mir ja nur die Decke auf den Kopf.. Außerdem sind Geburtstage nicht gerade meine Lieblingstage.. Und jeder kommt mit Geschenken an.. Nee, lass mal.” Das war untertrieben; er hasste Geburtstage - jedenfalls seine eigenen.. Alex und Michael blickten sich verschmitzt an. Dann holten sie beinahe zeitgleich ihre Geschenke raus. Gerrit zog die Auenbrauen hoch und runzelte die Stirn. “Hätte ich mir ja denken können… Was wird DA wohl raus kommen, wenn ihr mir Geschenke kauft..” Er ahnte Schreckliches… Um die Pakete besser aufmachen zu können, wollte er sich eine Schere holen. “Ich komm gleich wieder..” sagte er nur kurz und verschwand. Alex fragte erstaunt: “Wohin verschwindet er denn jetzt?” Michael zuckte nur die Schultern. “Keine Ahnung..” Dann widmeten sie sich wieder ihrem momentanen Fall.

Einige Sekunden später öffnete sich die Tür; Alex und Gerrit sahen gar nicht auf, da sie davon ausgingen, dass es Gerrit war, der wieder gekommen war; doch statt dessen räusperte sich jemand - und es hörte sich definitiv weiblich! an. Nun schauten die beiden doch auf - und ihre Gesichter hellten sich auf. “Emma! Was machst du denn hier??” fragten Alex und Michael beinahe gleichzeitig. “Na, das ist ja mal ´ne Überraschung..” Emma war Gerrit Grass´ Nichte. Die Tochter seiner Schwester - und normalerweise wohnte sie ziemlich weit entfernt und kam leider auch viel zu selten zu Besuch. Und wenn sie mal kam, dann wusste Gerrit das in der Regel und sagte seinen Kollegen auch Bescheid.. Daher waren die beiden nun wirklich ziemlich platt, als sie plötzlich und unangemeldet vor ihnen stand. Emma lächelte. Sie hatte ein bezauberndes Lächeln - für ihre gerade mal 15 Jahre! “Tja, Gerrit hat doch heute Geburtstag - und da hab ich ein Geschenk eingepackt - mich; sozusagen!” Alex und Michael mussten lachen. “Na, DAS Geschenk wird er bestimmt nicht verachten..” sagte Michael. “Ja, ich weiß, er hasst seinen Geburtstag und Geschenke.. Und vor allem Überraschungen; aber da wird er leider nicht drum herum kommen..” Emma grinste. Dann sah sie sich im Zimmer um. “Wo ist er eigentlich? Ich dachte, er wird doch bestimmt arbeiten?” Für eine kurze Zeit erstarb ihr bezauberndes Lächeln mal kurz. Alex beeilte sich zu sagen: “Keine Angst, er wollte irgendwas holen, ich glaub, das hatte mit unseren Geschenken zu tun..” Und Michael setzte hinterher: “Wahrscheinlich ´nen Bunsenbrenner..” Alle lachten. Dann sagte Emma: “Ich würd mich gerne noch “unsichtbar” machen, wenn ihr versteht, was ich meine.. Würdet ihr ihm bitte zuerst nicht sagen, dass ich da bin, und ihm dann viell. erst einmal einen kleinen “Wink“ geben?” Alex und Michael nickten. “Klar, draußen steht der Süßigkeitenautomat, den kennst du ja..” sagte Michael und Emma nickte. “Klar, kenn ich den..” und dann ging sie nach draußen - gerade rechtzeitig, denn in dem Moment kam aus der anderen Richtung Gerrit zurück. Er hatte zwar keinen Bunsenbrenner dabei, aber dafür eine große Schere. Michael zog die Augenbrauen hoch. “Das ist jetzt nicht dein Ernst, dass du für unsere Geschenke ´ne Schere brauchst, oder???” Gerrit achtete gar nicht auf ihn. “So, wie ihr die Geschenke immer einpackt, brauche ich die bestimmt!” Und begann mit dem ersten..

Draußen unterhielt sich Emma derweil angeregt mit einem anderen K11-Kripobeamten. “.. Ja, ich bin nur kurz zu Besuch hier.. Werd auch gleich mal wieder reingehen, Gerrit ist ja wohl hoffentlich wieder da..” Dann machte sie sich mit ihrem Schokoriegel wieder auf den Weg zum Büro.Während Gerrit dabei war, sein Geschenk auszupacken, räusperte sich Alex. “Ähm, Gerrit, da wäre noch ein kleines Überraschungsgeschenk für dich angekommen..” Gerrit schaute genervt aus. “Noch was?? Ihr überfallt mich heute ja mit Geschenken, was ist denn los?? Ich hab nur Geburtstag!! Noch dazu nicht mal ´nen besonderen..” Gerrit war definitiv genervt. Alex schüttelte den Kopf. “Sieh sie dir ruhig mal an, die Überraschung.. Ich glaub, über die wirst du dich freuen!” Und dann nickte sie zur Tür, die sich in dem Moment öffnete. Gutes Timing war schon immer Emmas Stärke gewesen.. Gerrit schaute zur Tür und in diesem Augenblick stolzierte Emma hinein. Bevor er noch etwas sagen, geschweige denn denken konnte - er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit Emma - hing sie ihm schon am Hals und sagte: “Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstaag!” Dann ließ sie ihn los und strahlte ihn an: “Na, und, ist die Überraschung gelungen?” Gerrit hatte sich wieder gefasst und stand auf um nun seinerseits seine Nichte zu umarmen. “Emma, was, was machst du denn hier?? Wieso hast du nicht gesagt, dass du kommst?” Emma räusperte sich hörbar: “Dann wäre es wohl kaum ´ne Überraschung gewesen, oder??” “Wie bist du denn hierher gekommen?” “Na, mit dem Zug! Bin ja kein kleines Kind mehr; ich bin für die nächsten 3 Tage bei Oma eingezogen.” Nun war Gerrit alles klar. “Oma.. Na toll.. Meine Nichte, meine Schwester und meine Mutter verbünden sich gegen mich; soweit ist es schon..” Aber an seiner Stimme erkannte man, dass er sich freute, Emma zu sehen und es mit einem Augenzwinkern gesagt hatte. Alex und Michael schmunzelten. Emma nickte in die Richtung der Geschenke, die noch nicht ganz ausgepackt auf dem Tisch lagen: “Und, willst du deine anderen Geschenke nicht weiter auspacken?” Gerrit nickte und ein paar Minuten später hatte er Michaels und Alex´ Geschenke ausgepackt. Es war Equipment für seine Motorradausstattung. Er strahlte “Danke!!” Michael konnte sich ein “Na, ist der Geburtstag wohl doch nicht so schlecht wie gedacht?” Gerrit sah zu Emma und schüttelte den Kopf. Dann fragte Emma: “Gerrit, ich dachte, du könntest dir viell. jetzt frei nehmen.. Also, ich wollte dich quasi entführen..” Michael fiel ein: “Gute Idee; Gerrit, hier ist es sowieso recht ruhig; also von mir aus kannst du ruhig freimachen, Alex und ich kommen schon alleine klar..” Alex nickte ebenfalls. “Na, nu geh schon; wenn du schon mal so lieben Besuch hast..” Gerrit gab sich geschlagen. “O.k., ihr habt mich geschafft; ich gehe!” Er lächelte Emma zu: “Na, dann komm. Hab auch schon ´ne Idee wo wir hingehen; Wir müssen nur vorher noch zur Bank, ich brauch Geld.” Gerrit und Emma verabschiedeten sich kurz, dann gingen sie.

Gerrit wollte mit Emma ins “Musical Theater”, ein Theater, dass sich mit der Geschichte des Musicals beschäftigte; da er wusste, dass Emma Musicals liebte. Danach wollte er seine Mutter abholen und sie würden zusammen essen gehen. Doch vorab musste er, wie schon gesagt, Geld holen. Die beiden fuhren zu seiner Stammbank in der City und Gerrit holte seine Geldkarte raus.
Er war gerade dabei seine Geheimnummer einzugeben; Emma stand hinter ihm. Sie dachte an nichts Böses, als sie plötzlich etwas Hartes in ihrem Rücken spürte. Als Nichte eines Polizisten wusste sie sofort, was es war - eine Pistole! Ihr Ausruf blieb ihr im Hals stecken, als sie eine raue Stimme in ihr Ohr flüstern hörte und einen feuchten Atem an ihrem Nacken spürte: “Wenn du schreist, bist du tot! Sag dem Typ vor dir, er soll mir sein Geld geben; oder du hast eine Kugel im Rücken!” Er drückte ihr die Pistole noch weiter ins Kreuz. Anscheinend hatte er gemerkt, dass Gerrit und Emma zusammen gehörten. Emma schluckte. Leise sagte sie: “Gerrit..” mehr bekam sie nicht raus. Gerrit hatte gerade sein Geld aus dem Automaten geholt. Er drehte sich um. Noch hatte er den Kerl hinter Emma nicht wirklich registriert; doch irgendwas in Emmas Stimme hatte ihn irritiert. “Was ist los? Alles in Ordnung, Emma?” Emma schüttelte den Kopf. Jetzt registrierte er, dass sie ziemlich verstört aussah, und was gar nicht zu ihr passte war ihre leise, fast schon ängstliche Stimme. “Emma, was ist los?” Emma räusperte sich. Ganz leise, selbst für ihn kaum hörbar, sagte sie schließlich: “Gerrit, ich, ich hab eine Pistole im Rücken…” Gerrit wusste, dass Emma gern mal den einen oder anderen Scherz machte, aber mit so etwas würde sie niemals spaßen. Er sah langsam an ihr vorbei. Sein Gesicht verzog sich, als er den Mann direkt hinter ihr registrierte, und dann sah er, wie dieser sich etwas drehte und sich so stellte, dass seine Pistole - 9mm, wie er bemerkte - zum Vorschein kam. Gerrits Mund wurde trocken. Mit schmalen Augen sah er den Mann an und fragte schließlich heiser: “Was wollen Sie?.. Lassen Sie meine Nichte gehen!..” Der Mann reagierte, indem er Emma noch näher an sich heran drückte. Sie stöhnte auf und schloss die Augen. “Rück die Kohle rüber! Los, gib sie deiner Nichte und sie wird sie mir in die Jackentasche stecken! LOS!!!” Gerrit zögerte nicht eine Sekunde, er streckte ihr das Geld entgegen - es waren 100,- € gewesen, die er abgeholt hatte - und Emma nahm es langsam entgegen. Dabei blickte Gerrit ihr sanft in die Augen. “Ganz ruhig, ganz ruhig, Kleines, es wird dir nichts passieren..” Emma nickte nur unmerklich und wollte dann die zwei 50,- € Scheine in seine Taschen stecken, als der Mann plötzlich ausrastete und ihr die Pistole noch weiter in den Körper rammte - dieses mal in die Seite. “Willst du mich verarschen?? Was soll ich mit 100 Kröten?? Los, gib mir mehr, oder deine Kleine hier hat´n Loch im Körper!! Das willst du doch nicht, oder???” Gerrit schüttelte den Kopf. “Ganz ruhig… Ganz ruhig.. Ich werde sofort mehr holen; aber lassen Sie das Mädchen los, das hat doch keinen Sinn…” “Schnauze, laber nicht so viel; ich hab nicht soviel Zeit!!” Gerrit schwitzte. Das musste ein Alptraum sein; das konnte nicht anders sein.. In Wirklichkeit war er zu Hause in seinem Bett und träumte das alles.. Aber eine Sekunde später wusste er wieder, dass es kein Alptraum war. Er war tatsächlich hier in “seiner” Bank, und war Opfer eines Überfalls, bei dem seine Nichte, von der er heute morgen nicht mal gewusst hatte, dass sie kommen würde, mit einer Waffe bedroht wurde. Konnte es noch schlimmer kommen? Ja, das konnte es, aber das wusste er - noch - nicht…

 

Schließlich hatte er 500,- € abgeholt - mehr konnte er mit einem Mal nicht abholen und hielt sie dem Mann hin. “Mehr kann ich nicht abholen.. Nehmen Sie es und lassen Sie Emma gehen… Noch können Sie verschwinden, ohne dass Sie jemand bemerkt hat…” Doch es war zu spät. Was beide nicht bemerkt hatten war, dass ein Schalterbeamter den Überfall auf Gerrit und Emma beobachtet hatte und den stillen Alarm ausgelöst hatte. Der Notruf ging bei Alex und Michael ein. ”Alex, wir haben einen Banküberfall an der Parkstraße!” rief Michael und Alex sah ihn an: “War das nicht die Bank, bei der Gerrit Geld abholen wollte?” Michael sah besorgt aus: “Ja, das war sie! Er ist bestimmt schon draußen.. Hoffentlich.. Komm, lass uns fahren..” Sie setzten sich in ihren Wagen und fuhren los..

Einige Polizeiwagen waren schon da, als sie ankamen. Die Bank war umstellt. Der Geiselnehmer, der Emma immer noch in seiner Gewalt hatte, bemerkte es als erster. Er wurde rot vor Zorn. “Wer hat die Bullen gerufen??” schrie er, und seine Tarnung war ihm anscheinend egal. Er drückte Emma die Pistole an die rechte Schläfe und zog sie mit in den Innenraum der Bankfiliale. Emma schrie auf und Gerrit ließ alles stehen und liegen und folgte ihnen. Verzweiflung stand in seinem Gesicht geschrieben.. “Ruhig, bleiben Sie ruhig, bitte! Wenn Sie niemandem schaden, werden ihnen die Polizisten nichts antun.” versuchte er den Mann zu beruhigen.

Jetzt war die Situation wirklich brenzlig geworden. Der Typ war unberechenbar. Gerrit wusste nicht, wer die Kollegen verständigt hatte - er oder sie hatte es ohne jeden Zweifel gut gemeint, aber es war völlig falsch gewesen. Er hatte ihn beinahe soweit gehabt! Gerrit war sich sicher, dass er gegangen wäre, nachdem er ihm das Geld zugesteckt hatte. Doch dazu war es ja gar nicht mehr gekommen.. Das Geld lag vor dem Geldautomaten, da der Geiselnehmer es nicht angenommen, und Gerrit es vor Schreck über den plötzlichen Austicker fallen gelassen hatte. Ihm war alles egal. Er wollte nur nicht, dass Emma etwas passierte. Der Geiselnehmer war nun im Innenraum der Bankfiliale und fuchtelte mit der Pistole herum. Dabei hielt er Emma immer noch grob in seiner Umklammerung. Gerrit überlegte fieberhaft, wie er sie da herauskriegen konnte.. “ALLE HINLEGEN; DAS IST EIN ÜBERFALL; LOS!” brüllte er und wie um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen schoss er in die Luft. Die Geiseln in der Bank kreischten und warfen sich auf den Boden. Dann sah er Gerrit an: “DU auch - na, wird’s bald???” Langsam, und ohne Emma aus den Augen zu verlieren, legte sich auch Gerrit hin. Ihm war ganz kalt als er in Emmas Gesicht sah. Sie war blass und weinte. Ihr war die Angst ins Gesicht geschrieben. “Ganz ruhig, es wird dir nichts passieren; bleib ganz ruhig..” versuchte er Emma zu beruhigen, doch der Geiselnehmer richtete nun die Waffe auf ihn: “Halt die Schnauze; oder willst DU das Loch in den Kopf kriegen? - Oder soll ich es IHR reinballern?” und dann hielt er ihr wieder die Pistole an den Kopf. Gerrit wusste, dass der Täter langsam die Nerven verlor; er musste vorsichtig sein; auf gar keinen Fall durfte es soweit kommen - und auf keinen Fall durfte er erfahren, dass er ein Kripobeamter war! Gerrit schüttelte den Kopf: “Nein, schon o.k. bleiben Sie ruhig; bitte.. Ich werde alles tun, was Sie sagen..” “Im Moment will ich, dass du ruhig liegen bleibst.. Und dass die Bullen da draußen verschwinden.. Und ich will Geld, jede Menge Geld.. - Bleib ja da liegen!” Er ging mit Emma in Richtung Kasse, an der der Schalterbeamte stand, der den stillen Alarm ausgelöst hatte. Er war schweißgebadet und zitterte vor Angst. Als der Geiselnehmer mit Emma vor sich bei ihm angekommen war, bibberte er nur noch erbärmlich: “Bitte, tun Sie mir nichts.. Ich, ich werde alles tun, was Sie sagen..” “Los, Geld her! Ich will alles, was in ihrer Kasse ist; na los!!” Der Schalterbeamte tat wie ihm geheißen. Er holte alles Geld aus seiner Kasse und hielt es dem Täter hin; der wiederum Emma anwies, das Geld anzunehmen und es ihm zuzustecken. Er hatte nicht mal einen Sack oder so etwas dabei, sie musste es ihm in die Manteltasche stecken; Gerrit ahnte, dass dieser Überfall eine Nummer zu groß für ihn war; und das machte es erst recht gefährlich. Wenn es ein groß ausgedachter, von langer Hand geplanter Überfall gewesen wäre, dann wäre er sicherlich bedachter und nicht so hektisch gewesen. Aber so.. Er war zu aufgewühlt und alles schien ihm zu entgleiten. Gerrit machte sich wirklich Sorgen.. Und seine Kollegen waren vermutlich draußen und überlegten sich gerade einen Plan, wie sie in die Bank gelangen könnten.. `Bitte stürmt sie nicht…´ dachte er nur, ´bitte nicht…´

Als Alex und Michael angekommen waren, hatten sie Gerrits Wagen entdeckt. “Verdammt, er ist noch hier, Michael..“ hatte Alex gerufen. Auch Michael fluchte. “Ist nur die Frage, ob er weiß, dass Gerrit Polizist ist..” Nun mussten sie sich etwas einfallen lassen. Michael und Alex begannen nun, zusammen mit den anderen Polizisten draußen vor der Bank Pläne zu schmieden, wie sie weiter vorgehen sollten. Dann hörten sie einen Schuss. Alex und Michael zuckten zusammen. “Wir sollten reingehen!” sagte ein Kollege, doch Michael schüttelte den Kopf: “Wir müssen mit dem Geiselnehmer Kontakt aufnehmen; wir wissen ja nicht einmal, wie viele Geiseln da drin sind! Außerdem ist ein Kollege von uns mit seiner Nichte da drin, und wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass er das erfährt!” “Aber der Schuss, Michael; hoffentlich hat er niemanden verletzt..” Alex dachte an Gerrit. Michael schnappte sich ein Megafon und rief in Richtung des Geiselnehmers: “Mein Name ist Michael Naseband; wir haben einen Schuss gehört und möchten uns vergewissern, dass niemand verletzt wurde.. Lassen Sie als Zeichen Ihres guten Willens eine Geisel frei! Und wir können verhandeln.” Gerrit schloss die Augen. Ihm war die Taktik klar, mit der seine Kollegen nun argumentieren würden. Er würde es ja genauso machen, wenn er auf “der anderen Seite” wäre..

Aber in diesem Fall war er es nicht, und er war sich nicht sicher, wie der eh schon angeschlagene Täter reagieren würde. “ICH WERDE NIEMANDEN FREILASSEN!!” brüllte der durch die geschlossene Tür, “NICHT BEVOR IHR ABGEZOGEN SEID!!” Gerrit bezweifelte, dass die Kollegen ihn gehört hatten. Und die hatten ihn tatsächlich nicht gehört; daher schlug Alex vor, den Geiselnehmer per Telefon zu kontaktieren: “Wir brauchen sofort die Telefonnummer der Bank. Dann müssen wir mit dem Geiselnehmer sprechen! - Der muss doch irgendwelche Forderungen haben..” Doch er hatte keine Forderungen. Er wusste nicht einmal, wie es weitergehen sollte. Zitternd und schwitzend ging er von einem Schalter zum anderen und holte sich - mit Emma “im Gepäck” - “sein” Geld ab. Dann waren seine Taschen voll, und er hatte keinen Platz mehr, um noch mehr hinein zu packen.

Gerrit schwitzte ebenfalls, aber aus Angst um Emma. Die Ohnmacht machte ihm zu schaffen, dass er nichts tun konnte, um ihr zu helfen. Das machte ihn fast wahnsinnig. Dann erkannte er plötzlich unter einer der Geiseln eine Nachbarin von sich, die in einer anderen Ecke der Bank auf dem Boden kauerte. Sie hatte ihn auch erst jetzt gesehen, da ihre Augen vorab auf den Geiselnehmer gerichtet waren. Ihr Gesicht hellte sich auf. Gerrit versuchte ihr zu signalisieren, dass sie ja nicht zeigen sollte, dass sie ihn kannte, oder gar etwas sagen sollte! Doch es war zu spät. Der Täter hatte sich kurz von ihr abgewandt und sie kam langsam auf Gerrit zugekrochen. Gerrit schüttelte den Kopf. Sie sollte ja nicht zu ihm kommen! Nicht auch das noch!! Doch es war schon zu spät. Noch hatte er sie nicht entdeckt, und die Frau war neben Gerrit. “Sie sind doch Polizist, können Sie nicht etwas tun?? Überwältigen Sie ihn, dann ist die ganze Sache hier geregelt..” Gerrit hätte ihr am liebsten eine geknallt. Er wollte ihr gerade zuflüstern, dass sie um Himmels Willen leise sein sollte, als der Geiselnehmer sich zu ihnen umdrehte. Er hielt Emma noch fester und in seinen Augen stand ein gefährliches Funkeln, was Gerrit so noch nicht gesehen hatte. Ihm wurde kalt. “Was hat die da eben gesagt?? Du bist´n Bulle?? Du kleines, mieses Dreckschwein.. Ich bring die Kleine um..” Und er machte Anstalten, die Waffe zu entsichern. Gerrit stand langsam auf und hielt seine Hände nach oben: “Nein, bitte.. Ich, ich bin nicht im Dienst hier.. Sehen Sie, ich hab keine Dienstwaffe.. Nichts; ich bin nicht bewaffnet.. Lassen Sie, lassen Sie Emma gehen und nehmen Sie mich als Geisel, bitte!” Emma schüttelte den Kopf. “Nein… Gerrit..” Der Geiselnehmer lachte heiser. “Ist ja süß… Danke für das Angebot, aber ich denke ich nehme lieber die Kleine mit.. Und DU wirst jetzt zu deinen Kollegen da draußen gehen und ihnen sagen, dass sie abziehen sollen!! NA LOS!! Geh vor! LOS!!! Bring mich zu deinem Wagen!” Er ließ Gerrit vorgehen und drohte den anderen Geiseln in der Bank mit der Pistole: “Wenn einer von euch mir folgen sollte, schieß ich! Alle bleiben liegen, bis ich weg bin!” Dann stieß er Emma hinter Gerrit her.

Gerrit ging als erstes durch die Tür - mit erhobenen Händen. Er war blass. Das war gehörig entglitten. Warum musste diese dämliche Kuh auch ihren Mund aufmachen.. Er würde mit ihr reden, wenn das alles vorbei war.. Ja, wenn… Als die Tür aufging, waren nicht nur zig Augen auf ihn gerichtet, sondern auch mehrere 9-Kaliber.. Dann hörte er einen Ausruf - er kam von Alex: “GERRIT!”… Er sah kurz zu ihr auf und versuchte ihr zu signalisieren, dass sie auf keinen Fall schießen sollten. Alex hatte verstanden und hob die Hand um dies an die anderen weiterzugeben. Auch Michael war zu ihr getreten und sah Gerrit besorgt an. Dann fiel ihr Blick auf den Entführer, der Emma fest an sich gepresst hatte. Mit der Pistole an ihrer Schläfe. Michael rief zu ihnen hinüber: “Geben Sie auf, das hat doch keinen Sinn! Lassen Sie die Geiseln frei!” Der Geiselnehmer lachte nur schäbig. “Ich hab einen Polizisten und seine Nichte als Geisel, ihr solltet lieber tun, was ich sage, sonst verliert ihr beide!”

Alex sah Michael verzweifelt an. Was sollten Sie nun tun. Sie konnten das Leben ihres Kollegen und Emmas Leben nicht riskieren. Sie mussten sie vorbeilassen. Dann waren der Geiselnehmer und seine Geiseln an Gerrits Auto angekommen. Der Täter brüllte Gerrit an: “Schließ den Wagen auf! Na los!! Und dann lässt du den Schlüssel im Zündschloss stecken, gehst zur Seite und lässt uns einsteigen! Und wehe, einer von euch folgt mir; dann wirst du deine Emma niemals wieder sehen!” Gerrit schloss den Wagen auf und der Geiselnehmer stieß Emma in den Wagen. Bevor Gerrit etwas tun konnte, hatte er den Wagen angelassen und brauste davon - mit Emma als Geisel auf dem Beifahrersitz. Er brauste beinahe durch die Sperre, die von den Polizisten aufgebaut worden war. Keiner von ihnen schoss, da Michael ihnen signalisiert hatte, dass sie nicht schießen sollten. Der Wagen schoss davon und Gerrit konnte nichts anderes tun, als ihm hinterher zu schauen. Er stand unter Schock...

 

Alex und Michael kamen zu ihm gelaufen… “Gerrit? Alles in Ordnung? Bist du o.k.?” fragten beide fast gleichzeitig. Langsam kam Gerrit wieder zu sich und sah sie an. Verzweiflung stand in seinen Augen: “Ob alles o.k. ist?? Meine Nichte ist entführt worden, und ihr fragt mich, ob alles in Ordnung ist??” Gerrit war völlig fertig. Michael nickte mitfühlend und ebf. besorgt. “Ja, du hast recht, war eine blöde Frage.. Aber wir finden sie, Gerrit; wir werden sofort eine Fahndung nach dem Typen ausschreiben; vielleicht haben wir ihn ja in der Kartei..” Alex fiel etwas ein: “Gerrit, Emma hat doch ihr Handy dabei, oder? Wir können sie orten lassen..” Gerrits Gesicht hellte sich auf. Daran hatte er in der ganzen Hektik gar nicht mehr gedacht. “Ja, fangen wir damit an, viell. finden wir heraus, wo sie hin fahren…” Sie fuhren sofort wieder ins K11 und während Michael versuchte, herauszufinden ob der Täter irgendwo in den Computern gespeichert war, kümmerten sich Gerrit und Alex um die Ortung von Emmas Handy.

Doch der Täter war leider nicht so unbedacht, wie Gerrit und die Kollegen hofften. Er war wütend, dass ihm alles entglitten war, und er nun die Nichte eines Bullen mit sich herum schleppen musste, doch langsam kam ihm eine Idee, wie er die Situation zum Guten für sich umkehren könnte. Nachdem er der Polizeisperre entkommen war, und sich vergewissert hatte, dass ihm niemand folgte, und auch sonst niemand auf den Fersen war, musste er so schnell wie möglich den Wagen loswerden. Er fuhr auf einen Parkplatz, der abseits der üblichen Routen an einem Waldstück lag, und gab Emma zu verstehen, dass sie aussteigen sollte. Auf dem Parkplatz war es ruhig und es standen lediglich zwei Autos dort. Genau richtig, wie er freudig bemerkte. Dann öffnete er mit dem Autoschlüssel den Kofferraum und fuhr Emma an: “Los, leg dein Handy in den Kofferraum! Wird’s bald!!” Emma schluckte. Sie ahnte, was er vorhatte... Zitternd warf sie das Handy hinein und der Geiselnehmer schloss die Autotür erneut zu. Danach warf er den Schlüssel in einen Blätterhaufen direkt neben einem Baum. Ihm war klar, dass die Bullen versuchen würden, das Handy zu orten. Sollten sie ruhig; er würde dann schon längst weg sein… Und das Mädchen mit ihm… Er sah sich nach einem weiteren Auto um, das er statt dessen benutzen konnte, und fand eines in der Nähe. “Na los, die Fahrt geht weiter; wir nehmen das Auto da vorne - na wird’s bald!!” Er stieß Emma zum Wagen und sie ging widerstandslos mit. Alles, woran sie denken konnte waren Gerrit und die Kollegen: `Sie finden mich bestimmt…´ dachte sie immer wieder… Dann stand er neben ihr und brach mit roher Gewalt die Fahrertür auf. Wie schon beim Diebstahl von Gerrits Wagen stieß er sie auf den Beifahrersitz und stieg hinterher. Dann brauste er ebf. davon. Bis der Eigentümer DIESES Wagens darauf aufmerksam wurde, dass er fehlte, würde es garantiert noch einige Stunden dauern, davon war er überzeugt. Und er hatte leider recht..

Währenddessen hatten Alex und Gerrit Emmas Handy geortet. Michael war immer noch dabei, in der Verbrecherdatei zu suchen, ob sie ihn gespeichert hatten. “Micha, wir haben ihr Handy geortet; sie sind in einem Waldstück, etwas außerhalb der Stadt..” Alex´ Stimme klang besorgt. Was machten sie da?? Gerrit konnte nicht mehr warten, er saß wie auf heißen Kohlen. “Michael, ich fahr mit Alex dorthin, ich muss wissen, ob sie da irgendwo ist..” Michael nickte verständnisvoll: “Klar, wenn ich was rausfinde über den Typen, melde ich mich..” Dann waren Alex und Gerrit auch schon draußen.

Einige Zeit später hatten sie den verlassenen Parkplatz erreicht, an dem der Täter und Emma gewesen waren, und Gerrit sah sein Auto dort stehen. Ihm wurde kalt. Er sah direkt, dass es verlassen war, und die Türen offen standen. Dort war niemand mehr, weder der Täter noch Emma.. Er sprang förmlich zum Auto und sah zuerst in den vorderen Bereich, doch da war niemand mehr. Alex packte ihn an der Schulter. “Warte mal, ihr Handysignal ist definitiv hier geortet worden; Sie MUSS hier irgendwo sein…” “Ja, aber wo? Sie ist hier nirgends, jedenfalls nicht mehr im Auto..” Plötzlich wurde ihm noch kälter als ohnehin schon. Langsam fiel sein Blick auf den einzigen Bereich in dem Wagen, den sie noch nicht abgesucht hatten - den Kofferraum! “Oh mein Gott…” sagte er nur. “Gerrit, was ist…” wollte Alex gerade fragen, dann hatte sie verstanden. Auch sie wurde blass. “Oh nein, du glaubst doch nicht etwa??” Auch ihr wurde kalt. Dann atmete sie einmal kräftig ein und aus und hatte sich schließlich wieder im Griff: “Wir müssen den Kofferraum aufmachen, nur so können wir es herausfinden. Sie ist bestimmt nicht da drin, Gerrit..” Aber ein mulmiges Gefühl hatte sie ebenfalls. Gerrit war bereits dabei, nach etwas zu suchen, womit er den Kofferraum aufbrechen konnte, da er ja keinen Schlüssel mehr für den Wagen hatte. Er wühlte im Laub nach Ästen, irgend etwas, womit er etwas anfangen konnte, als er etwas Metallisches spürte. Ruckartig zog er es hoch - und hielt seinen Schlüssel in der Hand. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Er raste förmlich zu seinem Wagen, und mit zitternden Fingern versuchte er den Kofferraum zu öffnen. Doch der Schlüssel entglitt ihm und flog auf den Boden. Er fluchte. Alex trat zu ihm und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Dann nahm sie ihm den Schlüssel ab und schloss die Kofferraumtür auf… - Gerrit schloss die Augen. Er erwartete schon beinahe das Schlimmste. Vor seinem geistigen Auge lag Emma tot vor ihm, blutüberströmt, erschossen von dem Mann, der sie als Geisel genommen hatte. Doch dann hörte er die erleichterte Stimme von Alex, die langsam an sein Ohr drang. Sie schien erstmal von sehr weit her zu kommen: “.. Gerrit, hörst du nicht? Sie ist nicht im Kofferraum! Sieh doch hin! Der Kofferraum ist leer!! Hier liegt nur ihr Handy!” Gerrit öffnete langsam die Augen. Tatsächlich, der Kofferraum war leer; alles was er sehen konnte, war ihr Handy! - Kein Blut, keine Spuren einer Gewalttat, jedenfalls nicht hier.. Er atmete ebenfalls erleichtert aus. Doch dann kamen die weiteren Gedanken darüber, was das eigentlich bedeutete: “Sie ist nicht hier; aber das heißt, dass er sie entweder weiter mitgenommen hat, oder sie in dem Waldstück ist… Wir müssen den Wald absuchen lassen; ich muss sicher sein, dass sie nicht hier ist..” Alex nickte. Sie rief Michael an und erzählte ihm, was sie herausgefunden hatten, dann bat sie ihn weitere Kollegen zu ihrem derzeitigen Standort zu rufen. “Wir müssen den Wald absuchen, nur um sicherzugehen, dass sie nicht hier ist.. Aber wir gehen natürlich auch noch anderen Spuren nach..” beeilte sie sich zu sagen, als sie Gerrits Gesicht sah. Er war immer noch blass. `Und das ausgerechnet an seinem Geburtstag´ dachte Alex; doch dann bemerkte sie, dass Gerrit dabei war, alleine in das Waldgebiet zu laufen. Sie hörte ihn laut rufen: “EMMA! Bist du hier irgendwo? Kannst du mich hören??? Wenn du mich hörst, dann antworte, bitte!!”

Alex folgte ihm und begann ebenfalls zu rufen. Doch sie hörten nichts. Einige Minuten später hörten sie die Sirenen der Kollegen, die ankamen um mit ihnen das Waldgebiet zu durchkämmen. Und sie hörten Hunde. “Eine Hundestaffel” sagte Alex, “das ist gut!” Weitere Minuten später war alles voll mit Kollegen und Hunden, die den Wald durchkämmten; doch sie würden nichts finden, denn der Geiselnehmer war mit Emma schon längst nicht mehr in der Nähe…

 


Er hatte nun ein zweites Auto geklaut, von dem die Bullen noch nichts wussten; aber wie lange würde es dauern, bis sich der Besitzer meldete? Und würden sie irgendwelchen Spuren folgen? Emma bemerkte, dass ihr Entführer anfing zu zittern. Es schien ihm nicht gut zu gehen… Was war nur los mit ihm? Emma fing ebf. an zu zittern. Aber aus Angst. Was hatte er nur mit ihr vor? Was war, wenn Gerrit, Alex und Micha sie nicht finden würden? Bestimmt war Gerrit schon fast wahnsinnig vor Sorge um sie; und ihre Oma erst… Wusste sie überhaupt schon davon? Diese Gedanken und noch viel mehr gingen Emma durch den Kopf, als sie neben dem Entführer saß und bangte. Eine Träne lief ihr langsam die Wange hinunter, doch sie traute sich nicht, sie abzuwischen. Sie traute sich überhaupt nicht, sich auch nur zu rühren.. Der Entführer wurde derweil immer unruhiger. Er begann zu schwitzen und sich zu kratzen.. Emma bemerkte Schweiß auf seiner Stirn. `Oh Gott, er ist ein Junkie…´ dachte sie plötzlich entsetzt. Gerrit und Michael hatten im Laufe einer Drogenaufklärungskampagne, bei der sie in verschiedenen Städten in Schulen Aufklärungsarbeit geleistet hatten, auch ihre Schule besucht. Dort hatten sie Filme gesehen, über Drogenabhängige die auf Entzug waren - und die hatten genauso ausgesehen! Nun bekam sie wirklich Panik. Wie sollte es nun weiter gehen??

Dann hielt er plötzlich den Wagen an. Sie waren an einem relativ versteckten kleinen Haus, das von der Straße nicht so leicht einsehbar war, und er zerrte sie an den Händen aus dem Auto hinaus. “Komm schon! Und kein Ton!! Kapiert!!!” Emma nickte nur. Sie biss sich auf die Lippen. Dann waren sie an dem Haus angekommen - es schien fast mehr ein Versteck zu sein - und der Entführer klingelte und hämmerte an die Tür. Schließlich öffnete sie sich einen Spalt. Ein brutal aussehender Mann machte die Tür schließlich ganz auf und starrte eine Sekunde lang zuerst auf den Entführer und dann auf Emma. Dann zog er sie beide ins Haus. “Sag mal, bist du verrückt geworden hier aufzutauchen?? Ist dir jemand gefolgt??” Der Entführer schüttelte den Kopf. “Nein, niemand ist mir gefolgt. Hier ist das Geld, hast du das Zeug?” Emma wusste sofort, wovon er redete. ´Also deswegen hat er mich und Gerrit überfallen, er wollte Kohle für seine Drogen..´ dachte Emma. ´Deswegen war er auch so nervös..´ Der Dealer nahm das Geld, das Emmas Entführer ihm hinhielt - es waren durch den Banküberfall mehrere Tausend Euro. “Woher hast du denn die viele Kohle?? Hast du ´ne Bank überfallen?? Und wer ist die überhaupt?” er zeigte auf Emma. “Ja, ja ich hab ´ne Bank überfallen! Und das ist meine Rückversicherung! Man, jetzt gib mir schon das Zeug, ich brauch´s!!” Der Dealer starrte ihn an und dann wurde sein Gesicht rot vor Zorn: “DU HAST WAS??? Sag mal, bist du eigentlich noch ganz dicht?? Du hast einen Banküberfall begangen und kommst mit einer Geisel hier an??” Er ging bedrohlich auf den Entführer und auf Emma los: “Wenn dir ein Bulle oder sonst wer gefolgt ist, dann gnade dir Gott..” “Nein, ich schwör´s dir! Mir ist niemand gefolgt! Dafür hab ich schon gesorgt! Man, die Kleine ist unsere Goldquelle, der Goldesel sozusagen! Die ist die Nichte eines Bullen! Verstehst du? Solange wir die in unserer Gewalt haben…” Er kam nicht weiter. Die Faust des Dealers landete in seinem Gesicht. Zornrot stand er vor ihm und keuchte: “Das, das glaub ich jetzt nicht.. Du, du hast nicht die Nichte eines Polizisten entführt?? Und HIERHER geschleppt?? Bist du eigentlich noch ganz dicht???” Der Entführer konnte sich erstmal nicht bewegen.

Emma zitterte. Sie war ein paar Meter an eine Wand getreten und hatte sich an sie gepresst. Sie hatte Angst. Panische Angst, während sie weiter beobachtete was geschah. Der Dealer war bedrohlich auf den Entführer zugetreten. “Wart.. Warte, bitte - lass mich doch erklären! Ich, ich hab doch einen Plan! Gib, gib mir das Zeug, und ich erkläre es dir, o.k?” Der Dealer trat von ihm zurück. “In dem Zustand kann ja wohl nichts Vernünftiges rauskommen.. Ich werde dir was anderes sagen: Du sagst mir JETZT was du dir in dem versifften Kopf ausgedacht hast, und dann werde ich dir sagen, ob du noch dazu kommen wirst, das Zeug zu nehmen..” Der Entführer nickte eifrig. Er schwitzte nun richtig. “Also, die Kleine ist die Nichte eines Bullen, richtig? Ja,” beantwortete er seine Frage selbst, bevor es der Dealer tun konnte; “und da können wir doch jede Menge rausholen! Wir können Forderungen stellen! Wir können die Bullen erpressen und dann da schlagen wir mehr raus als nur die lächerlichen paar Kröten! Und das teilen wir dann - ach was teilen - du 60, ich 40 Prozent, und dein bestes “Zeug” - und, wie findest du die Idee?” Emma hatte ungläubig zugehört und sah das Flackern in den Augen des Entführers. `Er ist wahnsinnig..´ dachte sie entsetzt. Auch der Dealer konnte es zuerst nicht wirklich glauben. Dann fing er an schallend zu lachen: “Du bist wirklich nicht mehr normal… Schleppst die Nichte eines Bullen hier an und denkst dann wirklich, wir könnten die POLIZEI erpressen?? Die haben uns doch sofort - schon mal was von Ortung gehört?? Ich kann wirklich nur hoffen, dass du keine Spuren hinterlassen hast..” “Nein, hab ich nicht! Wie oft soll ich das denn noch wiederholen! Aber, was ist denn jetzt mit meinem Zeug.. Ich kann nicht mehr… Bitte; du hast die Kohle, und das mit der Erpressung; also wenn wir es gewieft anstellen und z. B. von Telefonhäuschen aus anrufen, dann kann uns doch keiner orten..” Der Dealer schlug ihn erneut. Emma schloss die Augen. Der Mann der sie entführt hatte, war planlos. Aber sie hatte bei ihm nicht das Gefühl, dass er sie verletzten wollte. Doch dieser Typ.. Er war gefährlich. Wirklich gefährlich. Das spürte sie. Als sie die Augen wieder öffnete sah sie, wie er dem Entführer ein weißes Päckchen überreichte. “Hier, nimm. Das ist das Beste, was ich dir für die “paar Kröten” geben kann.. - Und nun zu dir..” sagte er und kam auf Emma zu. Sie zitterte. Während der Entführer seine Drogen konsumierte fragte er: “Und, was hast du jetzt mit ihr vor?” “Na was wohl?? Erst mal wird sie weggeschlossen! In den Keller! Und ruhig gestellt..” Er ging zum Schrank und holte eine Spritze heraus. Emma starrte ungläubig darauf. Er hatte doch nicht vor sie.. “Hey, du willst sie doch nicht anfixen, oder?” fragte der Entführer als hätte er Emmas Gedanken gelesen. Der Dealer schüttelte den Kopf. “Das ist kein Heroin, das ist ein Beruhigungsmittel. Allerdings ein ziemlich starkes, davon wird sie wohl eine ganze Weile schlafen.. Und dann unterhalten wir beide uns darüber, wie es weiter geht..”

Er kam auf Emma zu, die sich unwillkürlich noch weiter an die Wand presste. Aber sie hatte keine Chance. Grob nahm er ihren Arm und bevor sie noch etwas sagen oder schreien konnte, hatte er ihr das Mittel in den Arm geschossen. Emma wurde schlecht. Das Mittel war wirklich stark. Sie verlor die Besinnung und knallte neben dem Dealer zu Boden.

Mittlerweile hatte der Entführer sein “Zeug” genommen und starrte auf das Mädchen vor ihm: “Man, das hätte doch nicht sein müssen, oder? Ist sie.. tot?” fragte er beinahe lallend. Irgendwie musste er lachen, obwohl ihm eigentlich gar nicht nach lachen zumute war.. “Nein, sie ist nicht tot”, knurrte der Dealer. “Komm schon, wir müssen sie in den Keller tragen. Mach hinne!” Der Entführer nickte und versuchte sich so gut es ging zu beherrschen. Dann brachten die beiden Emma mit vereinten Kräften in den Keller. Der Keller war ein halbes Verlies! Und das war auch geplant. Emma wurde in eines der Kellerräume gesperrt, die nicht sofort zu erkennen waren. Die beiden warfen sie hinein und der Dealer schloss die Türe zu. Emma würde eine ganze Weile schlafen…

 


Als sie wieder oben waren drehte sich der Dealer plötzlich zu dem Entführer um. Seine Augen waren schmal geworden - gefährlich schmal - und er sagte: “Und nun zu dir…” Der Entführer sah ihn mit glasigen Augen an: “Ja, hast du über meine Idee nachgedacht?” Der Dealer nickte und antwortete: “Ja, das habe ich… Und meine Antwort lautet”… Er holte etwas aus seiner Tasche, das der Entführer erst zu spät als eine Pistole erkannte - eine Pistole mit Schalldämpfer. Er stammelte: “Aber, aber.. Nicht….” weiter kam er nicht; der Schuss war kaum zu hören, der ihn mitten ins Herz traf. Tödlich getroffen sank er zu Boden. Der Dealer schaute ihn ohne große Gefühlsregung an und sagte: “Deine Idee ist gar nicht so schlecht.. Allerdings gefällt mir eines nicht; die 60%.. Ich nehme alles…” Und dann machte er sich daran, die Leiche zu beseitigen. Er hatte das Auto gesehen, das der Entführer gestohlen hatte, und er wusste, dass die Polizei früher oder später darauf stoßen würde. Sollten sie doch! Sie würden eine Überraschung erleben..

Er hob die Leiche auf - sie war schwerer als er gedacht hatte - und trug sie zum Auto. Dann öffnete er den Kofferraum, hievte sie hinein und schloss ihn wieder. Nun musste er nur noch den Wagen an einen unentdeckten Platz bringen und darauf achten, dass ihn niemand beobachtete. Da fiel ihm doch glatt der kleine Waldbach ein, der mehrere hundert Meter von hier entfernt lag. Weit genug, um keinen Zusammenhang mit ihm herstellen zu können. Er stieg in den Wagen und fuhr dorthin, um diesen samt Leiche zu beseitigen..

Es war weit und breit niemand zu sehen, die Gegend war uneinsichtlich und menschenleer als er dort ankam. Er stieg aus dem Wagen - vorab hatte er die Handbremse gelöst - sah sich noch einmal um - es war wirklich niemand in der Nähe, er hatte vorsorglich seine Pistole mitgenommen - und gab dem Wagen einen Schubs, so dass dieser samt der Leiche des Entführers in den kleinen Waldbach hinein fuhr. Dann gab der Dealer und Mörder Fersengeld. Niemand hatte ihn gesehen…

Er wusste, dass sie irgendwann den Wagen und die Leiche finden würden - von ihm aus sollten sie das sogar. Sie würden niemals auf ihn stoßen! Dessen war er sich sicher. Wie sollten sie auch? Und nun zu dem Mädchen. Auf der einen Seite war er wütend darüber, dass er nun diese Kleine am Hals hatte, aber auf der anderen Seite war die Idee, die dieser kleine Knilch gehabt hatte, gar nicht mal so schlecht gewesen.. Auch, wenn er das natürlich niemals zugegeben hätte. Aber jetzt musste er die weitere Vorgehensweise gut durchdenken. Die Polizei zu erpressen war nicht so einfach. Sie würden Telefonortung betreiben - also fiel das weg. Telefonhäuschen waren auch eine schwache Idee, da würden sie auch früher oder später auf ihn stoßen… Aber ein Erpresserbrief war etwas ganz anderes, wenn er gut durchdacht war.. Natürlich keine Fingerabdrücke, er würde Handschuhe tragen - so wie jetzt auch, bei der Beseitigung der Leiche; der Brief durfte auch nicht mit Hand geschrieben sein, sonst könnten sie daraus auch ihre Schlüsse ziehen.. Er hatte genug Zeitungspapier - verschiedene Zeitungen - um daraus einen guten Erpresserbrief zu schreiben. Und das nahm er sich nun vor, als er wieder zurück in seinem Haus war, das ihm gleichzeitig als Versteck diente. Er machte sich an die Arbeit…

Nachdem Gerrit und Alex zusammen mit den Kollegen der Spurensicherung und der Hundestaffel den Wald von vorne bis hinten durchkämmt und nichts gefunden hatten, waren Gerrit und Alex auf dem Weg zum K11. Gerrit war völlig fertig. “Gerrit, es ist doch immerhin ein gutes Zeichen, dass sie nicht im Wald ist!” versuchte Alex ihn zu trösten, doch sie hörte sich selbst so unsicher an, dass sie sich nicht sicher war, ob sie sich selbst glauben würde.. Gerrit antwortete nicht. Er war blass und Alex machte sich Sorgen. “Gerrit, soll ich dich nicht lieber nach Hause fahren? Micha und ich werden weiteren Spuren nachgehen..” Gerrit reagierte in dem er sie mit stechendem Blick ansah. “Ich fahr nicht nach Hause! Ich will Emma zurück!! Und ich werde nicht eher nach Hause fahren, bis wir diesen Kerl gefunden haben!” Alex nickte. “Ist ja gut… Allerdings nützt es Emma auch nichts, wenn du umkippst..” Dann schwieg sie. Schließlich waren sie am K11 angekommen. Gerrit schoss hinein, noch bevor Alex richtig aus dem Auto ausgestiegen war.. Sie schloss die Tür und lief ihm hinterher. “Hast du ihn gefunden, Michael?” fragte er, noch bevor dieser etwas sagen konnte. “Nein.. Tut mir Leid, Kollege, ich hab alles durchsucht, der Kerl ist in keiner der Dateien..” “Das KANN nicht sein!” antwortete Gerrit sichtlich fertig und stieß Michael beinahe von seinem Stuhl. “Hey”.. sagte dieser nur, doch weiter sagte er nichts, denn er konnte Gerrits Gefühle nachvollziehen. Auch ihm ging das ganze unter die Haut. Er mochte Emma, und wenn er sich vorstellte, dass jemand Mike.. Nein, lieber nicht… Nun war Gerrit dabei, die ganzen Dateien von vorne durchzugehen. Und obwohl Michael sich sicher war, dass das keinen Sinn hatte, stand er daneben und sah sich alles noch einmal an. Auch Alex kam dazu. “Irgend etwas gefunden?” fragte auch sie. Michael schüttelte nur den Kopf. Alex seufzte.

Nach einigen Minuten, die Gerrit wie Stunden vorkamen, fragte Alex schließlich: “Wie lange willst du noch suchen, Gerrit. Er ist nicht in der Datei; Michael hat schon alles nachgesehen! Wir müssen anders vorgehen..” “Und wie? Wie meinst du finden wir ihn?? Vielleicht hat Michael ja etwas übersehen..” und er suchte weiter.

Dann kam der Staatsanwalt hinein. “Es ist eine männliche Leiche in einem Kofferraum eines Autos in einem Waldgebiet in der Nähe des Waldstückes gefunden worden, in dem Ihr Wagen geortet worden ist..” Gerrit und Alex schauten auf. “Eine männliche Leiche??” fragte Gerrit. Er wusste nicht wieso, aber irgendwie schwante ihm böses. “Ja” antwortete Staatsanwalt Kirkitatse. “Der Doc ist bereits dort und erwartet Sie. - Ach, Herr Grass, ich habe gehört, was passiert ist, und das tut mir sehr Leid. Allerdings dürften Sie wegen persönlicher Involviertheit in dem Fall gar nicht weiter ermitteln!” Gerrit sah den Staatsanwalt an. In seinen Augen standen Tränen - und nackte Wut: “Ich werde weiterermitteln. Und ich werde meine Nichte finden! Mit, oder ohne Ihre Unterstützung!” Auch Alex und Michael stellten sich zu ihrem Kollegen und baten ebf. darum, ihn weiterermitteln zu lassen. Schließlich gab er sich geschlagen: “Nun gut, aber er steht unter Ihrer Obhut!” sagte er dann an Alex und Michael gewandt. “Sorgen Sie dafür, dass er keine Dummheiten macht..” Und dann ging er. Michael und Alex sahen sich an, dann fragte Gerrit, der schon halb am Ausgang stand: “Und, kommt ihr jetzt mit zum Leichenfundort?” Alex und Michael nickten. Sie fuhren alle drei zusammen zu dem Ort, den ihnen der Staatsanwalt genannt hatte.

Dort angekommen, gingen sie schnurstracks zu dem Bach, aus dem das Auto geborgen worden war. Es war ein alter roter VW. Gerrit wusste nicht wieso, aber aus irgend einem Grund lief ihm ein Schauer über den Rücken. Der Staatsanwalt hatte ja gesagt, dass es eine männliche Leiche war, aber… Als sie dann vor dem Wagen standen, und die Kollegen den Blick auf die Leiche frei gaben - vor der bereits der Doc kniete - fiel Gerrit auf den Waldboden. Auch Alex und Michael stießen entsetzte Schreie aus. Es war Emmas Entführer! Sie erkannten ihn sofort. Gerrit konnte es kaum fassen. Das musste ein Alptraum sein, das war nicht real! Doch dann kamen Michael und Alex zu ihm und halfen ihm hoch. “Gerrit? Alles klar bei dir? Komm hoch..” sagte Michael. Gerrit stand langsam auf und schwankte zum Doc. Er war noch sehr schwach auf den Beinen.. Der Doc hatte von der Leiche aufgeschaut, als Gerrit neben ihm auf den Boden gesackt war und fragte jetzt besorgt: “Was ist denn mit ihm los? Geht´s dir nicht gut, Gerrit?” Dieser antwortete nicht sondern starrte immer noch wortlos auf die Leiche. Stattdessen sagte Alex: “Das ist der Mann, der Emma entführt hat.” Der Doc starrte nun von der Leiche zu Gerrit.. “Ach du Sch… Wirklich?? Also ich kann dich zumindest in dem Punkt beruhigen; noch eine Leiche wurde hier nicht gefunden..” Gerrit hatte Tränen in den Augen. Ob ihn die Worte des Docs wirklich beruhigt hatten, wusste er nicht - er hatte sie kaum gehört - was ihm wirklich im Kopf herumspukte war die Überlegung, was wohl mit Emma passiert war. Irgendjemand, den sie nicht kannten, der völlig neu in diesem ”Spiel” war, hatte den Entführer getötet - doch warum?? Und wo war Emma?? Wo war sie bloß? In wessen Händen war sie nur gelandet?? Eines wusste er, wer auch immer derjenige war, der Emma nun in seiner Gewalt hatte, dieser jemand hatte keine Skrupel. Dieser schreckte anscheinend nicht einmal vor Mord zurück und das hatte ein ganz anderes Kaliber als dieser Bankräuber. Gerrit rannte hinter einen Baum und übergab sich…

Als er fertig war, ging er zu dem Bach um sich den Mund abzuwischen und danach ging er langsam zurück zu seinen Kollegen. Er hörte Michael und Alex mit dem Doc reden: “.. kannst du schon sagen, wie lange er schon tot ist?” fragte Alex gerade. “Nein, das ist schwer zu ermitteln ohne Obduktion, da Wasser in den Kofferraum eingedrungen ist.. Aber ich würde sagen nicht länger als 1 Stunde.. Was man sehen kann ist, dass er erschossen wurde. Ein Treffer mitten ins Herz. Der Schuss war sofort tödlich und er wurde nicht hier ermordet.. Alles Weitere muss ich in der Obduktion feststellen..” Alex und Michael hatten Gerrit wahrgenommen, der blass neben ihnen stand. Er schien geistig völlig weggetreten zu sein, Alex machte sich Sorgen. “Gerrit, ist alles in Ordnung? Vielleicht solltest du doch nach Hause…” Gerrit schüttelte nur den Kopf. “Kannst du wirklich nicht mehr sagen, Doc? Irgend etwas was uns weiterhelfen kann??” Der Doc schüttelte den Kopf. “Nein, Gerrit. Wie gesagt, ich muss die Leiche obduzieren…” “DANN TU DAS ENDLICH, WAS STEHST DU DENN HIER NOCH SO RUM???” platzte es aus Gerrit heraus. Der Doc zuckte vor ihm zusammen, sagte aber nichts. Michael sah Gerrit an. “Gerrit… Hör mal, wir verstehen dich, wirklich! Aber der Doc kann auch nichts dafür..” Gerrit senkte den Kopf und sagte leise: “Tut mir Leid, Doc.. Ich, ich kann nur nicht mehr..” Der Doc nickte langsam. “Kann ich nachvollziehen, wirklich.. Ich versprech dir, Gerrit, ich werde die Obduktion so schnell wie möglich durchführen - und sobald ich etwas herausgefunden habe, melde ich mich bei euch! In Ordnung?” Gerrit nickte nur. Er war extrem blass geworden.. Dann stieg der Doc in den Leichenwagen und fuhr davon. Alex und Michael sahen sich an. “Wir sollten zurück zum K11.. Vielleicht finden wir ja doch etwas.. Wir haben ja evtl. doch noch nicht alle Bilder durch..” sagte Michael, doch in Wirklichkeit wusste er, dass sie im Moment keine Chance hatten. Sie mussten auf die Ergebnisse des Docs warten, die allerdings noch etwas dauern würden. So fuhren sie zurück zum K11...

 

Währenddessen war der Dealer zurück gekommen und hatte sich einen weiteren Teil der weiteren Vorgehensweise zurecht gelegt. Die Leiche war er losgeworden ohne Spuren zu hinterlassen, davon ging er zumindest aus. Was er jetzt natürlich herausfinden musste war, zu welchem Bullen und zu welchem Kommissariat die Kleine gehörte.. Dazu musste er sie erst einmal wieder wach bekommen… Er ging zu seinem Schrank und holte ein Aufputschmittel heraus. `Die wird gleich singen wie eine Lerche´ dachte er, und gleichzeitig holte er ebf. das Beruhigungsmittel aus dem Schrank - für danach. Sie sollte sich wieder “schlafen legen”, wenn sie ihm gesagt hatte, was er hören wollte. Und am besten für immer… Dann ging er runter in den Keller..

Emma war immer noch bewusstlos. Sie atmete flach und ihr Puls war verlangsamt. Der Dealer schlug ihr zuerst mit der Hand ins Gesicht, doch sie wachte nicht auf. Dann nahm er ihren Arm und setzte ihr die Spritze mit dem Aufputschmittel hinein.

Nach einigen Minuten regte sich Emma langsam. Sie kam aus einem dunklen, dunklen Tunnel heraus, in dem sie scheinbar gewesen war, und sie wusste zuerst nicht, wo sie war. Als sie die Augen öffnete, musste sie sie direkt wieder schließen, denn es war viel zu grell - obwohl es in dem Keller eigentlich ziemlich dunkel war. Doch durch das Aufputschmittel war sie empfindlich gegen Licht. Dann spürte sie einen harten Schlag ins Gesicht. Emma stöhnte und plötzlich erinnerte sie sich wieder. Sie keuchte. “Nein, bitt.. Bitte tun Sie mir nichts..” sagte sie leise. Sie konnte kaum sprechen. “Das kommt auf dich an.. Du wirst mir jetzt einige Fragen beantworten und dann werde ich sehen, was ich weiter tun werde…” sagte er und seine Stimme klang bedrohlich. Emma würgte. Ihr war schlecht. Vor ihrem Auge tanzten Sterne, und sie fragte sich die ganze Zeit, was er ihr wohl gespritzt hatte. Denn das sie etwas bekommen hatte konnte sie fühlen, ihr Arm tat wahnsinnig weh. Zudem kamen auch noch Bauchkrämpfe dazu.. Plötzlich musste sich Emma übergeben. Der Dealer wartete angewidert ab und trat ihr, als sie fertig war brutal in die Seite. Emma kreischte auf. “Bist du endlich fertig?? Ich habe nicht ewig Zeit..” Emma keuchte nur noch. Dann nickte sie. Ihre Schmerzen stiegen an. Der Dealer kümmerte sich nicht darum, er kniete sich wieder zu ihr, drehte sie zu sich hin und sagte mit klarer, kalter Stimme: “Du sagst mir jetzt wie genau dein Onkel heißt und in welchem Kommissariat er arbeitet! Und ich will ALLES wissen! Na LOS!!” Emma fragte nicht. Sie erzählte ihm alles. Sie gab ihm Gerrits Namen, die Adresse des K11 - und sogar seine Privatadresse. Es war beinahe, als wäre zu dem Aufputschmittel noch ein Wahrheitsserum hinzugekommen.. Als sie fertig war, war der Dealer zufrieden. Er hatte mehr Informationen bekommen, als er eigentlich gewollt hatte. Vielleicht könnte er ja davon noch einiges brauchen..

Schließlich stand er auf und nahm die andere Spritze, die bis oben hin voll war, in die Hand. Er hatte sehr viel von dem Beruhigungsmittel eingefüllt, denn er wollte nicht, dass Emma wieder aufwachte. Er würde ihr eine Überdosis verabreichen, denn es durfte keine Zeugen geben. Dann ging er zu ihr. Emma starrte ihn an. Ihre Augen waren glasig und sie fieberte, doch das sah er gar nicht. Er sagte mit kalter Stimme: “Das wird das letzte sein, was du sehen wirst, meine Kleine..” und dann nahm er ihren Arm und stach ihr die Spritze hinein. Emmas Herz raste. Sie fühlte das Mittel - oder die Droge? - in sich fließen, sie bekam Panik. Sie wusste nicht, was es war, was sie da gespritzt bekam, doch es war viel - zu viel vermutlich, das ahnte sie noch; und dann verlor sie erneut das Bewusstsein. Er sah ihre Augen flackern - dann wurde sie bewusstlos. Der Dealer verließ den Keller und ließ sie liegen..

Dieses Mal war es nicht nur eine Ohnmacht. Es war eine tiefe und lebensbedrohliche Bewusstlosigkeit. Emmas Herz begann, unregelmäßig zu schlagen. Die verschiedenen Mittel und die Überdosis waren lebensgefährlich. Gerrit und die anderen hatten nicht mehr viel Zeit…

 

Währenddessen liefen die Ermittlungen auf Hochtouren. Gerrit saß wie auf heißen Kohlen, während sie eine neue Information von Doc Eisleben warten mussten. Sie hatten mittlerweile wirklich alle Verbrecherdateien durch, doch auch beim dritten Durchgang musste Gerrit feststellen, dass es sich nicht anders verhielt, als bei den ersten beiden. Der Entführer war einfach nicht zu finden! Das hieß, er war definitiv nicht vorbestraft… Auch Fingerabdrücke, die die Spurensicherung mittlerweile vom Tatort sicher gestellt hatte, hatten nichts gebracht. Gerrit war die pure Verzweiflung ins Gesicht geschrieben; und Alex und Michael hätten alles getan, um ihm zu helfen. Doch sie wussten selber nicht, wie es weiter gehen sollte.


Dann klingelte das Telefon. Gerrit war in Windeseile am Apparat, obwohl es eigentlich Michaels Schreibtisch war; aber dieser sagte nichts dazu. Alex und er stellten sich neben Gerrit und dieser stellte das Telefon auf laut. Es war der Doc: “Hallo Gerrit, hören Michael und Alex auch zu?” Gerrit antwortete: “Ja, hast du was Neues für uns?” Er wollte endlich Neuigkeiten erfahren und kein langes Rumgefasel hören. “Ja, das habe ich. Also…” Alex fiel auf, dass der Doc etwas herumdruckste, und das gefiel ihr gar nicht. Schließlich fragte sie: “Doc, was ist los? Du klingst so.. Merkwürdig. Ist irgend etwas nicht in Ordnung?” Sie merkte wie Gerrit zusammenzuckte. `Blöde Frage´ dachte sie, natürlich war nichts in Ordnung.. Nach einer längeren Pause antwortete der Doc endlich: “Najaa, wie man es nimmt. Also was ich jetzt sagen kann, ist wie schon bei der ersten Untersuchung, dass der Mann erschossen wurde. Ein Schuss, mitten ins Herz..” Gerrit unterbrach ihn genervt. “Das hast du doch schon am Bach gesagt! Was kannst du uns Neues mitteilen??” Alex legte ihm eine Hand auf die Schulter. Jeder Muskel war angespannt, das fühlte sie. “Beruhige dich”.. flüsterte sie ihm zu. Dann hörten sie den Doc weiter reden: “Ja, entschuldige.. Also, was ich noch herausfinden konnte, ist der ungefähre Todeszeitpunkt. Ich kann ihn jetzt auf ca. eine Dreiviertel- bis eine Stunde eingrenzen. Und.. Also, da ist noch etwas…” Er fing wieder an rumzudrucksen, und dieses Mal platzte Michael der Kragen. “Doc, wenn du uns was zu sagen hast, dann tu das endlich; wir sind auf jede neue Information angewiesen; wir kommen hier nicht weiter!” “Ok,.. Ja, ich hab was neues raus gefunden. Und, ehrlich gesagt fällt es mir nicht leicht, das zu sagen, aber.. Also das Opfer hat kurz vor seinem Tod eine nicht geringe Menge Drogen zu sich genommen. Kokain, um genau zu sein. Es war noch alles im Blut zu finden. Es ist wohl nicht auszuschließen, dass er sich das Zeug bei einem Drogendealer geholt hat, bevor dieser ihn.. Und was Emma angeht.. Wenn sein Dealer der Mörder war, dann… Aber das müsst ihr raus finden. Mehr kann ich im Moment leider noch nicht sagen, aber ich bin noch dran. Ich meld mich dann wieder…” Dann legte er auf. Gerrit hatte sich auf die Heizung gesetzt. Auch Michael und Alex brauchten einige Sekunden bis sie wirklich begriffen hatten. Also mussten sie jetzt nach einem Drogendealer suchen, der auch vor Mord nicht zurück schreckte. Michael setzte sich sofort wieder an seinen Computer und suchte die Datei noch einmal ab - dieses Mal nach sämtlichen Drogendealern, die auch wegen Mordes oder anderen Gewalttaten vorbestraft waren.

Alex war in der Zwischenzeit zu Gerrit getreten: “Gerrit? Gerrit! Ist alles in Ordnung??” Eigentlich wusste sie, das nichts “in Ordnung” war, aber was sollte sie denn sonst fragen? In Wirklichkeit wusste sie, dass nichts was sie sagen würde, Gerrit helfen würde. So hilflos hatte sie sich ihm gegenüber noch nie gefühlt. Gerrit hatte nicht geantwortet. Alex war sich nicht mal sicher, ob er sie überhaupt verstanden hatte. Er starrte die ganze Zeit nur scheinbar ins Leere.. So langsam wurde es Alex doch unheimlich. Sie schüttelte ihn: “Gerrit!!! Sag doch endlich was! GERRIT!!!” Dann sah er sie an als wäre sie ihm jetzt erst aufgefallen. “Alex… Schon gut..” Er sagte nichts weiter, sondern ging hinüber zu Michael. “Michael, schon jemanden gefunden, der irgendwie auffällig ist?” Michael schüttelte den Kopf: “Nein, leider noch nicht. Die meisten sitzen noch alle.. Aber ich bin ja noch nicht fertig..”


In diesem Moment kam ein Bote herein und brachte ihnen ein Päckchen. “K11? Für Gerrit Grass” sagte er. Gerrit nahm ihm das Päckchen aus den Händen und Michael und Alex sahen sich stirnrunzelnd an. “Was ist das denn jetzt?” fragte Michael. Alex zuckte mit den Achseln. “Keine Ahnung.. Lass es uns aufmachen, dann wissen wir´s..” “Hoffentlich keine Bombe” murmelte Michael, und stand von seinem Stuhl auf. Irgendwie hatte er ein ganz übles Gefühl; und mit seiner Vermutung, es könnte eine “Bombe” sein, hatte er nicht mal so unrecht.. Gerrit hatte sich sofort daran gemacht, das Paket zu öffnen. Dann hörten Michael und Alex einen unterdrückten Aufschrei. Sie gingen zu ihm. “Was ist los??” fragte Alex besorgt. Gerrit reichte ihr einen Zettel. Er war alles gewesen, was in dem Päckchen enthalten war. Michael und Alex lasen, was auf dem Zettel stand; es war mit Buchstaben aus Zeitschriften zusammengeschnitten:


“an Gerrit Grass; Kommissar im K11:
Ich habe Ihre Nichte in meiner Gewalt.
Wenn Sie sie jemals lebend wieder sehen wollen, dann tun Sie genau, was ich sage! Ich will 500.000 €
Und keine Tricks! Keine markierten Scheine.
Weitere Instruktionen folgen.
Wenn Sie tun was ich sage, sehen Sie ihre Nichte wieder;
sonst ist sie tot!
PS: Ich weiß, wo Sie wohnen!”


Alex ließ den Zettel sinken. “Oh du großer Gott.. Auch das noch…” Gerrit ließ ein ersticktes Keuchen hören. Dann sank er auf den Boden und begann zu weinen. Nach dem ersten Schock hatte sich Michael wieder im Griff. “Also so wie es aussieht, ist der Täter nicht dumm. Er weiß vermutlich, dass wir ihn orten könnten, wenn er ein Telefon benutzt, daher hat er uns bzw. Gerrit eine Nachricht in Schriftform zukommen lassen. Und noch dazu mit Hilfe von Zeitschriften; vermutlich, damit man seine Handschrift nicht analysieren kann…” “Woher weiß der Scheißkerl, wo ich wohne?? Das kann er doch nur von Emma wissen.. Oh Gott, wer weiß was er ihr angetan hat..” Gerrit war wieder aufgestanden und Michael legte einen Arm um ihn. “Hey, Kollege, wir finden sie! Ganz bestimmt. Wir werden sie finden und sie wird leben! Sie ist bestimmt am Leben.. Ganz bestimmt…” Er wusste selber nicht, ob er das glauben sollte... Alex sah Gerrit an. Er sah so schlecht aus… Es machte sie wirklich fertig, dass sie ihm nicht helfen konnte. Dann sagte Michael: “Die Frage ist durchaus berechtigt, Gerrit.. Was will uns der Typ damit sagen, dass er weiß, wo du wohnst..” Doch Gerrit hatte gar nicht weiter zugehört. Er sagte nur: “Wir werden zahlen! Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir werden das Geld aufbringen und dann auf die weiteren Instruktionen warten!” Alex und Michael sahen ihn an und schließlich sagte Michael. “Wir reden mit Staatsanwalt Kirkitatse. Wir werden das Geld schon auftreiben, mach dir da mal keine Sorgen..” Doch sowohl ihm als auch Alex war bewusst, dass 500.000,00 € kein Zuckerschlecken waren. Wo sollten sie auf die Schnelle so viel Geld auftreiben?…

 

Einige Zeit später war der Staatsanwalt ebf. Eingeweiht worden. Er stand zusammen mit Alex, Michael und Gerrit im K11 und sie diskutierten heftig. “500.000,00 €?? Soviel Geld können wir nie im Leben auftreiben.. Herr Grass, ich weiß, was Ihnen Ihre Nichte bedeutet, aber das ist völlig unmöglich…” Gerrit ließ ihn nicht ausreden. Er war mittlerweile der völligen Verzweiflung nahe und schrie den Staatsanwalt an: “Ich werde das Geld auftreiben; und wenn es das letzte ist, was ich tue! Dieser Bastard hat meine Nichte; und er droht damit, sie zu töten; wer weiß, was er ihr schon angetan hat? Ich werde nichts tun, was ihr Leben noch zusätzlich gefährdet; haben sie verstanden??” Michael legte seinem Kollegen und Freund beruhigend den Arm auf die Schulter, doch der zuckte zurück. Der Staatsanwalt sog die Luft ein, dann antwortete er ruhig: “Herr Grass, ich denke es ist Ihrer Anspannung zu “verdanken”, dass Sie so.. unangemessen reagieren. Ich werde es einfach mal dabei belassen.. Ich werde alles versuchen, doch versprechen kann ich Ihnen die halbe Million jedenfalls nicht.. Doch ich werde mein Bestes tun. Wie viel Zeit haben wir noch? Hat der Erpresser eine Zeitangabe genannt?” Gerrit schüttelte den Kopf. “Nein, es steht nichts da; wahrscheinlich wird er sich auf irgendeine Weise noch einmal melden… Herr Kirkitatse, es, tut mir leid.. Ich war vorhin etwas..” “Schon gut, ich sagte ja schon, ich kann es nachvollziehen. Ist schon vergessen. Ich werde mich um die Beschaffung des Geldes kümmern, und Sie versuchen, etwas über diesen Brief herauszufinden. Fingerabdrücke, Spuren, etc..” Daran hatten Michael und Alex auch schon gedacht und Alex hatte bereits die Spurensicherung informiert. Ein Kollege kam gerade herein, um den Brief abzuholen. Dann war auch der Staatsanwalt verschwunden. Verzweifelt sah Gerrit von Michael zu Alex. “Wie geht es nun weiter? Haben wir irgendwelche Spuren? Michael, du hast doch die Datei nach Drogendealern und Gewaltverbrechern durchsucht.. Hattest du da schon Glück??” Michael schüttelte den Kopf. “Nein, hatte ich nicht. Wie gesagt, die meisten sitzen noch. Aber ich hatte es ja noch nicht abgeschlossen..” Er setzte sich erneut an seinen Schreibtisch und suchte weiter. Gerrit schaute ihm über die Schultern. Normalerweise hätte ihn das nervös gemacht, aber dieses Mal sagte Michael nichts. Er wollte diesen Mistkerl selber endlich fangen…

Zur gleichen Zeit war der Dealer - Eduardo De Leoni, bzw. “Edo”, wie er von seinen “Freunden” genannt wurde - dabei, den Kommissaren den nächsten Tipp zu geben, wo sie die halbe Million hinbringen sollten. Er hatte die Handschuhe angezogen und schrieb den nächsten Brief.

Als er fertig war, verließ er erneut sein Versteck um den Brief - erneut als Paket getarnt - zur Post zu bringen. Dieses Mal zu einer anderen Poststelle, sonst würde es auffallen. Er ging wie beim ersten Mal auch in eine weniger besuchte Seitengasse und hielt einen jungen Mann an, dem er einen 100,00 €-Schein in die Hand drückte. “Hey, willst du dir ein paar Kröten verdienen? Gib das Päckchen für mich bei der Poststelle da hinten ab, und tu so, als wäre es von dir! Das ist alles!” Der Junge sah ihn verdattert an. “Was, wieso? Was ist denn da drin?” wollte er wissen, doch “Edo” schüttelte den Kopf. “Keine Fragen. Wenn du das Geld nicht willst, kriegt es ein anderer..” und wollte ihm die 100,00 € wieder entreißen. Der Junge schüttelte den Kopf. “Ist schon gut, ich mach´s.. Aber is´ nichts illegales, oder?” Edo zog die Augenbrauen hoch. “Frag nicht so viel; tu einfach, was ich sage, oder es macht jemand anderes!” wiederholte er noch einmal, und dann steckte sich der Junge das Geld ein und setzte sich in Bewegung. Edo drehte sich um und ging genauso unbemerkt wie er gekommen war, zurück. Er hatte noch etwas anderes zu erledigen…

Während Michael, Gerrit und Alex weiter die Dateien durchgingen, und Edo seinen “Geschäften” nachging, hatten zwei Jungs den Wald durchstreift, in dessen Nähe sich der Tatort befand. Es waren zwei Ausreißer, die die Schule schwänzten. Die Freunde waren beide 16 Jahre alt. Sie wussten, dass es nicht in Ordnung war, was sie da machten, doch beide dachten nicht weiter darüber nach. Der Tag war einfach zu schön… Dann sahen sie ein altes Haus, ganz versteckt, sie wären beinahe daran vorbeigelaufen; doch dann blieb Rick, einer der beiden Jungs stehen, und rief: “Hey, Andy, warte mal! Sieh mal, das coole Haus da hinten! Lass uns da mal schauen gehen.” Andy kam zu ihm hingelaufen. “Hey Mann, was willste denn da??” Rick sah ihn mit einem Leuchten in den Augen an. “Mann, nur mal schauen! Los, komm schon..” Dann lief er vor und Andy folgte ihm schließlich. Irgendwie war er doch neugierig geworden… Die Jungs kamen schließlich vor dem Haus an und blieben vor einem Fenster stehen. Sie fragten sich schon, warum es so abgeschieden war, doch dachten nicht weiter darüber nach. Die Jungs bemerkten, dass die Fenster verdunkelt waren, und sehr viel konnten sie nicht erkennen, als sie versuchten, hindurch zu schauen.. Schließlich schlug Rick völlig enthusiastisch vor: “Los, wir gehen rein! Das Haus ist verlassen, da wohnt bestimmt keiner mehr.. Lass uns doch mal drinnen umsehen!” Andy sah ihn an als wäre er von einem anderen Stern. “Wir sollen EINBRECHEN?? Bist du verrückt?? Ich denke, so langsam drehst du durch. Das können wir echt nicht machen!” “Angsthase” erwiderte Rick verächtlich. “Wenn du nicht willst, dann lass es eben! ICH geh jedenfalls rein!” und dann wartete er nicht länger sondern ließ Andy einfach stehen und lief zur Tür. Andy seufzte. Wenn sein Freund sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann machte er das auch… Also folgte er ihm. Alleine hier draußen war genauso dämlich. Sie standen vor der Tür und nach einigen Sekunden hatte Rick sie geöffnet. “Na los, auf geht´s!” sagte er und Andy folgte ihm. Wohl fühlte er sich nicht gerade.. “Was ist, wenn doch jemand hier ist??” flüsterte er. Ihm war wirklich unbehaglich. Schule schwänzen war das eine, aber einbrechen?? In was für einen Schlamassel hatte Rick ihn nur wieder rein gerissen. Das würde echt Ärger geben… “Ach man, hab doch nicht immer so einen Schiss..” schnauzte Rick ihn an. “Sieh dir nur mal diese Bude hier an.. Man, ist die geil!” Rick sah sich um. “Ja, echt klasse..” brummte Andy. Er hatte genug, und wollte nach Hause. “Eh, komm. Lass uns gehen; wir hatten unseren “Spaß”..” versuchte er es erneut. Doch er hatte immer noch kein Glück. Rick war jetzt richtig in Fahrt gekommen. “Geh doch!” sagte er nur und schaute sich weiter um. Dann entdeckte Rick eine Treppe, die scheinbar in den Keller führte. Jedenfalls ging sie abwärts…

“Hey, lass uns mal die Kellerräume inspizieren” sagte er zu seinem Freund. Andy versuchte gar nicht mehr, Rick aufzuhalten. Alleine wollte er auch nicht zurück gehen, also folgte er ihm. “Man, man, hoffentlich geht das gut!” brummte er nur vor sich hin. Die Jungs stiegen die Treppe hinunter. Schließlich kamen sie unten an und blieben erstmal sprachlos vor Staunen stehen. “Wow.. Das ist ja ein halbes Verlies hier unten..” Andy hatte als erstes seine Stimme wieder gefunden. “Ja, sieht so aus, lass uns mal umschauen” antwortete Rick und lief schon los. Andy stiefelte hinterher. Ihm wurde immer unwohler zumute. Wieso hatte jemand so einen riesigen Keller?? Da stimmte doch was nicht.. Ricks Augen glänzten. Er liebte so was. Andy versuchte es noch einmal: “Rick, hier stimmt was nicht; dieses verlassene Haus, der komische Keller hier.. Oder Verlies, was weiß ich, was das hier ist.. Lass uns gehen, bitte!” Er wurde immer eindringlicher. “Man, Junge, bist du langweilig! O.k, lass uns noch ein paar Minuten weiter suchen. Vielleicht finden wir was interessantes.. Dann können wir ja wieder gehen, bevor du dir in die Hose…”

Dann blieben ihm die weiteren Worte im Halse stecken. Sie waren im hintersten Winkel des Kellers angekommen; es lag nur noch ein kleiner Raum vor ihnen und Rick starrte mit offenem Mund nach vorne. Andy wollte ihn gerade besorgt fragen, was los war, als sein Blick dem seines Freundes folgte. Auch ihm fiel die Kinnlage nach unten und seine Augen wurden groß. “Oh mein Gott.. Was…” fragte er entgeistert. Vor ihnen in dem kleinen Raum lag ein Mädchen auf der Erde. Die Jungs schlossen fast zeitgleich die Augen und öffneten sie wieder, als wollten sie damit ein Trugbild wegwischen, aber das Mädchen lag immer noch da! Schließlich regte sich Andy als erster: “Scheiße.. Was zum Teufel.. Oh man, das kann doch nicht wahr sein!!! Man, wir müssen zu ihr!!” Er lief in den Raum, der offen war. Rick folgte ihm, nachdem auch er sich aus der Schockstarre gelöst hatte. Sie beugten sich zu Emma hinunter, um die es sich handelte. Andy wurde aus der Lethargie gerissen, in der er sich die ganze Zeit befunden hatte, und wurde richtig hektisch. Er fühlte ihren Puls. Dieser war nur noch schwach fühlbar. Auch ihre Atmung war nur noch schwach.. Außerdem hatte sie Einstiche im Arm… Jetzt bekam auch Rick Panik. “Scheiße”.. sagte er nur. Während Andy verzweifelt versuchte, seine schwachen Erste-Hilfe-Kenntnisse in die Tat umzusetzen - hätte er doch besser aufgepasst - nahm Rick sein Handy raus und wollte gerade die Notrufnummer wählen, als sie ein Geräusch über ihnen hörten. Andy fuhr geschockt auf. “Sch…, da kommt jemand!! Was machen wir denn jetzt???” fragte er voller Panik. Rick zog ihn hinter ein Regal, das an der Wand stand. Die beiden Jungs hatten gerade soeben Platz dahinter. Gerade als sie sich dahinter gequetscht hatten, kam Edo hinein. Die beiden Jungs sahen, wie der Mann sich zu dem Mädchen beugte und eine erneute Spritze aus der Tasche holte.

Edo lächelte, dieses Mal war es lupenreines Heroin, das er der Kleinen spritzte. Sie sollte keine Chance haben, jemals wieder aufzuwachen. Da war ihm das Beruhigungsmittel alleine nicht genug. Rick und Andy konnten kaum atmen. Entsetzt sahen sie zu, wie Edo dem Mädchen, dem sie gerade noch versucht hatten zu helfen, etwas spritzte. Sie ahnten, was es war. `Warum hab ich mich überreden lassen…´ dachte Andy nur. Ihm war schlecht. Als Edo fertig war, stand er auf und verließ den Raum…

Rick und Andy mussten etwas tun. Andy wollte noch einmal zu Emma gehen, doch Rick hielt ihn ab. “Wir können nichts für sie tun; wer weiß, wann der Kerl zurück kommt” flüsterte er. “Los, lass uns hier abhauen! Wir müssen zur Polizei!” “Und wie sollen wir hier raus kommen??” flüsterte Andy zurück. Er hatte Panik in den Augen stehen. Rick sah sich im Raum um. “Da ist ein Fenster, und es ist einen Spalt offen! Es ist klein; wir werden Probleme haben, da raus zu kommen.. Aber wir müssen probieren es ganz aufzukriegen; komm!” Andy sah zurück zu Emma. “Was ist mir ihr?? Du kannst sie doch nicht hier liegen lassen.. Was wenn der Kerl zurück kommt..” Rick sah ihn an und starrte dann an ihm vorbei: “Andy, ich weiß, ich hab Mist gebaut, als ich gesagt hab, dass wir hier rein sollen; vermutlich werden wir auch verdammten Ärger kriegen; aber wir haben keine andere Wahl! Der Typ ist viell. noch da oben; und wenn der zurück kommt.. Wer weiß, was der mit uns anstellt.. Und wir kriegen die Kleine nicht durch das Fenster! Wir müssen schauen, dass wir hier wegkommen, und dann zur Polizei!” Andy war schließlich auch überzeugt. Es war das einzig scheinbar vernünftige, was Rick heute von sich gegeben hatte.. “O.k, lass uns abhauen!” Das Fenster war ziemlich hoch und ziemlich klein, doch schließlich schaffte es Andy als erstes mit Ricks Hilfe. Danach stieg Rick auf den kleinen Bretterstapel, den sie als Hilfe genommen hatten. Doch kurz bevor er ebenfalls draußen war, verlor er beinahe den Halt und eines der Bretter prallte auf den Boden. Es gab ein lautes Scheppern. Rick hielt sich gerade noch rechtzeitig fest und Andy half ihm sich hochzuziehen. Dann waren die beiden draußen. “LAUF!!!” schrie Rick ihn an und begann zeitgleich zu rennen, als wenn der leibhaftige Teufel hinter ihm her wäre. Andy überlegte nicht lange und gab ebf. Fersengeld.

Edo hatte das Poltern gehört. Er fluchte. War da jemand im Keller? Er schoss wie der Wind erneut hinunter. Zuerst sah er nichts, doch dann sah er das offene Fenster und fluchte. Es WAR jemand hier gewesen! Er hatte Zeugen gehabt! Was Rick nicht bemerkt hatte war, dass ihm bei der Flucht sein Handy aus der Hosentasche gefallen war. Edo hob es fluchend auf und lief nach draußen. Doch er konnte niemanden mehr sehen, die Jungs waren schon in weiter Ferne. Edo wusste, dass er nichts mehr tun konnte. Vermutlich würde derjenige, der ihn gesehen hatte, nun zur Polizei gehen, und seine Tarnung war aufgeflogen. Das passte überhaupt nicht in seinen Plan! Dann konnte er das ganze vergessen.. Er wusste, dass ihm nur die Flucht blieb. Hier konnte er nicht bleiben. Dann überlegte er noch kurz. Sollte er die Kleine mitnehmen? Aber im Grunde brauchte er das nicht. Sie hatte genug Betäubungsmittel und Drogen in sich; sie würde nicht mehr lange leben, das wusste er. Also würde er sie hier liegen lassen; von ihm aus konnten sie sie ruhig finden; ER musste jetzt verschwinden. Und das tat er auch. Er ließ alles so, wie es war und flüchtete. Alles, was er mitnahm, was Ricks Handy. Diesen “Zeugen” würde er finden, und dann töten.. Und wenn es das letzte war, was er tat…

 

Rick und Andy rannten, was das Zeug hielt. Bis sie schließlich kaum mehr Luft bekamen und Andy nur noch keuchen konnte. Sie waren schon seit Ewigkeiten aus dem Waldstück raus, doch sie rannten immer noch. Schließlich blieb Rick stehen und hielt ihn an. “Wir, wir sind ihn losgeworden; glaub ich..” hechelte er. “Bist, bist du sich.. sicher??” stammelte Andy. Die Jungs sahen sich um. “Ja, bin ich..” antwortete Rick. Er hoffte es jedenfalls. “Wir, wir müssen zur nächsten Polizeistation.. Los! Es geht um die Kleine!” Andy nickte und dann machten sie sich auf, diese zu finden.

Wie es der Zufall wollte, war das nächste Kommissariat, auf das sie nun zuliefen, das K11. Doch das wussten Rick und Andy nicht. Sie rannten immer noch, da sie nicht wussten, ob der Täter ihnen immer noch folgte. Dann kamen sie am K11 an. Sie liefen hinein und rannten fast einen Polizisten über den Haufen. “Nana, nicht so stürmisch.. Wo wollt ihr denn hin?” fragte dieser mit hochgezogenen Augenbrauen. “Wir, wir müssen, also, Sie müssen unbedingt mitkommen; da ist ein Mädchen; also wir haben ein, ein Mädchen gefunden, in einem abgeschiedenen Haus im Wald, und, und wenn sie nicht bald gefunden wird.. Der, der Mann bringt sie um,..” Rick und Andy stammelten und wirbelten die Worte nur so durcheinander, dass der Polizist zuerst gar nichts begriff. Doch als er realisiert hatte, WAS die Jungs da gesagt hatten, kam Leben in ihn. “Kommt mit!” sagte er knapp und führte die beiden zum Raum, in dem sich Michael, Gerrit und Alex befanden. Auch der Staatsanwalt war wieder zurück gekehrt und sie hörten eine heftige Diskussion. Es ging um die Summe, die der Staatsanwalt aufbringen konnte:

“..Es tut mir Leid, Herr Grass, aber ich KANN definitiv nicht mehr als 350.000 aufbringen! Vorerst.”.. In dem Moment ging die Tür auf und der Polizist kam mit Rick und Andy herein. “Entschuldigt, aber ich glaube, die Jungs hier haben eine Entdeckung gemacht! Evtl. haben sie Emma gefunden!” Gerrit, der gerade zu einer gesalzenen Antwort angesetzt hatte, drehte sich um und starrte zuerst den Kollegen und dann die Jungs an. “WAS?? Was hast du gerade gesagt?? Ihr habt Emma gefunden? Wo?” Die Jungs waren etwas verschüchtert, sogar Rick. Sein großer Mund war erstmal verstummt. In was waren sie da rein geraten? Gerrit kam auf die beiden zu. Mit zusammen gekniffenen Augen sah er sie an: “Wo habt ihr sie gefunden und wann?” Schließlich antwortete Andy: “Wir, also wir naja, wir haben Mist gebaut..” Sie wussten, jetzt mussten sie die Wahrheit sagen, es blieb ihnen gar nichts anderes übrig.. “Also, wir haben heute die Schule geschwänzt und sind im Wald spazieren gewesen..” “Komm zur Sache, Junge” mischte sich Michael ein. Sowohl er als auch Gerrit und Alex wurden nervös. “Ja, sicher. Tut mir Leid. Also.. Da haben wir ein Haus entdeckt. Ziemlich versteckt.. Und weil wir neugierig waren, sind wir rein gegangen..” “Du meinst, ihr seid eingebrochen?” hakte Alex nach. “Ja, o.k. stimmt.. Naja, jedenfalls haben wir uns da umgesehen; und auch unten im Keller; und da, da haben wir..” Er atmete einmal tief ein und sagte es schließlich: “Wir haben da unten im Keller ein Mädchen gefunden; die war schon fast tot! Also, sie hat noch geatmet, aber nur noch sehr schwach.. Und dann, wir, wir wollten ihr helfen; aber dann kam dieser Typ; und wir konnten uns gerade noch verstecken. Er hat uns glücklicherweise nicht gesehen.. Er hat… also er..” Andy konnte es nicht sagen. “Was hat er?” fragte Gerrit. Er schwitzte, denn er ahnte, dass es sich um Emma handelte. Es konnte nur Emma sein. “Sag mir, was er mit ihr gemacht hat!” Schließlich half ihm Rick, der sich wieder gefangen hatte. “Als wir sie gefunden hatten, hatte sie Einstiche im Arm.. Und, er, naja, er hat.. ihr was gespritzt.. In den Unterarm.. Ich glaub, Drogen…” Gerrit sackte zusammen und schloss die Augen. “Nein… Oh Gott…” Er musste sich am Stuhl festhalten. Alex kam zu ihm und Michael fragte Rick: “Wo? Wo genau war das? Führt uns hin!” Rick schüttelte den Kopf: “Da gibt es ein Problem.. Ich, ich hab mein Handy da verloren, als wir geflohen sind..” Andy starrte ihn an: “Ne, oder?? Man, dann hat der Kerl doch unsere Nummern; du hast meine Adresse gespeichert! Oh Scheiße…” Michael antwortete nur knapp: “Euch wird nichts passieren, dafür sorgen wir schon, ihr bekommt Polizeischutz; jetzt beschreibt uns, wo wir sie finden und dann bleibt ihr hier und macht ein Phantombild von dem Kerl. Also? Jetzt schnell, zack, zack!” Rick und Andy beschrieben so gut sie konnten die Gegend. Gerrit schwitzte immer mehr. Als sie endlich wussten wo sie hin mussten gab es für Gerrit kein Halten mehr. Er stürzte aus dem Büro, und Michael hatte Mühe, hinterher zu kommen. Alex blieb da und kümmerte sich um die Jungs. “Ruft mich an, ja?” rief sie ihnen noch hinterher.

Gerrit saß dieses Mal am Steuer, und fuhr als ob der Leibhaftige hinter ihm her wäre. Michael sagte erst einmal nichts, aber er machte sich schon etwas Sorgen. Als Gerrit über die 3. rote Ampel gebrettert war, schritt er doch ein: “Gerrit, bitte. Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber wenn du uns umbringst, helfen wir ihr auch nicht; fahr bitte langsamer!” Gerrit reagierte gar nicht. Schließlich waren sie trotz allem heil und unversehrt an dem Waldgebiet angekommen, das die Jungs beschrieben hatten. Alex hatte Kollegen informiert, die hinterher fuhren. Doch Gerrit wartete nicht auf sie. Als sie nicht mehr weiter fuhren konnten, sprang er aus dem Wagen und lief so schnell er konnte. Michael folgte ihm. Sie sprinteten förmlich den Weg entlang - die Jungs hatten ihn gut beschrieben; bis sie schließlich ebf. an dem Haus ankamen. Es konnte nur das Haus sein, eine Alternative gab es nicht. Gerrit zögerte keine Sekunde. Er zog seine Waffe und brach die Tür auf - Mit der Pistole im Anschlag. Michael wollte ihm noch eine Warnung zurufen, doch Gerrit war schon im Haus verschwunden. Michael grummelte etwas in sich hinein und folgte ihm, ebenfalls die Pistole im Anschlag. Er sah sich um, doch er konnte nichts erkennen. Der “Vogel” war anscheinend ausgeflogen..

Dann sah er, dass Gerrit bereits die von den Jungs erwähnte Treppe zum Keller hinunterlief. Er folgte ihm. Die beiden liefen so schnell sie konnten, und Gerrit fühlte eine unbeschreibliche Angst in sich aufsteigen. ´Lass es falscher Alarm sein..´ dachte er noch, doch dann blieb er abrupt stehen. Michael hätte ihn beinahe umgelaufen. “Was ist..?” wollte er gerade fragen, da sah er sie auch. Emma! Es war genauso, wie die Jungs es beschrieben hatten. Gerrit hatte sich aus der Schockstarre gelöst und mit einem Aufschrei stürzte er in den Kellerraum. “EMMAAA - NEEEIIIN…” Er kniete sich zu ihr und nahm ihr Gesicht in seine Arme. Tränen standen in seinen Augen; in seinem Gesicht die pure Verzweiflung. Er tätschelte ihre Wangen - Emmas Gesicht war weiß wie Kreide - “Emma… Bitte… Oh Gott.. Bitte, bitte wach auf... Emma..” Michael hatte sich ebenfalls hingekniet und nahm Emmas Hand um ihren Puls zu fühlen. Sie hatte keinen mehr.. “Gerrit, sie hat keinen Puls mehr.. GERRIT!!” Gerrit wurde langsam aus seiner Lethargie gerissen. Hektisch fühlte er an ihrer Halsschlagader nach, da er es nicht glauben wollte; doch auch da fühlte er nichts. Er schwitzte. Nicht nur wegen der Anstrengung, es war purer Angstschweiß, der aus jeder seiner Poren kam. Dann legte er sein Gesicht an ihren Mund. Auch ihre Atmung war ausgefallen. Sie hatte keine Vitalfunktionen mehr! Keine Atmung, kein Puls.. Gerrit wurde es für kurze Zeit schlecht. Er musste sich zusammenreißen. “Gerrit? Bist du bei dir?? Ich brauch dich! Ich übernehm die Herzmassage und du die Beatmung!” brüllte ihm Michael entgegen, und Gerrit verstand es zwar, aber es kam ihm vor, als wäre sein Kopf in Watte eingewickelt. Er nickte langsam. Während Michael mit der Herzmassage begann und zählte, küsste Gerrit Emmas Stirn und flüsterte: “Bitte, bitte tu, tu mir das nicht an, Emma.. Bitte… Lebe, bitte… Lebe..” Dann war Michael fertig und blökte ihn an: “GERRIT! Du bist dran!” Gerrit riss sich los und überstreckte Emmas Hals um sie zu beatmen - doch etwas stimmte nicht. Er hörte Michaels Stimme, die immer noch von sehr weit her zu kommen schien: “Gerrit, ihr Brustkorb hebt sich nicht! Hat sie etwas im Rachen?” Gerrit tat alles nur noch rein mechanisch. Er öffnete ihren Mund und holte Stücke Erbrochenes heraus. Emma hatte sich mehrfach übergeben. Er schmiss es angewidert fort und machte dann weiter. Es funktionierte! Als er fertig war, begann Michael erneut mit der Herzmassage; und so machten sie weiter, bis sie plötzlich Stimmen hinter sich hörten. Die Kollegen waren angekommen und mit ihnen einige Sanitäter und ein Notarzt. Der Notarzt beugte sich zu Michael und Gerrit herunter und sagte: “Wir übernehmen”. Michael machte ihm sofort Platz, doch Gerrit war nicht fortzubewegen. Er strich Emma immer noch über das Gesicht. Es hatte sich nichts geändert. Sie hatte immer noch keine Atmung und keinen Puls. Der Notarzt sagte zu Michael: “Könnten Sie bitte Ihrem Kollegen sagen, dass er von dem Mädchen fort gehen soll? Wir übernehmen jetzt die weiteren Maßnahmen..” Michael nickte und ging dann zu Gerrit - und legte ihm die Hand auf die Schultern. “Gerrit, komm, lass die Sanis ihre Arbeit machen; wir können nichts tun.. Der Notarzt weiß schon, was zu tun ist.. Komm schon!” Gerrit realisierte ihn gar nicht. Michael machte sich wirklich Sorgen. Jetzt noch mehr als zuvor. “GERRIT!!!” rief er wieder etwas lauter. Dieses Mal registrierte Gerrit ihn und sah ihn langsam an. Seine Augen waren rot, das Gesicht beinahe so kalkig wie Emmas. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und langsam rannen Tränen seine Wange hinunter. “Sie stirbt..” flüsterte er. Michael hatte Mühe ihn zu verstehen, doch er begriff schließlich und schüttelte den Kopf: “Nein, das wird sie nicht! Du darfst sie nicht aufgeben, Gerrit! Los, steh auf und lass die Sanitäter und den Arzt ran. Komm schon!” Schließlich realisierte Gerrit erst, dass die Sanitäter und der Arzt da waren. Er stand auf und stellte sich mit wackligen Beinen an die Wand. Doch stehen konnte er nicht; er sackte ein und starrte auf Emma, die von dem Arzt und den Sanitätern übernommen wurden. Die Sanitäter führten einen Tubus in ihren Rachen ein, und der Notarzt, der bereits versucht hatte, Emma mit der Hand zu reanimieren, und dies schließlich für sinnlos erachtet hatte, war dabei den Defilibrator zu holen und ihn einzustellen. “Defi auf 200! Alle wegtreten!” sagte er und setzte das Gerät auf Emmas freien Oberkörper. Gerrit zuckte zusammen, als der Strom auf Emmas Körper entladen wurde und ihr Körper sich hob und wieder zurück geworfen wurde. Er schloss die Augen - um sie gleich danach wieder zu öffnen. Es war beinahe wie ein innerer Zwang. Der Arzt stellte das Gerät erneut ein - dieses Mal auf 250 Volt - und lud erneut. Es hatte nicht geholfen. Gerrit wurde beinahe wahnsinnig. Er wähnte sich - zum gefühlten 100. Male an diesem Tag - in einem Alptraum. Das war der schlimmste Geburtstag, den er jemals gehabt hatte.. “Bitte, Emma… Komm schon… komm..” flüsterte er, während der Notarzt erneut den Defilibrator auflud - dieses mal auf die höchste Stufe, die er stellen konnte. Die Entladung ließ Emmas Körper einige Zentimeter hoch heben und herunter fallen. Gerrit drehte den Kopf zur Seite und presste eine Hand vor den Mund. Michael hätte ihm allzu gerne geholfen; aber er wusste nicht, wie. Er fühlte sich selber schlecht. Die Sanitäter hatten Emma inzwischen Penizillin und andere Medikamente verabreicht, und während der Notarzt immer noch mit der Reanimation ihres Herzens beschäftigt war, wurde Emma in den Rettungswagen gebracht. Da kam wieder Leben in Gerrit. Er preschte ebf. hinaus und rief: “Ich will mitfahren!” Er wartete die Antwort gar nicht mehr ab sondern stieg mit den Sanitätern in den Rettungswagen. Die sagten nichts dazu. Michael fragte nur: “In welches Krankenhaus bringen Sie sie?” Die Sanitäter beantworteten die Frage knapp und schlossen dann die Türe. Dann fuhr der Wagen los.

Michael stieg in seinen Wagen und fuhr hinterher. Zeitgleich telefonierte er mit Alex, um ihr den Stand der Dinge mitzuteilen: “Hi Alex, hör zu; wir haben sie gefunden; aber es sieht nicht gut aus.. Gerrit ist mit im Krankenwagen und wir sind auf dem Weg ins Krankenhaus” - er nannte den Namen und die Adresse - “aber wie schon gesagt, es sieht echt nicht gut aus; sie hat keinen Puls und keine Atmung mehr; und nicht mal der Notarzt konnte sie per Defi wiederbeleben.. Jedenfalls bis jetzt nicht.. Ich hoffe, dass sich das noch ändert..” Alex war geschockt. Sie hatte mit Hilfe der Jungs ein ganz gelungenes Phantombild des Täters erstellt und wartete nun auf Neuigkeiten. Allerdings hatte sie sich bessere erhofft.. “Oh Sch.. Wie geht es Gerrit?” fragte sie schließlich. “Was denkst du wohl, wie es ihm geht? Er war zum Schluss beinahe genauso weiß wie Emma… Er hat zwar versucht, es zu verbergen, aber es ist ihm nicht besonders gut gelungen.. Ich kann wirklich nur hoffen, dass es den Sanitätern noch gelingt; ich weiß nicht, was er macht, wenn sie..” “Denk nicht mal daran, und wag es nicht, das auszusprechen!” kam es von Alex. ´Eigentlich waren das mal meine Worte an Gerrit´, dachte Michael. “Ja, hast ja recht.. So, bin fast am KH; Ach sag mal, wie geht es eigentlich mit den Jungs voran?” Alex antwortete: “Die werden gerade von den Kollegen vom K9 nach Hause gebracht; der Staatsanwalt hat den Polizeischutz sogar angeordnet. Das Phantombild ist ziemlich gut geworden. Ich bin gerade dabei, es noch mal mit unseren Dateien abzugleichen.. Sobald ich was Brauchbares habe, komme ich ins KH nach.. Sag Gerrit alles Gute von mir - und sagt mir bitte bescheid, wenn ihr was Neues wisst!”

Michael war beim Krankenhaus angekommen. Er bejahte kurz und stieg dann schnell aus dem Wagen aus. Dann raste er die Treppen zum Eingang hinauf - wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm - und gelangte schließlich an die Information. “Mein Name ist Michael Naseband. Die Nichte meines Kollegen ist vor einigen Minuten hier eingeliefert worden; Ihr Name ist Emma Grass. Sie hatte keine Vitalfunktionen mehr, als wir sie gefunden hatten und hat vermutlich Drogen oder andere Stoffe verabreicht bekommen..” Die Schwester nickte. “Ja, das Mädchen ist in der Notfallambulanz. Nächste Tür rechts, geradeaus und dann Linker Flügel. Allerdings können Sie nur bis zum Wartesaal, in die Ambulanz haben Sie keinen Zutritt.” Michael schluckte, nickte kurz und folgte dann der Wegbeschreibung der Krankenschwester. Dann war er angekommen. Als erstes erblickte er Gerrit - zusammengesunken saß er da, den Kopf in die Arme gesteckt. Er sah ihn gar nicht kommen. Michael legte vorsichtig die Hand auf seine Schulter. “Gerrit? Hey, Junge, was ist los? Weißt du schon was neues? Gerrit!” Schließlich sah Gerrit auf und Michael erschrak. Gerrits Gesicht war tatsächlich beinahe so weiß wie Emmas. Und seine Augen glänzten fiebrig. Er realisierte Michael jetzt erst und erwiderte heiser: “Michael.. Nein, sie ist noch in der Notfallambulanz.. Der Notarzt und die Sanitäter haben es nicht geschafft, sie wiederzubeleben.. Den ganzen Weg über, war nur dieser lang gezogene Ton zu hören; ich bin beinahe.. verrückt geworden.. Immer und immer wieder ist sie reanimiert worden; und es war… Es war umsonst…” Erneut traten ihm Tränen in die Augen. Michael konnte nichts sagen. Er hatte gehofft, es würde anders aussehen; obwohl ihm sein Gefühl eigentlich etwas anderes “gesagt” hatte. Manchmal hasste er es, wenn dieses Gefühl recht behielt.. Trotzdem musste er etwas sagen, bevor Gerrit ihm auch noch zusammen klappte. “Gerrit, hör zu; Emma ist, sie ist zäh.. Sie wird das schaffen; bestimmt! Die Jungs, die sie gefunden haben, haben doch erzählt, dass sie noch geatmet hat und Puls hatte, als sie sie gefunden haben; also kann es noch nicht so lange her sein, dass sie ihre Vitalfunktionen verloren hat..” Er wusste nicht wirklich, ob das tröstlich war; eigentlich hörte sich das auch idiotisch an, aber ihm fiel einfach nichts ein, was wirklich hilfreich sein könnte… Die Antwort folgte prompt: “Soll mich das etwa trösten?” funkelte Gerrit ihn an. “Mag sein, dass sie vor einigen Stunden oder meinetwegen noch einer halben Stunde noch Puls gehabt hat, aber sie hat JETZT keinen Puls mehr! Und da ist mir das völlig egal! Sie stirbt trotzdem!!” Michael sah ihn traurig an: “Ich hoffe, dass du dich irrst..” Mehr konnte er nicht sagen. Er wusste es ja selber nicht, ob Emma es schaffen würde. Mehr, als auf die Ärzte zu warten, konnten sie z. Z. nicht tun; und das Warten machte sie mürbe; alle beide…

 

Nach einigen Minuten des Schweigens, die beiden wie Stunden vorkamen, fiel Michael etwas ein: “Sag mal, Gerrit..” fing er langsam an, “hast du eigentlich deiner Mutter bzw. Emmas Eltern schon Bescheid gegeben?” Gerrit sah ihn irritiert an. Dann schlug er die Hände vor dem Kopf zusammen. “Oh Gott.. Nein… Dar.. Daran hab ich gar nicht gedacht.. Meine Mutter denkt, wir würden zusammen etwas unternehmen, und Gabriela und Holger haben überhaupt keine Ahnung… Ich weiß nicht, wie ich ihnen das beibringen soll…” Michael nickte verständnisvoll. “Wenn du willst, ruf ich sie an.. Dann kannst du weiter hier warten..” Gerrit unterbrach ihn: “Nein, lass mal; ich mach das schon..” Mühsam stand er auf. Er fühlte Michaels mitleidige Blicke hinter sich und seufzte. Dann drehte er sich auf dem Weg zum Gang mit den Münztelefonen noch einmal um und sagte: “Kannst du bitte hier bleiben und mir sofort Bescheid geben, wenn es Neuigkeiten gibt?” Michael nickte: “Klar, wo soll ich denn sonst hin?” Gerrit lächelte schwach und ging auf die Telefone zu…


Als er angekommen war, nahm er langsam den Hörer ab und wählte die Nummer seiner Mutter. Seine Hände zitterten, doch er merkte es kaum. Bevor er die Nummer durchgewählt hatte, legte er wieder auf und lehnte sich an die Wand. Es fiel ihm schwerer als er dachte. Doch dann riss er sich zusammen. Er musste es tun! Gerrit wählte erneut. Dieses Mal ließ er es durchklingeln, und dach einigen Sekunden, die ihm wie Minuten vorkamen, nahm seine Mutter schließlich ab. “Gerlinde Grass; ja bitte?” Er konnte im ersten Moment nichts sagen. “Wer ist da bitte?…” fragte Gerlinde bereits etwas ungeduldiger. Bevor sie noch auflegen konnte, sagte Gerrit schließlich: “Mutter, ich bin´s.. Warte…” Seine Stimme klang rau. Am anderen Ende war erst einmal Stille: “Gerrit?? Was ist denn los, du klingst so komisch.. Ist irgend etwas?” Gerrit schluckte. Jetzt war er so weit vorgedrungen, er musste es sagen! “Ja, es ist etwas passiert…” “Ja um Himmels Willen, Junge; lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!! Was ist denn los?? Geht es um Emma? Ist etwas mit ihr?? Sie ist doch beim K11 angekommen, oder? Sie wollte dich überraschen, an deinem Geburtstag..” Gerrit schluckte. “Ja, sie.. sie ist angekommen, heute morgen schon… Aber.. Also…” Er fing wieder an zu stottern. “Gerrit, du sagst mir jetzt SOFORT was los ist! Wird´s bald??” Ihre Stimme war streng. Gerrit schloss die Augen und atmete einmal tief ein und aus. Dann schluckte er und sagte es schließlich: “Emma ist entführt worden…” Er kam gar nicht mehr dazu weiterzureden; seine Mutter schnappte hörbar nach Luft. “WAS??? Oh mein Gott, wie, wann, wo??? Habt ihr denn schon eine Spur?? Was ist denn passiert???” Gerrit versuchte sie zu beruhigen, was allerdings sehr schwer war, denn das Schlimmste hatte er ihr ja noch gar nicht gesagt.. “Mutter, es geht nicht um die Entführung; wir, wir haben sie gefunden..” “Na Gott sein Dank; dann ist ja alles in Ordnung! Wie geht es ihr denn jetzt; und wie ist das überhaupt passiert??” Gerrit schloss erneut die Augen. Gar nichts war in Ordnung. Und das musste er seiner Mutter noch klar machen - und seiner Schwester und deren Mann.. “Mutter, hör mir zu, bitte. Es ist so schon schwer genug… Also, wir haben sie zwar gefunden, aber der Entführer hat sie schwer verletzt. Ihr wurden Drogen verabreicht.. Jetzt ist sie im Krankenhaus und hat einen Ausfall ihrer Vitalfunktionen.. Wir konnten sie leider nicht reanimieren..” Es fiel ihm unheimlich schwer, aber nun war - fast - alles gesagt. Nur eines fehlte noch. Er schluckte und fuhr dann fort: “Momentan ist sie noch in der Intensivstation; Michael ist dort und ich werde auch gleich wieder dorthin gehen.. Ich muss nur noch Gabriela anrufen..” Weiter kam er nicht. Er hörte einen Aufschrei und ein Poltern. Gerrit bekam Panik: “Mutter?? MUTTER?? Ist alles in Ordnung???” Nach einigen Sekunden bangen Wartens hörte er dann die erstickte Stimme seiner Mutter durch das Telefon: “Aber, aber sie stirbt doch nicht? Sie wird doch nicht sterben?? Wie konnte das nur passieren???” Gerrit schüttelte den Kopf. Das wusste er doch selber nicht. Es war doch alles so schnell gegangen… “Ich weiß es nicht, Mutter… Es ging alles so schnell.. Ich schwöre dir, wenn ich es ungeschehen machen könnte..” Gerrits Mutter ließ ihn nicht weiter sprechen: “Hör zu, ich werde sofort kommen! In welchem Krankenhaus seid ihr?” Gerrit nannte ihr den Namen und die Adresse. “Gut, dann werde ich mich sofort auf den Weg machen! Und Gabriela und Holger werde ich informieren..” Gerrit wollte widersprechen: “Aber Mutter, du bist doch viel zu aufgewühlt. Soll ich dich nicht abholen?” “In deinem Zustand?? Ich hör doch, wie fertig du bist.. Nein, bleibt ihr mal da und informiert euch über ihren Gesundheitszustand. Ich veranlasse alles Weitere! Auch das Telefonat mit Gabriela. Ich mach das schon!” “Danke” sagte Gerrit nur, und legte auf. Dann ging er zurück in die Intensivstation..


Während Gerrit und Michael weiterhin auf der Intensivstation auf Neuigkeiten warteten - es war noch kein Arzt bei Michael gewesen - hatte Alex eine Spur gefunden. Durch das Phantombild, das sie mit Hilfe der Jungs erstellt hatten, hatte sie in der Verbrecherdatei weiter gesucht - und war schließlich fündig geworden! Sie wählte Michael an.


Gerrit war gerade wieder zu Michael zurück gekehrt. Michael sah ihn an: “Und? Wie hat sie reagiert?” “Wie meinst du wohl, wird sie reagiert haben? Sie war völlig fertig.. Und sie wird hierher kommen; vorher ruft sie noch meine Schwester an; das will sie mir abnehmen; ich glaube, ich hätte es auch nicht mehr gepackt.. Gibt es Neuigkeiten?” Michael schüttelte den Kopf: “Nein, noch war niemand hier..” Da klingelte sein Handy. Gerrit sah ihn stirnrunzelnd an. “Du weißt, dass du hier nicht telefonieren darfst..” “Ja, weiß ich; aber es ist Alex.. Ich geh mal schnell raus und komme gleich wieder!” Michael lief so schnell er konnte bis zu der Zone, in der telefonieren erlaubt war. Er wollte Gerrit nicht so lange alleine lassen; jedoch ahnte er, dass es etwas Wichtiges sein musste, denn sonst würde Alex ihn nicht anrufen. “Ja, Alex, was gibt´s?” “Michael, hör zu; Ich bin noch mal die gesamte Verbrecherdatei durchgegangen; und dieses Mal hatte ich Erfolg! Ich hab einen Eintrag! Sein Name ist Eduardo De Leoni und er ist vorbestraft wegen Dealerei, schwerer Körperverletzung und Mord…” Michael knirschte mit den Zähnen. “Na toll, die ganz große Nummer… Ist schon eine Fahndung eingeleitet?” “Natürlich, was denkst du denn? Ach ja, und da ist noch was!” “Was denn? Ist noch was passiert?” Alex druckste ein wenig: “Ja”, sagte sie schließlich: “Wir, also wir haben noch ein Päckchen bekommen, es ist gerade eben rein gekommen.” Michael kräuselte die Stirn: “Noch ein Päckchen?? Was für ein…” Dann fiel der Groschen: “Du meinst, noch einen Erpresserbrief??” Alex bejahte seine Frage. “Dann weiß der dieser De Leoni anscheinend noch nicht, dass wir ihn “enttarnt” haben - oder er hat trotz allem, was passiert ist, noch die Frechheit uns ein Erpresserschreiben zu schicken? Was steht denn drin?” Er hörte ein raschelndes Geräusch, dann antwortete Alex: “Er bekräftigt die Forderung nach 500.000 € und hat einen Übergabeort und eine Zeit genannt. Allerdings werde ich daraus nicht schlau; der Ort ist in dem Waldstück, in dem die Leiche des Bankräubers und Emmas Geiselnehmer gefunden wurde..” “Das verstehe ich nicht”, antwortete Michael genervt: “er müsste doch wissen, dass wir ihm auf der Spur sind; nachdem was passiert ist…” “Ja, das verstehe ich ja auch nicht, Michael. Es ließt sich fast so, als hätte er diesen Brief noch VOR der Entdeckung durch die Jungs geschrieben..” Michael unterbrach sie: “Hör zu, ich kann mir da jetzt auch keinen Reim draus machen. Am besten ist, wir schicken zur vereinbarten Zeit die Jungs vom K9 hin. Ich muss jetzt zurück zu Gerrit, der dreht mir sonst noch durch..” “Habt ihr immer noch keine Neuigkeiten?” fragte Alex besorgt. “Nein, leider nicht.. Ich meld mich..” Dann legte er auf und ging zurück zu Gerrit. Dieser saß immer noch wie ein Häufchen Elend zusammen gesunken und mit den Händen über dem Kopf verschränkt. Michael setzte sich langsam zu ihm und legte ihm die Hände auf die Schultern: “War schon jemand von den Ärzten da?” Gerrit sah ihn an und schüttelte den Kopf: “Ich werde noch wahnsinnig, Michael..” sagte er nur. “Wie lange soll das noch dauern…” Michael wusste es auch nicht. Er hatte erst einmal nicht vor, Gerrit etwas von den Neuigkeiten zu erzählen. Es sei denn, er würde ihn danach fragen; aber so sah es vorerst nicht aus. Sie warteten weiter…

 

Während Gerrit und Michael im Krankenhaus auf Neuigkeiten warteten und Alex mit Hilfe der Kollegen vom K9 weiteren Spuren nachging, war Edo auf der Flucht. Er wusste, dass sein ganzer schöner Plan, den er sich zurecht gelegt hatte, misslungen war; und das nur wegen eines einzigen, unachtsamen Augenblicks. Er war wütend. Vor allem auf sich selbst. Aber alles Nachsinnen und Ärgern nutzte nichts. Es war nun mal so gekommen, und er musste sich nun einen neuen Plan ausdenken. Zuerst war seine Wut so groß, dass er daran dachte, die Jugendlichen, die ihn enttarnt hatten, zu beseitigen - Andys Adresse hatte er aus dem gestohlenen Handy und auch Ricks Namen und Adresse hatte er herausgefunden. Doch ihm war bewusst, dass die Jungs nun sicher unter Polizeischutz stehen würden, und dass die Bullen evtl. sogar erwarteten, dass er dort aufkreuzte. `Irgendwann wird es soweit sein´, dachte er; ´aber jetzt noch nicht. Später!´ Vorerst hatte er einen Ort gefunden, an dem er sich verstecken konnte. Allerdings nur vorläufig. Er musste weiterhin vorsichtig sein. Es kam nicht oft vor, dass Edo seine Pläne änderte; denn normalerweise durchdachte er alles bis ins kleinste Detail. Doch seitdem dieser Dilettant aufgetaucht war, und ihm dieses kleine “Anhängsel” mitgebracht hatte, war alles aus dem Ruder gelaufen. `Ich hätte diesen Schwachkopf schon viel früher erledigen sollen´ dachte er. Nun war es zu spät. `Wenigstens eine gute Idee hatte er gehabt; die Erpressung…´ allerdings war da jetzt auch nichts mehr zu machen; das “Objekt” war erledigt.. Edo war in der Zwickmühle. Es passierte nicht allzu oft, dass ihm so etwas passierte, und das frustrierte ihn zutiefst. Er hatte nicht mehr viel Zeit, die Bullen waren ihm auf den Fersen und das Versteck, dass er nun gefunden hatte, war auch nicht wirklich sicher. Doch dann fiel ihm etwas ein. Es war nur ein kleiner Funke, der ihm durch den Kopf ging, doch die Idee begann, langsam Gestalt anzunehmen. Edo nahm einen Laptop, den er in dem Versteck gebunkert hatte, und klickte die Adresse einer Suchmaschine an; dann gab er ein Suchwort ein und wartete auf die Informationen, die da kamen. Nach einigen Sekunden hatte er, was er wollte. Er brauchte noch einige Klicks mehr, um alle Infos zu bekommen; dann lehnte er sich zurück und lachte aus vollem Halse. Als er schließlich fertig war, stand er auf und sah sich noch einmal um: “ab jetzt wird wieder gespielt, Amigos!” sagte er und schnitt eine Grimasse. Dann verließ er das Versteck. Alles, was er einsteckte, war seine Pistole…


Michael und Gerrit waren immer noch im Wartesaal der Intensivstation. Michael hatte in den letzten Minuten versucht, Gerrit wenigstens ein wenig zu beruhigen, aber es hatte nicht viel genutzt. Gerrit war verschwitzt, ungepflegt und völlig entkräftet. Er sah furchtbar aus. Michael machte sich wirklich Sorgen um ihn. Doch Gerrit kümmerte das gar nicht. Er spürte seine Entkräftung nicht. Alles, woran er denken konnte war Emma! “Warum kommen die Ärzte nicht endlich? Warum sagen sie nichts..” fragte er immer wieder. In seiner Stimme klang die pure Verzweiflung. Doch auch Michael konnte ihm die Fragen nicht beantworten; was sollte er auch sagen? Nach weiteren - für beide - qualvolle Minuten, ging schließlich die Flügeltür zur Chirurgie auf. Eine Ärztin kam heraus und bevor Michael ihn noch aufhalten konnte, war Gerrit aufgesprungen und rannte auf sie zu. “Was ist mit meiner Nichte? Sagen Sie es mir; ich sitze schon so lange hier; ich will endlich wissen, was mit ihr ist!” Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Michael war zu ihm getreten, und legte ihm seine Hand auf die Schulter: “Ruhig, Kollege. Ruhig..” Die Ärztin blickte ihn an und lächelte dankbar. “Ich denke, Sie sollten sich erstmal wieder hinsetzen, Herr Grass. Ich kann mir denken, wie Sie sich fühlen. Wirklich! Aber wenn ich ehrlich sein darf, Sie sehen auch nicht gerade wirklich gut aus! Ich meine” beeilte sie sich zu sagen, als sie Gerrits Blick sah, der Wasser zu Eis hätte verwandeln können, “ich meinte natürlich Ihren Gesundheitszustand. Sie sehen erschöpft aus. Das wollte ich damit sagen.” Gerrit blickte sie immer noch leicht säuerlich an. Dann atmete er langsam tief ein und aus und fragte schließlich etwas ruhiger: “Was ist mit Emma? Wie ist ihr Gesundheitszustand? Hat sie wieder Puls und Atmung? Wird sie es überleben? Sagen Sie mir doch endlich etwas, bitte! Ich drehe noch durch!” Michael kam ihm zu Hilfe: “Ich muss meinem Freund recht geben: Wir sind hier schon viel zu lange ohne Informationen.” Die Ärztin nickte. “Dafür bin ich ja jetzt da. Setzen Sie sich bitte wieder.” Sie zeigte auf die Sitze und schließlich “gehorchten” Gerrit und Michael resigniert. Für ihren Geschmack hatten sie schon viel zu lange gesessen. Sie sahen die Ärztin besorgt und doch fordernd an. Besonders Gerrit war die Anspannung anzusehen. Was würde sie ihnen erzählen? Gab es Hoffnung? Hatte Emma es überstanden? Der Ärztin fiel es auffällig schwer, anzufangen. Schließlich atmete auch sie einmal tief durch und begann: “Also, Herr Grass. Wie Sie sicherlich wissen, ist Ihre Nichte mit einem Ausfall sämtlicher Vitalfunktionen hier eingeliefert worden.” Gerrit wurde immer ungeduldiger. Das wusste er doch schon! Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, aber Michael schüttelte nur schweigend den Kopf. Auch die Ärztin fuhr fort, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen: “Es fällt mir wirklich nicht leicht, Ihnen zu sagen, wie es um Ihre Nichte steht, Herr Grass. Zuerst einmal die vielleicht beste Nachricht: Wir haben es zumindest geschafft, durch mehrfache Anwendung des Defilibrators und weitere Reanimation per Hand ihre Herztätigkeit wieder herzustellen. Sie hat nun wieder Puls; allerdings noch sehr schwach..” In Gerrits Augen funkelte es. Er sah die Ärztin an und fragte heiser: “Also wird sie es schaffen, sie hat Puls? Sie lebt!?” Der Ärztin fiel es sichtlich schwer, weiterzureden: “Herr Grass, bitte.. Ich sagte bereits, dass der Puls schwach ist, und muss leider hinzufügen, dass er auch sehr unregelmäßig ist.. Was wir zudem leider trotz größter Bemühungen nicht wieder herstellen konnten, ist ihre Atmung. Sie muss weiterhin künstlich beatmet werden. Und ich muss Ihnen leider noch etwas sagen.” Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: “Wie Sie sicherlich selber schon gesehen haben, hatte sie Einstiche in ihren Armen.. Wir haben Blutproben entnommen und in unserem Labor untersuchen lassen. Sie hat eine hohe Dosis eines schweren Beruhigungsmittels und eine etwas geringere Menge eines Aufputschmittels in sich..” - die Ärztin nannte Namen, doch Gerrit und Michael waren die Präparate unbekannt - “doch was noch schwerer wiegt, ist die sehr hohe Dosis - ich würde sagen, beinahe schon Überdosis Heroin in ihrem Blut.” Gerrit stöhnte auf. Er hatte es geahnt. Das musste die Dosis gewesen sein, die der Bastard ihr gespritzt hatte, als die Jungs ihn beobachtet hatten. Michael ballte stumm die Hände zu Fäusten. Schließlich fragte Michael, der als erster seine Stimme wieder gefunden hatte: “Was tun Sie gegen das Gift in ihrem Körper? Sie müssen doch etwas tun?” Die Ärztin nickte langsam. “Ja, wir sind dabei, ihren Körper zu entgiften. Aber ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Es sieht nicht gut aus. Zuerst einmal, Emma ist nicht bei Bewusstsein. Sie ist in einem komatösen Zustand, hat keine Atmung und ihr Puls ist nicht wirklich stabil. Und dann kommen wie gesagt noch die Drogen hinzu.. Um es auszusprechen; ich kann Ihnen nicht sagen, ob sie es schaffen wird. Die nächsten 24 Stunden sind kritisch. Wenn sie sie überlebt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufwacht, bei ungefähr 60%… Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es tut mir Leid.”


Gerrit hatte sie während der letzten Sätze nur angestarrt. War das ihr ernst?? 24 Stunden?? Und dann nur 60%??? Gerrit wurde schwindelig. Er schlug erneut die Hände vor sein Gesicht. Dann kamen die Tränen. Tränen, die er die ganze Zeit lang verzweifelt versucht hatte, zurück zu halten. Doch nun konnte er es nicht mehr. Sein Körper zuckte und er schluchzte unkontrolliert. Michael wusste zuerst nicht, was er tun sollte. Noch nie hatte er seinen Kollegen so gesehen. Es versetzte ihm einen Stich in die Magengegend. Doch er sagte nicht viel. Er würde für seinen Freund da sein. Auch die Ärztin sah unglücklich aus. Michael ahnte, wie schwer es für sie sein musste, diese Neuigkeiten mitzuteilen. Er nickte ihr zu: “Danke, Dr.” “Nichts zu danken, manchmal macht mein Beruf keinen Spaß.. Wenn ihr Kollege sich etwas beruhigt hat, kann er zu seiner Nichte. Sie ist den Gang entlang und dann die erste Tür rechts .. Allerdings kann erstmal nur er zu ihr.. Ich muss jetzt weiter. Es warten noch andere Patienten auf mich..” Michael nickte. “Ja, ich sage es ihm. Ach ja, es werden wohl noch andere Verwandte kommen, Gerrits Mutter - Gerlinde Grass - und Emmas Eltern, Gabriela und Holger Grass. Allerdings weiß ich nicht genau wann das sein wird..” “Wenn ihre Eltern und ihre Großmutter kommen, können sie natürlich auch in ihr Zimmer. Es sind ja ihre nächsten Verwandten. Sie allerdings gehören nicht zu der Familie, oder?” Michael schüttelte den Kopf: “Nein.. Allerdings bin ich ein guter Freund und Kollege..” Die Ärztin nickte: “Das verstehe ich, allerdings kann ich es erstmal nur gestatten, dass die engsten Verwandten zu ihr gehen..” Michael nickte. Er hatte verstanden. Er würde so lange hier im Krankenhaus bleiben, bis es Gerrit etwas besser ging, dann würde Gerrit zu Emma gehen, und er zurück zum K11! Michael erinnerte sich wieder an Alex´ Anruf, bei dem sie gesagt hatte, dass sie einen neuen Erpresserbrief bekommen hatten. Er hatte es ganz verdrängt, aber nun fiel es ihm wieder ein. Und was ihm noch einfiel, war die Frage, wieso der Dealer den Brief überhaupt noch abgeschickt hatte. Was hatte Alex gesagt? Dass sie den Verdacht hatte, dass der Brief VOR den Geschehnissen in dem Waldhaus geschrieben wurde? Bevor die Jungs Emma gefunden hatten? Und noch ein Gedanke kam ihm. Wann war der Übergabezeitpunkt? Er hatte es entweder nicht mehr in Erinnerung oder nicht danach gefragt.. Auf jeden Fall wurde es Zeit, mit Alex darüber zu reden und sich weiter darum zu kümmern! Sie konnten den Bastard nicht nur dem K9 überlassen! Michael beugte sich zu Gerrit herunter: “Gerrit? Hey, Kollege, geht´s wieder?” Gerrit hatte sich tatsächlich wieder ein wenig beruhigt, und wischte sich die Tränen von den Wangen. Er räusperte sich. Es war ihm tatsächlich peinlich, vor Michael einen Weinkrampf bekommen zu haben. “Geht schon wieder, danke.. Ich werde jetzt zu Emma gehen. Möchtest du mitkommen?” Gerrit hatte nichts von der Unterhaltung zwischen Michael und der Ärztin mitbekommen, deswegen fragte er ihn ob er mitkommen wollte. Michael schüttelte den Kopf: “Nein, ich hatte eben mit der Ärztin gesprochen, als es dir.. Naja, sagen wir mal nicht ganz so gut ging.. Auf jeden Fall sagte sie, dass erstmal nur du und ihre engsten Verwandten - also deine Mutter und ihre Eltern - zu ihr können.. Aber das ist kein Problem; geh du nur - es ist den Gang entlang und dann die erste Tür rechts. Ich werde zurück zum K11 gehen und mal checken, ob es etwas neues gibt.” Er wollte Gerrit immer noch nichts von den neuesten Erkenntnissen erzählen. Gerrit sollte sich wirklich nur auf Emma konzentrieren können. Im Moment war er sowieso nicht in der Lage, mitzuermitteln. Es würde ihn auch vermutlich nur ablenken, und im Moment wussten sie ja selber nicht, was sie davon halten sollten. Also wozu ihn zusätzlich belasten? Gerrit lächelte seinen Freund und Kollegen dankbar an: “O.k, ich werd´ dann mal…” Als er einige Schritte den Gang entlang gelaufen war, drehte er sich noch einmal zu Michael um und sagte leise: “Michael?” Dieser antwortete: “Ja?” “Danke, danke für alles! Du bist echt ein wahrer Freund!” Michael musste schlucken. “Hey, schon gut, nu werd´ mal nicht sentimental, das steht dir nicht so gut..” Aber er lächelte. Gerrit fügte noch hinzu: “Grüß Alex”, dann drehte er sich endgültig um, und ging auf das Zimmer zu, in dem Emma lag. Michael atmete noch mal tief ein und verließ dann im Lauftempo das Krankenhaus, um sich auf den Weg ins Kommissariat zu machen…

 

Währenddessen war Edo dabei, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Während er auf sein Ziel zulief musste er lächeln, als er daran dachte wie einfach es doch war im Internet an Informationen zu kommen. `Ihr werdet euch noch wundern´ dachte er, und grinste böse. Selbst er hätte es sich nicht so einfach vorgestellt, Informationen über das K11 und die dort arbeitenden Kommissare zu erhalten.

Jedoch war es relativ leicht gewesen. Er hatte einfach “Kommissariat 11” eingegeben, und hatte zuerst die Adresse angezeigt bekommen. Dann bekam er Informationen über die dort arbeitenden Kommissare. Gerrit Grass “kannte” er ja schon; mit ihm konnte er auch nicht mehr “spielen”, das war ihm klar. Als nächstes bemerkte er eine gut aussehende Kommissarin namens Alexandra Rietz, allerdings nutzte die ihm herzlich wenig, da er nach weiteren Nachforschungen über sie herausfand, dass sie ledig war, und das brachte ihm nicht viel. Doch dann fiel ihm ein weiterer Kommissar auf: Michael Naseband. Er brauchte nicht lange um heraus zu finden, dass dieser Naseband das Opfer war, das er gesucht hatte; denn nach einigen weiteren Minuten hatte er endlich das gefunden, wonach er gesucht hatte. `Naseband hat einen Sohn!´ hatte er gedacht, und da war es klar gewesen, was er als nächstes tun würde. Es würde nicht mehr lange dauern, dann war er am Ziel angelangt…

In der Zwischenzeit waren Mike Naseband und seine Freundin Chrissie Hauser auf dem Weg in Michaels Wohnung. Mike war z. Zt. für drei Wochen bei seinem Vater und konnte auch seine Freundin mitbringen, wenn er wollte. Michael kannte und mochte sie. Beide hatten keine Ahnung, was sie in wenigen Minuten erwarten würde. Als Mike gerade die Wohnungstür aufschließen wollte, trat ein Mann aus dem Schatten einer Häuserecke. Keiner von beiden hatte ihn kommen sehen. Edo schnappte sich Chrissie und legte ihr die Hand auf den Mund. Bevor Mike etwas sagen oder tun konnte, ließ Edo ihn unmissverständlich in den Pistolenlauf sehen. “Schließ die Tür auf, Bullensohn! Na los!! Und kein Ton; wenn einer von euch beiden den Mund aufmacht, knallt´s! Kapiert??” Mike hatte keine Wahl. Er schloss die Wohnungstür auf und stolperte hinein. Edo schob Chrissie hinterher. Dann waren sie in der Wohnung und Edo ließ Chrissie los. Mike zog sie zu sich hinüber. Chrissie war vollkommen verstört. Mike hielt Chrissie in den Armen und sah Edo an: “Was wollen Sie von uns?” fragte er und sah ihm dabei genau in die Augen. Edo war beeindruckt. `Wenn dieses Früchtchen Angst hat, kann er es gut verbergen´ dachte er - dann zielte er mit seinem Pistolenlauf auf Chrissie, die immer noch schluchzte: “Was ich von dir will, werde ich dir noch sagen; aber was sie angeht.. Also deine Freundin ist eigentlich nicht eingeplant gewesen.. Eigentlich könnte ich sie gut und gerne abknallen; es würde sowieso niemand hören…” Mike hatte schon registriert, dass die Pistole einen Schalldämpfer hatte. Er drückte Chrissies Hand und sagte mit relativ fester Stimme: “Warten Sie; was hätten Sie denn davon, wenn Sie meine Freundin töten? Sie haben sich doch sicher etwas dabei gedacht, mich in Ihre Gewalt zu bringen? Überlegen Sie mal; Zwei Geiseln sind doch bestimmt noch besser für Sie als eine, oder?” Edo amüsierte sich köstlich. “Netter Versuch, Kleiner.. Eigentlich reichst DU mir vollkommen.. Du bist der Sohn eines Kommissars! “Hauptkommissar Naseband” - um genau zu sein.. Und die Kleine da, die interessiert mich nicht die Bohne..” Mike starrte ihn an. “Wollen Sie meinen Vater erpressen? Das können Sie vergessen; der wird nie auf so was eingehen!!” Edo schüttelte den Kopf: “Das du dich da nicht mal irrst, mein Lieber. Aber jetzt ohne Scheiß: Ich habe bereits eine Geisel erledigt. Also denk nicht, dass ich scherze! Die kleine Nichte von Kommissar Grass geht auf mein Konto; ich werde sicherlich keine Skrupel haben, auch DICH auszuschalten.” Mikes Mundwinkel klappte nach unten. Er schloss die Augen, atmete einmal tief ein und aus und fragte dann heiser: “Emma? Was haben Sie mit Emma gemacht?” “Oh, hat dir dein Daddy nichts erzählt?? Ich glaube die liebe kleine Emma ist hinüber.” Er lachte dreckig. Chrissie schluchzte. Auch Mike traten Tränen in die Augen. Er mochte Emma, und ehrlich gesagt verstand er kein Wort. Aber jetzt musste er sich zusammen reißen: “Hören Sie, ich weiß immer noch nicht, was Sie da eigentlich von meinem Dad wollen, aber er wird sich nicht erpressen lassen; er ist Hauptkommissar!!” Er betonte das Wort um ihm mehr Ausdruck zu verleihen, doch Edo war nicht wirklich beeindruckt. “Oh doch, ich denke schon, dass er darauf eingehen wird.. Schließlich will er doch bestimmt sein Söhnchen nicht verlieren.. Und was den Gegenstand der Erpressung angeht.. Also wenn es für die Nichte eines Polizisten eine halbe Million Euro gab, wird doch für den SOHN eines Bullen sicherlich das Doppelte drin sein!” Dann begannen seine Augen gefährlich zu funkeln: “Und zu was ich fähig bin, haben dein Vater und seine Kollegen schon zu spüren bekommen.. Sie werden mich ernst nehmen, glaub mir das!” Mike konnte es nicht fassen. “Eine MILLION?? Sie wollen eine Million Euro erpressen? Sie sind verrückt…” Weiter kam er nicht. Edo war blitzschnell bei ihm und drückte ihm die Pistole an die Schläfe. Chrissie schrie auf. “Sag nie wieder, dass ich verrückt bin; hast du das kapiert, Bullensohn??” zischte er durch die Zähne. Mikes Herz klopfte bis zum Anschlag. Er nickte: “Schon, schon gut, tut, tut mir leid.. Lass… Lassen Sie wenigstens Chrissie gehen, bitte! Sie sagten doch, sie ist nicht nötig für Ihren Plan, Sie haben doch mich!” Edo hatte von ihm abgelassen und ging nun auf Chrissie zu, die unweigerlich vor ihm zu flüchten versuchte. Doch er drängte sie an die Zimmerwand. Mike stand direkt neben ihr, aber er kam nicht gegen Edo an, der sich zwischen sie gedrängt hatte. Edo hielt die Pistole so, dass er Mike in Schach hielt und mit der freien Hand strich er Chrissie durch ihr Gesicht. Sie zuckte. Mike zischte durch die Zähne: “Lassen Sie meine Freundin in Ruhe!” Edo rührte sich nicht einen Zentimeter: “Sonst was?” fragte er scheinbar ruhig, doch Mike spürte die Gefährlichkeit in seiner Stimme. Er musste vorsichtig sein: “Bitte, lassen Sie sie gehen!” Chrissie schluchzte und ehrlich gesagt ging sie Edo auch gelinde gesagt auf den Zeiger. Er überlegte tatsächlich, was er mit ihr anstellen sollte. Auf der einen Seite wäre es das einfachste, sie einfach abzuknallen; es würde durch den Schalldämpfer vermutlich nicht mal jemand hören. Doch auf der anderen Seite war das auch Vergeudung von Munition… Und Edo hatte Lust auf ein Spielchen. Er hatte was er wollte, den Sohn des Bullen. Dieses “Anhängsel” war im Grunde völlig egal. Und er wollte ja, das der Kommissar erfuhr, wo er sich aufhielt; also warum das ganze nicht mit ein wenig Spaß verbinden?? Schließlich hatte er seine Entscheidung getroffen. “Also gut. Heute ist dein Glückstag, Mädel.. Hör mir jetzt genau zu, ich sage es nur einmal! Du hast genau…” Er sah auf seine Armbanduhr und dann auf die Uhr im Wohnzimmer: “10 Min. Zeit um ins K11 zu gelangen um dort “Herrn” Kommissar Naseband darüber zu informieren, dass ich seinen Sohn in meiner Gewalt habe. Ich werde in genau 15 Minuten anrufen und meine Forderungen stellen, und wenn er dann nicht am Telefon ist, wird an seinem Sohn nicht mehr alles so sein wie es jetzt ist.. Habe ich mich klar ausgedrückt?” Die letzten Worte hatte er geflüstert, doch es war laut genug gewesen, dass Chrissie es verstanden hatte. Sie nickte. Sprechen konnte sie nicht. Stattdessen antwortete Mike: “10 Minuten? Wie soll sie es denn bis dahin schaffen? Das K11 ist ziemlich weit weg..” “Das ist ihre Sache.. Wenn sie sich beeilt, kann sie es schaffen. Und wenn sie nicht rechtzeitig da ist.. Dann hat sie deine Unversehrtheit aufs Spiel gesetzt. Sie muss sich eben beeilen.. Ach übrigens, es sind schon” Er sah noch einmal auf die Uhr “…1/2 Min. vergangen.. Du hast nur noch 9 1/2...” Chrissie sah noch einmal zu Mike, der nur nickte. “Geh schon.. Mach dir keine Sorgen, er wird mich nicht erschießen, er braucht mich noch - lebend!” Edo knurrte: “Ja, lebend schon, aber das heißt nicht, dass ich ihm nicht ein Bein oder einen Arm kaputt schießen kann.. Und nun verschwinde! Deine Zeit läuft ab..” Chrissie zögerte nicht mehr. Sie öffnete die Tür, sprintete hinaus und raste zum K11..

 

Chrissie rannte, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Sie sah weder nach rechts noch nach links, und wäre einige Male beinahe von einem Auto angefahren worden, als sie bei rot über die Straße gelaufen war. Doch das realisierte sie gar nicht. Chrissie dachte nur an Mike und daran, es in der vorgegebenen Zeit ins K11 zu schaffen…

Zur gleichen Zeit war Michael auf dem Weg ins K11. Er hatte vorab mit Alex telefoniert und ihr mitgeteilt, dass er nun wieder mitermitteln wollte. Auf ihre Frage, was mit Emma war, und ob er nicht Gerrit weiterhin beistehen wollte, antwortete er ihr wahrheitsgemäß wie es um sie stand und dass es im Moment nicht viel Sinn hatte, dass er im Krankenhaus war. Alex hatte zugestimmt und wartete nun auf sein Kommen; sie rechnete damit, dass er in ungefähr einer Viertelstunde dort war...

Alex hatte sich mit den Kollegen vom K9 abgesprochen, und Informationen mit ihnen ausgetauscht. Auch über das Befinden der beiden Jungs informierte sie sich stetig. Sie machte sich Sorgen. Bis jetzt hatte sie keine beunruhigende Neuigkeit erhalten und das freute sie auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite machte es sie auch nervös. Irgend etwas war im Busch, wieso rührte dieser De Leonie sich nicht? Warum tauchte er nicht auf, um sich an den Jungs zu rächen; was das ganze sehr vereinfacht hätte - sie wurden gut bewacht und er würde sofort festgenommen werden. Er schien etwas zu riechen, und im schlimmsten Fall war er schon über alle Berge - obwohl natürlich auch die Flughäfen und die Bahnhöfe nach ihm abgesucht wurden.. Während Alex noch so ihren Gedanken nachhing, ging die Tür auf und ein sonnengebräunter Robert Ritter trat in den Raum. Er hatte die letzten 2 Wochen Urlaub gehabt - ein absoluter Luxus für die Kommissare, der ihm auch nur gegönnt wurde, weil es in der Zeit vor dem Urlaub relativ ruhig gewesen war und man am ehesten auf ihn verzichten konnte; so schnell würde es keinen so langen Urlaub mehr am Stück geben - und war heute erst wieder aus Gran Canaria zurück gekehrt. Natürlich hatte er keine Ahnung was passiert war und war dementsprechend gut gelaunt. “Hallo Alex. Keine Begrüßung? Dachte, du würdest mir um den Hals fallen..” Die Worte blieben ihm allerdings im Hals stecken, als er Alex´ Gesicht sah. “Was ist los? Du siehst so… besorgt aus.. Ist was passiert?” Alex hatte ganz vergessen, dass Robert heute wieder zurück kommen würde und war erst einmal ganz überrascht. Dann huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. “Ach, Robert; hallo. Tut mir leid, ich hab ganz vergessen, dass du heute wieder kommst.. War der Urlaub schön?” Robert nickte. Es war in der Tat wunderschön gewesen. Und er hatte eigentlich vorgehabt, den Kollegen alles haarklein unter die Nase zu reiben. Es gab ja sonst nicht viel, worum die anderen ihn beneideten, da wollte er es ein wenig auskosten.. Aber nun sagte ihm sein Feingefühl, dass hier irgend etwas nicht stimmte. Alex war merkwürdig zerstreut und wortkarg, und wo waren Gerrit und Michael? “Sind Michael und Gerrit bei einem Einsatz?” fragte er geradeheraus. Alex sah ihn an und schluckte. “Ach ja, du weißt ja noch gar nichts.. Es ist etwas passiert…” Sie fing stockend an und langsam erzählte sie ihm alles, was bis dahin passiert war. Als sie fertig war, war es erst einmal still im Raum. Roberts gute Laune war dahin. Er starrte Alex an und schließlich fragte er heiser: “Und die Ärzte wissen nicht, ob sie durchkommen wird? Der arme Gerrit…” Robert kannte Emma noch nicht persönlich, aber er hatte schon einiges von ihr gehört und das klang so, als ob er sie mögen könnte. “Ja“, antwortete Alex traurig. “Wir können nur hoffen, dass sie durchkommt…”

Weiter kam sie nicht, denn plötzlich ging die Tür auf und ein Mädchen kam in das Zimmer gestürzt. Sie sah vollkommen fertig aus; völlig verweint und wäre beinahe über einen Stuhl geflogen, wenn Alex sie nicht im letzten Moment festgehalten hätte. Sie erkannte das Mädchen erst beim zweiten Hinsehen. “CHRISSIE.. Was zum Henker ist denn mit dir los?? Hey, was ist los???” Auch Robert kam zu ihr und stellte einen Stuhl hinter sie. Gemeinsam setzten sie Chrissie auf den Stuhl, doch diese sprang direkt wieder auf und sah sich gehetzt in dem Raum um. Sie suchte etwas. Dann fragte sie: “Wo, wo ist Michael?? Ich muss ihn sprechen, es ist dringend!! Er muss hier sein!!!” Robert sah Alex an und Alex bekam ein ziemlich übles Gefühl in der Magengegend. “Chrissie, was ist los? Du machst mir Angst! Michael ist auf dem Weg hierher, es wird nicht mehr so lange dauern, bis er hier ist! Aber was willst du ihm denn sagen? Du kannst auch mit uns reden, das weißt du doch..” Chrissie war der Verzweiflung nahe. “Nein, das versteht ihr nicht; ich MUSS Michael sprechen, sonst ruft er an und er ist nicht da, und dann bringt er ihn um oder macht sonst was mit ihm…!!” Robert und Alex verstanden kein Wort, doch irgendwie schwante ihnen Übles. Alex nahm Chrissies Gesicht in ihre Arme und sprach behutsam und sanft auf sie ein: “Chrissie, bitte. Atme einmal tief ein und aus und sag uns dann in Ruhe was los ist! Wer bringt wen um und was hat das mit Michael zu tun??” Chrissie wischte sich die Tränen von der Wange versuchte ruhiger zu werden. Sie zitterte. “Also. Als, als wir - das heißt Mike und ich - von der Schule nach Hause - also zu Mike - gekommen sind, da, da stand plötzlich dieser Typ vor uns, mit einer Pistole! Er hat uns gezwungen in die Wohnung zu gehen, und hat gemeint er wäre der Typ, der Emma getötet hat…” Alex schrie leise auf. “Was soll das heißen? Dass De Leoni jetzt Mike in seiner Gewalt hat??” Chrissie starrte sie an. “Dann ist es also wahr?? Ist Emma wirklich tot?” Robert schüttelte den Kopf, denn Alex konnte gerade nichts sagen, so geschockt war sie. “Nein, sie ist nicht tot; aber sie ist schwer verletzt, und die Ärzte wissen noch nicht, ob sie durchkommt…” Alex fiel ihm ins Wort: “Erzähl weiter, Chrissie. Was genau will er und was hat Michael damit zu tun?” In diesem Moment öffnete sich die Tür und Michael betrat den Raum. Er wurde mit eisernem Schweigen begrüßt. Alle starrten ihn an und keiner sagte einen Ton. Michael sah von einem zum anderen, registrierte Robert und begrüßte ihn kurz. Dann sah er Chrissie; war allerdings zu verwirrt um sich etwas dabei zu denken. “Was ist denn mit euch los? Ist was mit Emma? Hat Gerrit angerufen? Ist sie etwa??..” So wie seine Kollegen dastanden dachte er bereits an das Schlimmste! Robert sah auf den Boden und Alex schüttelte den Kopf: “Nein, es geht nicht um Emma… Michael, ich glaube, es ist etwas Furchtbares passiert.. Chrissie ist hier weil.. Wegen.. Also…” Michael wusste nicht, was er davon halten sollte. Es war sonst gar nicht ihre Art, sich nicht vernünftig ausdrücken zu können. “Was? Was ist so Schreckliches passiert? Solange Gerrit nicht anruft und uns mitteilt, dass Emma.. Na ja, ihr wisst schon.. solange denke ich nicht, dass es was Schrecklicheres geben kann.” Schließlich war es Chrissie, aus der es herausplatzte: “Doch! Es geht um Mike! Der Mann, der Emma getötet - oder fast getötet - hat, der hat uns vor ca. einer Viertelstunde überfallen. Vor eurer Wohnung! Er hatte eine Pistole, und er hat uns bedroht. Jetzt ist er mit Mike allein in der Wohnung, und er hat mich auch nur nicht getötet, weil er mir ca. 10 Min. Zeit gegeben hat, um zu euch zu kommen. Ich soll dir Bescheid sagen, dass er jeden Moment anrufen wird um seine Forderungen durchzugeben. Ich glaube, er will 1 Million für seine Freilassung; ansonsten tut er Mike was an…” Chrissie hatte die Worte einigermaßen klar heraus bekommen und war froh darüber. Doch nun sank sie auf dem Stuhl zusammen und fing an, hemmungslos zu weinen und zu zittern. Das ganze war zuviel für sie gewesen, und sie hatte sich überanstrengt. Robert setzte sich zu ihr und legte einen Arm um sie. Michael hatte sich kaum bewegt, während Chrissie ihm alles erzählt hatte. Er starrte sie an und dachte, er musste sich verhört haben. Um ihn drehte sich alles. Alex trat langsam zu ihm und fragte ihn sanft: “Ist alles in Ordnung, Michael?” Michael sah an ihr vorbei und ging langsam zu Chrissie. Er nahm sich einen weiteren Stuhl, setzte sich neben Chrissie und drückte Robert ein Stück zur Seite. Dieser sagte nichts, sondern rückte freiwillig noch ein Stück weiter. Chrissie weinte, und sah auf den Boden. Langsam nahm Michael ihren Kopf in seine Hände und sah ihr in die Augen.

Sein Hals war trocken und seine Stimme rau, als er sie schließlich fragte: “Hab ich das jetzt richtig verstanden? De Leonie hat Mike - meinen Sohn - in seiner Gewalt? In unserer Wohnung? Und er will 1 MILLION??” Er musste seine Wut und Verzweiflung zurück halten. Chrissie nickte. Sie konnte nichts mehr sagen. Michael sprang auf und wollte die Tür hinaus rennen. Alex stürmte hinter ihm her. “Michael, wo willst du denn hin??” “Na, wohin wohl??? Zu mir! Ich werde mir diesen Bastard jetzt schnappen! Er hat Emma beinahe umgebracht, das passiert mit Mike nicht; das schwöre ich!” Alex hielt ihn fest und auch Robert kam dazu. “Michael, das kannst du nicht tun! Du hast Chrissie doch gehört, er wird hier anrufen um seine Forderung durchzugeben. Dann musst du hier sein! Und außerdem wirst du Mike nicht helfen, wenn du da reinstürmst und ihn nachher noch dazu bringst, auf Mike oder dich zu schießen!” Michael war schwer umzustimmen, das konnte sie sehen. Auch Robert versuchte es, doch es funktionierte nicht. Michael war so geladen, dass er beinahe schon mit einem Fuß an der Türschwelle stand - als das Telefon klingelte…

 

Michael überlegte nicht lange. Er stürmte auf das Telefon zu, riss den Hörer von der Gabel und rief: “Naseband”. “Oh, das ging aber schnell”, tönte es aus der Leitung, und obwohl Michael nie die Stimme des Entführers gehört hatte, konnte er sich denken, dass er es war. Michael hatte auf laut gestellt und ballte die Hände um den Hörer. “Sie verd…” Alex legte ihm die Hände auf die Schultern und schüttelte den Kopf. Sie ahnte ja was er fühlte; aber er durfte sich nicht von seinen Gefühlen leiten lassen! Das war ihm auch klar, aber es war so verdammt schwer… Es war still, und Michael hatte sich wieder einigermaßen unter Kontrolle. “Ich will mit meinem Sohn sprechen, und ZWAR SOFORT!!!” Die letzten Worte hatte er geschrieen. “Du solltest aufpassen, was du sagst; Bulle.. Du willst doch, dass dein Sohnemann unbeschadet bleibt; oder? NOCH ist er es..” Michael bebte vor Zorn. “Was wollen Sie?” fragte er schließlich. De Leonie lachte. “Hat das liebe kleine Ding dir nicht erzählt, was ich will?” Michael ahnte, dass er von Chrissie sprach. “Doch, dass hat sie. Sie sagte, Sie wollen 1 Million Euro? Ich denke, dass Sie sich da ein wenig vertun; so einfach geht das nicht! Und bevor ich nicht mit meinem Sohn gesprochen habe, und weiß, dass es ihm gut geht, werde ich Ihnen gar nichts zusichern!” Er hörte ein Zischen, das durch den Hörer geschickt wurde: “Du nimmst den Mund ziemlich voll, “Daddy”.. Ich denke du weißt, was mit der kleinen Emma passiert ist? Und was ich mit ihr gemacht habe?” Michael bebte. Er musste sich zügeln. Innerlich war er auf 380°, doch er versuchte, ruhig zu bleiben. Auch Alex und Robert waren erschüttert und Alex war nur froh darüber, dass Gerrit nicht bei ihnen war, und diese Katastrophe auch noch miterleben musste. Mit beherrscht ruhiger Stimme gab Michael dem Entführer und Geiselnehmer Antwort: “Ja, ich weiß was Sie der Nichte meines Kollegen angetan haben; und ich schwöre Ihnen, dass wir Sie dafür dran kriegen werden..”. Alex hatte sich an ihren Schreibtisch gesetzt und etwas hektisch auf einen Zettel geschrieben. Sie gab Michael den Zettel auf dem geschrieben stand: “Sag ihm nicht, dass Emma noch am Leben ist! Er denkt, sie wäre tot!” Irgendwie war ihr, als könnte es ein Vorteil sein, wenn er weiterhin dieser Meinung bliebe. Michael nickte. Daran hatte er gerade auch gedacht. Er hätte sich beinahe verplappert, aber es gerade noch verschluckt zu sagen: “wenn sie sterben sollte…”. Sie hörten ein heiseres Lachen aus dem Hörer. “Natürlich wirst du das, Bulle.. Aber solange ich deinen Sohn in meiner Gewalt habe, wirst du dazu keine Gelegenheit haben; oder? Ich will das Geld; und dann werde ich einen Wagen gestellt bekommen und eine Fluchtmöglichkeit! Vorher wirst du deinen Sohn weder sehen noch hören! - Und ich habe viele Päckchen hier, mit schönem, weißen “Zucker”.. Ich denke, du weißt, was ich damit meine… Ich kann etwas nachhelfen um meiner Forderung Nachdruck zu verleihen!” Seine Stimme hatte an Schärfe zugenommen und den Kollegen fröstelte es. Michael ballte die Hände um den Hörer. “Bitte, lassen Sie mich mit meinem Sohn sprechen! Ich will nur hören, dass es ihm gut geht!” Zuerst hörten sie gar nichts, doch dann erklang ein leises “Dad?”. Michael schloss erleichtert die Augen. Mike lebte! “Mike! Bist du o.k.? Geht es dir gut, mein Junge? Hat er dir etwas angetan??” Der Geiselnehmer ertönte erneut aus den Lautsprechern. “Das war´s! Du hast gehört, dass er lebt. Sorge dafür, dass ich die Million bekomme und alles andere, was ich gefordert habe. Weitere Instruktionen über die genaue Zeit der Übergabe folgen.” Damit legte er auf. Während des letzten Satzes war der Staatsanwalt eingetreten und schaute fragend zu Michael und Alex. “Was ist passiert? Ich habe gehört, Mike wird von Emmas Entführer festgehalten?” Alex nickte, denn Michael konnte im Moment nichts sagen. “Ja, das stimmt. Er hat Mike und Chrissie Hauser” - sie zeigte auf das Mädchen, das still in der Ecke gekauert saß, zusammen mit Robert, der sich um sie kümmerte - “seiner Freundin, an Michaels Wohnung überfallen und ihn als Geisel behalten. Sie hat er nur gehen lassen um Michael auszurichten, was passiert ist, und was er fordert..” Der Staatsanwalt nickte. “Er fordert 1 Million?? Das ist das Doppelte mehr als bei Herrn Grass´ Nichte.. Und was sind das noch für Forderungen, von denen er geredet hat?” Alex antwortete: “Ein Fluchtauto, und sichere Flucht. Wie auch immer die aussehen mag, das wird er sicherlich noch näher erläutern..” Der Staatsanwalt nickte langsam. “Ich konnte Herrn Grass schon die halbe Million nicht zusichern; es waren gerade mal 350.000,00 Euro, die ich zusammen kratzen konnte. Selbst mit äußerster Mühe kann ich viell. die halbe Million schaffen; aber mehr auf gar keinen Fall. Das wissen Sie hoffe ich..” Michael nickte. Ihm war klar, dass sie es niemals schaffen würden, eine Million Euro zusammen zu bekommen; aber ihm war nicht klar, ob das auch der Geiselnehmer wusste. Spielte er ein Spiel? Oder war er tatsächlich davon überzeugt, mit der Erpressung Erfolg zu haben? Auf jeden Fall war er verrückt - und gefährlich! Mehr als gefährlich! “Wir müssen zugreifen! Ich kann nicht darauf warten, dass der Typ merkt, dass seine Forderungen nicht zu erfüllen sind! Dann dreht er nachher wirklich noch durch und tötet Mike! Er kennt keine Skrupel; er hat Emma beinahe umgebracht, wahrscheinlich hat er auch Emmas Entführer getötet, aus welchem Grund auch immer; und er wird auch keine Probleme damit haben, Mike etwas anzutun! Ich will jetzt zu meiner Wohnung und diesen Typen für immer unschädlich machen!!” Der Staatsanwalt nickte. “Das kann ich nachvollziehen, Herr Naseband. Ihre Gefühle, und die von Herrn Grass. Aber lassen Sie sich nicht von diesen Gefühlen in die Irre leiten! Seien Sie vorsichtig. Er ist gemeingefährlich!” Michael sah ihn an: “Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Herr Kirkitadse. Er hat meinen Sohn..” Der Staatsanwalt nickte und ging zur Tür. “Ich werde tun, was in meiner Macht steht, tun Sie das Ihrige..” Damit ging er.


Kaum war der Staatsanwalt gegangen, machten sich Michael und Alex startklar, um zu dem Einsatz zu fahren, der ihnen nun bevorstand. Im letzten Augenblick dachte Alex noch an Robert, der immer noch bei Chrissie saß und behutsam auf sie einredete. “Robert, kommst du nicht mit?” Robert sah sie an und schüttelte den Kopf: “Ich werde erstmal Chrissie nach Hause bringen, sie ist völlig fertig.. Geht ihr nur, wenn ich alles erledigt habe, komme ich nach!” Erst jetzt wurde Michael wirklich klar, in was für einer Gefahr auch die Freundin seines Sohnes gesteckt hatte. Langsam ging er zu ihr und kniete sich vor sie hin. Sie zuckte etwas zurück, als sie an die rohe Behandlung einige Minuten zuvor dachte. Doch er nahm langsam ihr Gesicht in seine Hände und sagte leise: “Es tut mir leid.. Ich war ziemlich grob zu dir. Verzeih mir. Geht es dir gut? Hat er dich verletzt?” Sie schüttelte den Kopf: “Nein, ist schon o.k., mir, mir geht´s wieder ganz gut..” Sie sah Michael das erste Mal richtig in die Augen: “Kann ich mit euch mitfahren? Ich möchte bei Mike sein..” Michael stand auf und schüttelte den Kopf: “Ich denke, es wird Zeit, dass Robert dich nach Hause fährt; wir müssen los!” Da war er wieder, dieser unnahbare, unantastbare Ton in Michaels Stimme, von denen nur die Freunde wirklich wussten, was er bedeutete - und das auch nicht immer. Robert nickte und strich Chrissie noch mal sanft über den Kopf. “Ein paar Minuten noch, dann fahren wir, in Ordnung?” Chrissie sah wieder auf den Boden und nickte und Michael und Alex verabschiedeten sich kurz von Robert - dann waren sie draußen und auf dem Weg zu Michaels Wohnung. Was genau ihr Plan war, um Mike zu befreien, musste noch geklärt werden…
In der Zeit, in der sich das Drama um Mikes Geiselnahme im K11 abspielte, spielte sich auch ein kleines Drama im Krankenhaus ab. Gerrit war mittlerweile in Emmas Krankenzimmer eingetreten und musste sich erst einmal von dem Schock erholen, der sich ihm bei ihrem Anblick bot. Die Schwester hatte ihn vorgewarnt, dass die Kabel und alles andere “gewöhnungsbedürftig” seien, doch erst, als er sie sah, wirkte es richtig auf ihn ein. Sie war an zig Schläuche angeschlossen; das konnte er sofort erkennen. Ein Hauptschlauch ging durch ihren Mund, und zwei durch ihre Nasenflügel. Sie wurde beatmet, da ihre Atmung immer noch nicht aktiv war. Er sah zum Herzmonitor, auf dem er eine kontinuierliche Herzkurve erkennen konnte, doch sie war langsam, unstet. Nicht stabil. Emmas Gesicht war immer noch weiß. Nicht mehr ganz so schlimm wie zu dem Zeitpunkt, als sie sie gefunden hatten, doch immer noch zu blass, als dass man es als eine normale Hautfarbe bezeichnen könnte. Gerrit nahm sich einen Stuhl, der in der Nähe des Bettes stand und setzte sich zu ihr. Langsam nahm er ihre Hand in seine. Auch in ihren Armen waren Schläuche eingeführt; die Schwester hatte ihm erklärt, dass sie teilweise für die Versorgung der Arterien mit Nährstoffen und teilweise zur Entgiftung da waren. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Jetzt, wo niemand dabei war, fiel es ihm leichter zu weinen. Er wollte es nicht vor Michael, doch alleine mit Emma, die so leblos, ja fast tot vor ihm lag.. Die Tränen kamen einfach. Er konnte nichts dagegen tun. Sein Gesicht sank in seine Hände, Emmas Hand in den seinen weinte er leise, beinahe tonlos..

Er wusste nicht, wie lange er schon so da saß; als die Tür aufging und er zwei aufgeregte Stimmen wahrnahm, die er zuerst nicht einordnen konnte. Bis er schließlich erkannte, dass es sich dabei um seine Schwester und seine Mutter handelte. Sie waren angekommen! Er schnellte hoch und ließ kurz Emmas Hand los. Als Gabriela Grass sein Gesicht sah, presste sie ihre Hände zum Mund. “Emma, ist sie etwa??” “Nein, nein; bitte, beruhig dich; sie ist nicht… Oh Gott.. Gabriela..” Er stand auf und umarmte seine Schwester und danach seine Mutter, die noch gar nichts gesagt hatte, sondern nur stumm und erschüttert auf ihre Enkeltochter starrte. Schließlich war Holger derjenige, der sich als erster zu Wort meldete: “Was ist passiert, Gerrit? Du hast Gerlinde gesagt, dass Emma entführt wurde. Und dass der Entführer ihr Drogen oder so etwas gespritzt hat? Wie ist das genau passiert? WAS ist genau passiert?” Gerrit war klar gewesen, dass sie das fragen würden. Trotzdem fiel es ihm unendlich schwer, alles zu erzählen. “Ich, ich kann.. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.. Ich kann es selber kaum nachvollziehen. Es fing alles so schön an; die Überraschung, als sie heute morgen ankam; dann waren wir in der Bank, ich wollte mit ihr ins Musicaltheater; dafür brauchte ich Geld.. Mein Gott, wäre ich doch nur in einer anderen Bank gewesen..” Er wich aus, das wollte er nicht. Gerrit riss sich erneut zusammen, er fühlte den stechenden Blick seines Schwagers. Seine Schwester und seine Mutter waren zu Emma gegangen und hatten sich zu ihr gesetzt. Doch Holger wartete weiter auf eine Erklärung, die er selber nicht hatte. Er räusperte sich: “Wir sind überfallen worden.. Als ich das Geld holen wollte. Zuerst hatte ich es nicht bemerkt, aber.. Emma sagte mir dass sie jemand mit einer Pistole bedroht, und dann habe ich sie auch gesehen.. Ich konnte nichts tun; glaub mir, Holger, wenn ich es hätte verhindern können, ich hätte alles getan.. Ich habe versucht, vernünftig mit ihm zu reden, ihn dazu zu bringen das Geld zu nehmen und zu verschwinden; aber dann ist irgendwie alles entglitten..” Stockend erzählte er weiter, was danach alles passiert war; wie der Banküberfall aus dem Ruder gelaufen war, wie der Geiselnehmer schließlich Emma entführt hatte und sie alles daran gesetzt hatten, ihn zu finden. “Und was ist das für eine Geschichte mit den Drogen, Gerrit? Wieso hat er sie unter Drogen gesetzt? Was hatte das für einen Sinn? Ich verstehe es nicht! Wenn es ihm darum ging, Geld zu erpressen oder etwas ähnliches, dann hätte er euch doch einfach nur erpressen können? Ich verstehe es einfach nicht!” Gerrit schüttelte den Kopf: “Das war nicht der Entführer bzw. der Geiselnehmer aus der Bank. Den Mann, der Emma entführt hatte, haben wir einige Zeit später tot in einem Waldstück gefunden… Er ist ermordet worden, vermutlich von dem Mann, der dann Emma in seiner Gewalt hatte.” Gerrit wusste nicht so viel von diesem Mann wie seine Kollegen, da Michael ihm nichts weiter erzählt hatte. Holgers Augen waren schmal geworden. “Und dieser Mann hat Emma unter Drogen gesetzt? Ist das ein Drogendealer?” Gerrit nickte langsam. “Vermutlich.. Bitte Holger, ich, ich kann es nicht sagen. Ich weiß nichts weiter; meine Kollegen sind an dem Fall dran, ich konnte hier nicht fort gehen. Alles was ich weiß, habe ich dir erzählt..” “Dann finde mehr heraus, Gerrit! Du kannst hier sowieso nichts mehr tun! Sieh sie dir an; sie ist im Koma, verdammt! Irgend so ein verdammter Mistkerl hat sie vergiftet, sie beinahe umgebracht, und das, obwohl sie in DEINER Obhut war. Du bist doch Polizist, oder?? Finde gefälligst heraus, wer dieses Schwein ist, und bring ihn hinter Gittern.” Holger war lauter geworden, als er es selber gewollt hatte, und Gabriela kam zu ihm und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. “Nicht Holger, bitte.. Gerrit kann nichts dafür; davon bin ich überzeugt.. Er hat bestimmt alles getan, was in seiner Macht stand..” Doch ihre Stimme war brüchig. Gerrit schluckte. Seine Schuldgefühle stiegen ins Unermessliche. Er sah zu Boden. “Es tut mir leid…” sagte er nur; nicht mehr fähig, überhaupt etwas zu sagen. Holger schwieg und ging nun ebenfalls zu Emma. Er kniete sich zu seiner Tochter und strich ihr über den Kopf. Dann küsste er ihre Stirn. Gerrit musste sich abwenden. Er wusste, dass seine Zeit hier im Krankenhaus zu Ende war. Emmas Eltern und Großmutter waren hier - sie war nicht mehr alleine - und er wollte wissen, wie weit seine Kollegen mit der Fahndung waren. Ja, er wollte wieder mitermitteln. Jetzt mehr denn je. Er wollte dieses Schwein. Und wenn er ihn in die Finger bekam, dann gnade ihm Gott…

Langsam drehte er sich um und ging zur Tür, als er eine leise Stimme hinter sich hörte: “Junge, wo willst du hin?” Es war seine Mutter, die plötzlich hinter ihm stand. Ihr Gesicht war vor Sorge zerfressen und es traf ihn schwer, sie so zu sehen. “Zurück zum K11. Ich denke, dort wird meine Hilfe mehr gebraucht. Emma hat jetzt euch; und ich möchte wieder weiter ermitteln..” Gerlinde Grass nickte langsam und verständnisvoll. “Das verstehe ich, mein Junge. Geh nur. Und Gerrit!” Gerrit sah sie an: “Was auch immer Holger dir vorhin an den Kopf geworfen hat, er hat es nicht so gemeint! Wir sind alle schockiert und furchtbar entsetzt über das, was geschehen ist. Ich bin sicher, du hattest keine Chance es aufzuhalten. Mach dir keine Vorwürfe, mein Junge.” Er nickte nur; dann sagte er: “Ich werde jetzt gehen; wenn sich etwas an ihrem Zustand ändert..” “.. Werde ich dich sofort informieren!” Sie strich ihm einmal mit der Hand über seinen Kopf, dann ging sie zurück zu Emma. Gerrit schluckte und schloss einmal kurz die Augen. Er sah noch einmal zu Emma hinüber, an deren Bett nun auf der einen Seite ihre Eltern und auf der anderen seine Mutter saßen, dann gab er ihr in Gedanken noch einen Kuss, drehte sich um und ging durch die Tür. Erst als er draußen war, hatte er das Gefühl, dass ein riesiger Steinbrocken von seiner Brust abfiel. Das Schlimmste war geschafft. Nun wollte er nur noch wissen, wie weit seine Kollegen mit der Spurensuche waren. Auf die Katastrophe, die ihn nun erwartete, war er nicht gefasst…

 

Kurze Zeit später kam er im K11 an. Er sputete durch die Gänge und hatte sich bereits einige Fragen ausgedacht, die er seinen Kollegen stellen wollte. Er wollte alles über den Täter wissen, was sie bis dahin herausgefunden hatten. Alles, bis ins kleinste Detail! Doch als er die Tür in ihr Büro öffnete, merkte er, dass irgend etwas nicht stimmte. Michael und Alex waren nicht an ihren Plätzen und er sah Robert!? Robert war doch in Urlaub.. Er hatte ihn völlig vergessen gehabt… Und das Mädchen, um das er sich kümmerte, das war doch? Chrissie Hauser, Mikes Freundin?? Gerrit verstand gar nichts mehr.


Robert hatte aufgeblickt und war ebenfalls erschrocken, als er Gerrit erblickte. “Gerrit?? Was, was machst du denn hier?? Ich dachte, du wärst im Krankenhaus?? Ist, ist was mit Emma??” Er kam zu ihm. Gerrit schüttelte den Kopf. “Emma ist im Koma; ihr Zustand hat sich nicht geändert. Ihre Eltern und meine Mutter sind jetzt bei ihr.. Aber was ist denn hier los? Wo sind Michael und Alex?? Und was macht sie hier?” Er nickte zu Chrissie. Irgendwie hatte er ein ganz schlechtes Gefühl.. Robert sah ihn an und er wirkte blass. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Mit Gerrit hatte er jetzt überhaupt nicht gerechnet. Eigentlich wollte er gerade Chrissie nach Hause bringen und dann auch zum Einsatz fahren. Er konnte doch Gerrit nicht erzählen, was passiert war! Gerrit kniff die Augen zusammen: “Robert.. Irgend was stimmt doch hier nicht! Was ist los???” Robert vermied es ihm in die Augen zu sehen: “Gerrit, du solltest wieder ins Krankenhaus. Hier gibt es keine neuen Erkenntnisse. Ich, ich muss jetzt Chrissie nach Hause bringen…” Er kam nicht weiter. Gerrit stellte sich vor ihn und blickte ihn mit funkelnden Augen an: “Robert, Ich frage jetzt zum letzten Mal: Wo sind Alex und Michael?? Haben sie etwas raus gefunden? Gibt es eine Spur??” Er war lauter geworden als er es gewollt hatte und plötzlich stand Chrissie vor ihm und sagte: “Hör auf, Gerrit. Robert kann doch auch nichts dafür, dass der Mistkerl jetzt Mike in seiner Gewalt hat..” Gerrit starrte zuerst Chrissie an und dann wanderte sein Blick zurück zu Robert. “WAS??? Was, was soll das heißen, er hat Mike in seiner Gewalt?? Robert, rede endlich!!” Chrissie war ein paar Schritte zurück getreten und sagte leise: “Tut mir leid, das hätte ich jetzt nicht sagen sollen, oder??” Robert schüttelte traurig den Kopf. Nun war es ohnehin zu spät. Gerrit würde nicht mehr locker lassen, dass wusste er. Er räusperte sich: “Also.. Ja, es stimmt. Er hat Mike und Chrissie vor Michaels Wohnung abgefangen und sie bedroht. Dann ist er mit Mike hoch in die Wohnung und Chrissie hat er laufen lassen, um uns die Nachricht zu überbringen, dass er sich melden wird um uns seine Forderungen zu übermitteln… Was er dann auch getan hat; er will 1 Million…” Gerrit hatte völlig geschockt zugehört. Er konnte es nicht glauben. “Eine Million Euro??? Großer Gott..” Er musste sich setzen. “Warum?? Zuerst Emma, jetzt Mike.. Das kommt mir ja fast schon so vor, als ob es etwas persönliches wäre. Als hätte er es auf uns abgesehen… Und 1 Million Euro? Ihm muss doch klar sein, dass wir das niemals erfüllen können! Der Staatsanwalt hat doch noch nicht mal die halbe Million für Emma aufbringen können, wie soll er dann 1 Million schaffen?” Robert schüttelte den Kopf: “Das wird er auch nicht. Er war vorhin hier und sagte er wird es noch einmal mit 500.000,00 probieren, aber er konnte nicht mal die zusichern. Geschweige denn 1 Mio.. Aber ich weiß nicht, ob das der Geiselnehmer weiß, dass ist die Frage..” Gerrit nickte. “Und Michael und Alex sind jetzt bei ihm?” Robert bejahte die Frage. “Ich wollte eigentlich gerade Chrissie nach Hause bringen und danach dann auch dorthin fahren. Aber viell. kannst du das ja übernehmen, dann kann ich direkt zu Michael fahren..” Weiter kam er nicht. Gerrit sprang ihm beinahe an den Hals. “Du glaubst doch nicht, dass ich tatenlos hier rum sitze?? Der Sohn meines besten Freundes und Kollegen wird als Geisel festgehalten und ich soll Babysitter spielen?? Nein, du kannst Chrissie nach Hause bringen; ich werde jetzt zu Michael fahren.” Robert wollte protestieren: “Gerrit, du bist immer noch ganz fertig.. Es wäre bestimmt besser, wenn du dich schonen würdest..” Gerrit antwortete nicht, sondern blitzte ihn nur an. Dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging zur Tür. Sein Entschluss stand fest! Robert seufzte. Er musste jetzt auch so schnell wie möglich dorthin. “Na komm, wir fahren” sagte er zu Chrissie, der man deutlich ansehen konnte, dass es ihr schlecht ging. Sie hatte wieder angefangen zu weinen. Aber darauf konnte Robert jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Er musste zum Einsatz. Er blickte Gerrit hinterher und kurz bevor dieser zur Tür hinaus verschwand sagte er: “Gerrit? Er ist auch mein Freund und Kollege…” Gerrit nickte nur und ohne eine Antwort war er verschwunden. Als Gerrit draußen war fing er an zu rennen. Er sprang in sein Auto und brauste davon. Auch Robert schnappte sich seine Sachen, nahm Chrissie mit sich und stieg ebenfalls in sein Auto; nur dass er einen Umweg zu Chrissie fuhr, um sie Zuhause abzusetzen…

 

Gerrit fuhr wie der Henker und missachtete zig Verkehrsschilder und -regeln, aber das war ihm egal. Schließlich kam er bei Michael an. Er sah schon von weitem, dass Michaels Wohnung umstellt war. Michael stand vor seinem Auto, mit Alex und sie beratschlagten sich gerade. Gerrit sprang aus seinem Wagen und rannte zu ihnen. Er lief beinahe einen Kollegen um, der gerade zu Michael und Alex wollte. Die beiden sahen irritiert auf und ihre Augen weiteten sich vor Schrecken, als sie Gerrit bemerkten. Zuerst konnten sie es gar nicht glauben, dass er tatsächlich da war. Alex fing sich als erstes wieder. “GERRIT!! Was machst du denn hier, um Himmels willen?? Wieso bist du nicht im Krankenhaus; ist was mit Emma? Was willst du hier?? Woher weißt du überhaupt…” Gerrit ließ sie nicht ausreden: “Emma ist im Koma, ich kann dort eh nichts mehr für sie tun. Die Ärzte tun alles was sie können und meine Schwester, ihr Mann und meine Mutter sind bei ihr. Ich wollte wieder mit ermitteln und da bin ich zum K11 gefahren. Robert hat mir erzählt was passiert ist.” Michael knurrte nur: “Robert… Man, man, man, da lässt man ihn einmal alleine..” Alex fiel erneut ein: “Gerrit, du bist doch gar nicht in der Lage mitzuermitteln. Bitte fahr wieder zurück! Das ganze jetzt auch noch mit Mike. Das ist doch zuviel für dich!” Doch Gerrit schüttelte den Kopf: “Das werdet ihr mir schon überlassen; ich kann doch nicht zulassen, dass der Kerl auch noch Mike.. Hat er schon was von sich hören lassen? Was wisst ihr denn bis jetzt von ihm?” Michael und Alex erzählten Gerrit, was sie bis dahin über ihn herausgefunden hatten. “Er heißt Eduardo De Leonie, ist Drogendealer und hat schon einige Morde auf dem Kerbholz. Die ganz große Nummer.. Er wird keine Skrupel haben und er geht davon aus, dass er Emma getötet hat.. Wir wissen noch nicht, ob das für uns von Vorteil oder Nachteil ist, aber wir lassen ihn in dem Glauben. Jedenfalls will er jetzt 1 Mio. Euro erpressen, aber das weißt du sicherlich schon.” Gerrit nickte. “Ja, und ich weiß auch, dass der Staatsanwalt diese Summe niemals aufbringen kann..” Alex nickte. Es tat Gerrit leid, dass es nun Michael getroffen hatte. Und Michael war es gar nicht recht, dass sein Freund nun diese Katastrophe auch noch miterleben musste. Nach allem, was er durchgemacht hatte… “Gerrit, geh zurück zum Krankenhaus! Du musst das hier nicht tun!” “Das weiß ich, Michael! Aber ich kann auch nicht mehr so tun als wüsste ich von nichts! Im Moment kann ich für Emma nichts tun; meine Mutter wird mich anrufen, sobald sich an ihrem Zustand etwas ändert. Und solange dies nicht der Fall ist, werde ich euch beistehen! Dir beistehen! Wir werden alles tun, damit dieser Kerl Mike nicht dasselbe antut!” Michael nickte und legte seinem Kollegen und Freund den Arm um die Schultern. “Danke, Gerrit. Das rechne ich dir hoch an.” Dann drehte er sich wieder Alex und den anderen Kollegen zu. “Jetzt brauchen wir einen Plan, wie wir in meine Wohnung kommen und den Kerl überrumpeln können. Mike darf auf gar keinen Fall etwas passieren! Aber er darf auch nicht entkommen; ganz gleich was geschieht..” Die Kollegen nickten und machten sich daran, einen Schlachtplan zu entwerfen… In diesem Moment kam auch Robert an, der Chrissie nach Hause gebracht hatte. Nun waren sie vollzählig…

 

Robert stieg aus dem Wagen und ging zu seinen Kollegen. Er sah Gerrit bei Michael und Alex stehen und bekam ein wenig Schuldgefühle, weil er nicht sicher war, ob er es ihm wirklich hätte erzählen sollen. Aber nun war es zu spät. Als er bei ihnen war, fragte er direkt: “Und, habt ihr schon einen Plan?” Michael sah ihn an. “Wir werden stürmen! Noch sind wir im Vorteil; er weiß nicht, dass wir hier sind, jedenfalls haben wir noch nichts von ihm gehört. Und bevor er das raus findet, werden wir die Wohnung stürmen und ihn überlisten. Der Staatsanwalt wollte sich allerdings vorab noch melden, ob er die 1 Million aufbringen kann; aber das schätze ich nicht…” Im selben Augenblick klingelte Michaels Handy. “Kirkitadse” sagte dieser und stellte das Handy auf laut, so dass die anderen mithören konnten. “Ja, Herr Staatsanwalt, was haben Sie für Neuigkeiten?” “Herr Naseband, es ist leider so, wie ich es befürchtet habe; ich kann leider nur die 350.000,00 € aufbringen, die ich auch schon Herrn Grass für seine Nichte zugesichert hatte. Mehr auf keinen Fall. Weder eine halbe, geschweige denn eine Million… Tut mir leid…” Michael nickte. Er hatte schon so etwas befürchtet. Dann fragte Herr Kirkitadse: “Wie geht es eigentlich der kleinen Emma und Herrn Grass?” Michael runzelte die Stirn und antwortete nach einigen Sekunden des Schweigens: “Das können Sie Herrn Grass selber fragen, er steht direkt neben mir.” Im ersten Moment war es still. Dann tönte Kirkitadses Antwort aus dem Handy und seine Stimme klang etwas bitter: “Herr Grass ist bei Ihnen?? Ich dachte er wäre im Krankenhaus??” An Michaels statt antwortete nun Gerrit: “Ja, ich bin hier. Im Krankenhaus kann ich Emma momentan nicht mehr helfen. Sie ist im Koma und ihre Eltern und meine Mutter sind bei ihr. Ich werde hier gebraucht.” Seine Stimme war fest. Kirkitadse pfiff leicht durch die Zähne als er antwortete: “Herr Grass, ich kann nur hoffen, dass Sie Herr der Lage sind und den Einsatz nicht gefährden..” “Nein Herr Kirkitadse, es geht mir wieder einigermaßen.” “Gut” wäre gelogen, dass wusste Gerrit. Und auch, dass ihm das niemand abnehmen würde, wenn er sagen würde, es ginge ihm “gut”. Aber er war definitiv in der Lage bei der Befreiungsaktion für Michaels Sohn mitzumachen. Sie durften nicht zulassen, dass Mike ebf. von diesem Bastard getötet oder so schwer verletzt wurde, dass er Gefahr lief zu sterben. Gerrit musste schlucken, als er unweigerlich an Emma denken musste. Doch nun musste er diese Gedanken verdrängen. Mike war wichtig. Nur Mike! Solange sein Handy nicht klingelte, und er den Anruf von seiner Mutter bekam, der ihm sagen würde, dass sich etwas an Emmas Zustand geändert hatte - sei es nun zum Guten oder zum Schlechten - würde er nur an Mike denken. Es musste sein! Schließlich hörte er den Staatsanwalt antworten: “In Ordnung; ich werde es so hinnehmen. Ich denke, Sie wissen was auf dem Spiel steht, und ich hoffe auf Ihre - bis jetzt gute - Selbsteinschätzung. Außerdem sind ihre Kollegen ja dabei. Denken Sie daran, es geht um den Sohn Ihres Kollegen!” Als ob Gerrit das nicht wüsste.. Michael nahm das Handy wieder an sich und sagte abschließend: “Ich halte ihn im Auge; aber ich denke, er ist einsatzfähig.. Wir werden jetzt zu Plan B übergehen..” Jeder wusste, was das bedeutete. Es war der Stürmungsbefehl, falls das mit dem Geld nicht funktionierte. Der Staatsanwalt antwortete nur: “Verstanden.. Viel Glück, Herr Naseband!” Und dann legte er auf. Gerrit sah Michael an: “Plan B? Das heißt, wir stürmen, ja?” Michael nickte. “Gerrit, bist du wirklich bereit? Es darf nichts schief gehen; Mike darf auf gar keinen Fall etwas passieren!!” Gerrit nickte nur. “Michael, ich weiß worum es geht. Glaub mir, ich bin bereit! Und klar!” Michael nickte und er, Alex und Gerrit zogen sich ihre schusssicheren Westen über. Sie luden ihre Pistolen und zusammen mit den Kollegen des Sondereinsatzkommandos waren sie bereit, Michaels Wohnung zu stürmen…

Fortsetzung vom 13.02.09

In der Zwischenzeit saß Mike in der Wohnung in einer Ecke auf einem Stuhl und sah zu Edo herüber, der auf der anderen Seite des Zimmers saß und ihn immer noch mit seiner Pistole bedrohte. Mike traute sich kaum, sich zu rühren. Er war erleichtert gewesen, als er mitbekommen hatte, dass es Chrissie anscheinend ins K11 geschafft, und es seinem Vater erzählt hatte. Er hatte sich schon Sorgen um seine Freundin gemacht. Doch nun wusste er nicht, wie es weiter gehen sollte. Dass die geforderten 1 Million Euro einfach zu viel waren, und vermutlich niemals aufgetrieben werden konnten, war ihm klar. Aber Edo schien dies noch nicht verstanden zu haben. Er ging tatsächlich davon aus, dass er dies bekommen würde. Er griff erneut zum Telefonhörer. “So, nun werde ich erneut bei deinem Daddy anrufen. Ich kann für dich nur hoffen, dass er das Geld aufgetrieben hat!” Er wählte die Nummer des K11 um Michael seine neuesten Instruktionen mitzuteilen. Noch hatte er keine Ahnung, dass sämtliche Kommissare des K11 draußen vor der Tür standen und sich gerade bereit machten, die Wohnung zu stürmen.

Im K11 klingelte das Telefon. Es waren nun keine Kommissare mehr im Raum, nur noch rangniedrigere Polizisten, die angewiesen waren, Michael zu kontaktieren, falls sie etwas von de Leonie hören sollten. Nun war es soweit. Einer der Polizisten nahm den Hörer ab. “Wiener”, sagte er, und im ersten Moment war Stille am anderen Ende der Leitung. Er hörte, wie jemand die Luft hart einsog. “Ich will mit Kommissar Naseband sprechen - und zwar sofort!” Der Polizist gab seinem Kollegen ein Zeichen und dieser nahm sein Funkgerät um Michael zu kontaktieren. Wiener antwortete: “Ähm, ja ich werde ihm sofort bescheid geben, er ist momentan gerade nicht im Raum; Er ist beim Staatsanwalt, um das Geld zu holen. Warten Sie ein paar Minuten, er wird gleich wieder kommen…” Weiter kam er nicht. Edo war aufgestanden und ging auf Mike zu. Mike stand von seinem Stuhl auf. Er verstand nicht recht, was da vor sich ging. Was war los? Was machte ihn plötzlich so wütend? War sein Vater nicht im K11? Plötzlich ahnte er etwas, und er wurde blass. Auch Edo schien plötzlich etwas zu riechen, und seine Gesichtsfarbe wechselte von blass zu feuerrot. Er stand nun direkt vor Mike und dann sagte er zu Wiener: “Jetzt hören Sie mir gut zu; ich sage es nur einmal! Wenn ihr mich verarschen wollt, dann ist das hier der falsche Zeitpunkt. Ich will mit Naseband sprechen - UND ZWAR JETZT!! Und wenn das nicht klappen sollte, dann hat der Junge hier ein Loch im Bein! Zuerst das rechte Bein, dann das Linke… Und dann die Arme… Es führt sicher nicht zum Tode, aber es wird höllisch weh tun… Und als Schmerzmittel ein wenig weißes Pulver; ich schätze das wird reichen… Also - ich zähle jetzt bis 3!!!” An de Leonies Stimme merkte Wiener, dass er es ernst meinte. Der Kollege hatte den Raum verlassen und Michael kontaktiert. Michael ging an sein Handy, als es klingelte. “Naseband?” “Hör zu, Michael; Bernd hat gerade de Leonie in der Leitung. Er will dich sprechen, und so wie es scheint, ist er nahe dran, Mike etwas anzutun! Ihr müsst stürmen - jetzt!” “Verstanden” antwortete Michael knapp, legte auf und gab seinen Kollegen das vereinbarte Zeichen. “Jetzt” sagte er und dann traten sie in den Hausflur ein.

De Leonie hörte es zuerst. Er wusste, dass er in eine Falle getappt war. “Dieser Mistkerl!” knurrte er, schmiss das Telefon weg und bevor Mike noch etwas denken, geschweige denn etwas sagen konnte, drückte er ihn an sich und drückte ihm die Pistole an den Kopf - so wie es der Entführer in der Bank bei Emma getan hatte, kurz bevor er sie entführt hatte. Im selben Augenblick traten Michael, Gerrit, Alex und Robert, der sich ebenfalls schusssicher angezogen hatte, mit gezückten Waffen in die Wohnung ein. Sie standen sich gegenüber; Michael sah von de Leonie zu Mike und eine unbeschreibliche Wut stieg in ihm auf. Gerrits Hand mit der Pistole zitterte im ersten Moment, als er Mike in den Händen des Geiselnehmers sah, denn die Erinnerung kam in ihm hoch. Er sah Emma, wie sie in der Gewalt des Entführers gewesen war; zuerst in der Bank, dann vor seinem Wagen… Doch er riss sich zusammen. Er musste sich zusammen reißen. Hier ging es um Mike! Das selbe durfte nicht noch einmal passieren! Alex und Robert verstellten die Türe; so dass der Geiselnehmer diese nicht als Fluchtweg nutzen konnte. Edo knurrte Michael an: “Du hast gerade das Todesurteil für deinen Sohn unterzeichnet, Bulle! Legt die Waffe weg, oder ich schieße ihm ein Loch in den Schädel!!” Er entsicherte die Waffe. Dasselbe taten auch Michael und Gerrit. “Sie werden hier nicht lebend rauskommen, wenn Sie das tun; das wissen Sie!” antwortete Michael betont ruhig. Innerlich war er bis zum Zerreißen angespannt, aber er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. De Leonie hatte bemerkt, dass Michael härter war, als er gedacht hatte. Er hätte es sich auch nicht träumen lassen, dass dieser so einen hinterhältigen Plan ausheckte. “Dir scheint das Leben deines Sohnes nicht viel zu bedeuten, oder?” Langsam ging er mit Mike Richtung Fenster, das hinter ihm war. “Vielleicht kommen wir nicht durch die Tür; aber es gibt noch einen anderen Ausweg…” Michael merkte, was er vorhatte, und auch Gerrit wusste es. Sie gingen beide einen Schritt vor: “Keine Bewegung, oder wir schießen!” sagte Michael, und seine Stimme klang hohl. Edo lachte kurz auf: “Tust du das?? Na, wir werden sehen, ob du dich das traust…” Er zog Mike noch näher an sich heran. “Du könntest deinen Jungen treffen… Ach ja, und du…” Er wandte sich direkt an Gerrit, den er erkannt hatte. Er hatte sein Bild im Internet gesehen.. “Du bist Grass, der Onkel der kleinen Emma, richtig? Würdest du auch schießen?? Ja, vielleicht… Die arme, kleine Emma… Aber ich kann dich beruhigen, Bulle; sie hat nicht sehr groß gelitten…” Er lachte schäbig.

In Gerrit stieg Galle hoch. Er wollte diesen Bastard! Er wollte ihn töten, ihm dasselbe antun, was dieser Emma angetan hatte. Doch momentan hatten sowohl sie als auch Alex und Robert schlechte Karten, denn er hielt Mike immer noch so, dass ein Rankommen an ihn beinahe unmöglich war. Doch dann geschah etwas, womit niemand von ihnen gerechnet hatte. Mike begann sich zu wehren. Er trat mit voller Wucht aus und traf Edo am Schienbein. Anscheinend wusste er genau, wohin er treten musste. Edo fluchte und in einem Augenblick von Unaufmerksamkeit hielt er Mike nicht mehr so feste wie zuvor. Michael reagierte sofort. Er stieß nach vorne, und riss Mike zu sich - und alles, was dann folgte, passierte beinahe automatisch. Edo nahm seine Pistole und wollte auf Michael und Mike feuern, doch im selben Augenblick knallte ein Schuss aus einer anderen Richtung. Edo sank getroffen zu Boden. Michael hatte Mike zu sich gezogen und hielt ihm im Arm - und Gerrit sackte an der Wand zu Boden. Er hatte geschossen, als er gesehen hatte, dass Edo auf Michael und seinen Sohn schießen wollte. Alex stürzte zu Michael und Robert rannte zu Gerrit. Die Männer vom Einsatzkommando, die bisher noch im Abwartungsstellung gewesen waren und auf den Schießbefehl gewartet hatten, stürzten zu Edo - und fühlten seinen Puls. Doch er hatte keinen mehr. “Er ist tot!” sagte der Einsatzleiter in Michaels und Alex´ Richtung. Gerrit hatte es verstanden. Er lehnte sich erschöpft gegen die Wand und schloss die Augen. Es war vorbei! Michael nahm Mike in seine Arme und drückte ihn an sich: “Bist du o.k.? Hat er dir etwas getan?” Mike schüttelte den Kopf. “Nein, mir geht´s gut… Was ist mit Chrissie? Ist sie o.k.?” Michael nickte. Er konnte kaum sprechen. Schließlich kam Robert zu ihnen und antwortete an seiner Stelle: “Ich hab sie nach Hause gebracht; sie war ziemlich fertig, aber es ging ihr gut.” “Danke.. Dad, darf ich heute Nacht bei Chrissie übernachten?” Michael nickte nur. Er konnte Mike verstehen. In dieser Wohnung würde er wohl auch ungern schlafen wollen.. Dann ließ er Mike los und ging langsam zu de Leonie, der auf dem Boden lag. Blut strömte aus seiner Wunde. Er ging in die Knie und fühlte seinen Puls. “Ich hab doch gesagt, dass er tot ist,” sagte der Einsatzleiter des SEK trocken. Es klang fast ein wenig pikiert. “Das weiß ich, aber ich wollte mich selbst davon überzeugen” antwortete Michael knapp. Er fühlte tatsächlich keinen Puls mehr. Langsam stand er auf und ging zu Gerrit, der immer noch auf dem Boden saß. An die Wand gepresst. Auch Alex kam zu ihm. Robert stand bereits bei ihm und versuchte, ihn zu beruhigen. Michael kniete sich zu ihm: “Hey, danke mein Freund, du hast uns das Leben gerettet! Er wird niemandem mehr etwas antun. Niemandem… Dank dir!” Gerrit nickte langsam. “Ist er wirklich tot?” fragte er noch mal leise. Er konnte es irgendwie immer noch nicht glauben. Michael nickte. “Ja, ich habe mich selbst davon überzeugt. Er ist definitiv tot!” Langsam stand Gerrit auf. Er war noch etwas wacklig auf den Beinen. Verächtlich sah er zu dem toten de Leonie, der von den Männern des Einsatzkommandos zum Abtransport fertig gemacht wurde. “Ich kann nicht gerade sagen, dass es mir leid tut..” sagte er knapp. “Nein” antwortete Michael. “Mir auch nicht!” Dann wandte er sich wieder Mike zu: “Ich werde meinen Sohn eben zu Chrissie bringen; Gerrit, soll ich dich noch irgendwo absetzen?” Als hätte er es geahnt, antwortete dieser: “Ja, ich würde gerne wieder zurück ins Krankenhaus.. Ich muss wissen, wie es Emma geht; und jetzt, wo de Leonie tot ist…” Er hatte den Drang, die gute Nachricht seiner Schwester, Mutter und seinem Schwager mitzuteilen. Alex und Robert wollten erst einmal zurück zum K11; sie verabschiedeten sich von Michael und Gerrit und Alex sagte: “Wenn du was neues von ihr erfährst, dann ruf uns an, ja?” Gerrit nickte. Dann stieg er zu Michael und Mike ins Auto und dieser fuhr ihn ins Krankenhaus…

 

Einige Zeit später waren Alex und Robert im Präsidium angekommen und unterrichteten den Staatsanwalt über den Verlauf und den Ausgang des Einsatzes. Kirkitadse hatte bereits auf sie gewartet und zückte nun seinen Notizblock. “… Grass hatte also keine andere Wahl als auf ihn zu schießen? Konnten Sie ihn nicht festnehmen?” Alex schüttelte den Kopf. “Herr Staatsanwalt, glauben Sie mir; er hatte wirklich keine andere Wahl. Gerrit hat Michael und Mike das Leben gerettet! Er wollte gerade auf die beiden schießen! Und vorab war kein Rankommen an ihn, er hatte Mike so sehr an sich herangepresst, dass es keine Chance gab, ihn zu stellen. - Nicht mal fürs SEK!” fügte sie noch schnell hinzu, denn sie konnte erkennen, dass der Staatsanwalt immer noch zweifelte. Alex und Robert ahnten, was dieser dachte. Auch ihnen waren die Gedanken gekommen; Gerrits Reaktion war sicherlich schnell gewesen - sehr schnell, und seine Gedanken kreisten um Rache. Trotzdem hatte er nicht voreilig reagiert. Das versuchte nun auch Robert dem Staatsanwalt klar zu machen. “Alex hat recht! Gerrit hat geschossen, weil es keine andere Wahl gab. Wenn er es nicht getan hätte, wären Michael und Mike jetzt tot, und wir vermutlich auch. Der Typ ist durchgedreht, als er begriffen hat, dass wir ihm eine Falle gestellt haben!” Schließlich nickte Kirkitadse. “Gut, in Ordnung. Vorerst habe ich genug gehört. Wenn Ihr Kollege wieder hier ist, sagen Sie ihm bitte, dass ich ihn abschließend sprechen möchte.” Er drehte sich um und ging zur Tür. Bevor er den Raum verließ drehte er sich noch einmal um und fragte etwas sanfter: “Haben Sie schon von ihm gehört ob sich an Emmas Zustand etwas geändert hat?” Alex schüttelte den Kopf. “Nein, leider nicht… Wir können nur hoffen, dass sich bald etwas ändert..” Damit ging Kirkitadse und schloss die Tür hinter sich. Alex und Robert sahen sich an. Beide setzten sich erst einmal. Ein wirklich anstrengender Tag war zu Ende gegangen und es war späterer Abend. “Gerrit hat immer noch Geburtstag…; und heute morgen sagt er, er hasst Geburtstage.. Wie recht er doch hatte…” sie seufzte. Robert antwortete nicht. Er stand auf und sah aus dem Fenster - scheinbar ins Leere. Zu tun hatten sie für heute eigentlich nichts mehr, aber sie wollten trotzdem noch bleiben und ihre Berichte schreiben…

 

Währenddessen war Gerrit von Michael im Krankenhaus abgesetzt worden, danach wollte dieser Mike zu Chrissie bringen und dann selbst noch ins K11 fahren. Auch ihn brachten vorerst keine 10 Pferde in seine Wohnung zurück.

 

Als er am Krankenhaus angekommen war, raste Gerrit an der Rezeption vorbei, bzw. er wollte es, doch die Rezeptionistin hielt ihn auf: “Wo möchten Sie denn jetzt noch hin? Wir schließen gleich..” Gerrit hatte gar nicht mitbekommen, dass es schon so spät am Abend war, er hatte den Sinn für Zeit völlig verloren. Er ging zurück und sagte: “Hören Sie, meine Nichte liegt auf der Intensivstation. Meine Schwester, deren Mann und meine Mutter sind noch bei ihr. Ich muss wissen, wie es ihr geht, bitte…” Die Mitarbeiterin sah kurz in ihren Computer blickte dann zu ihm hoch und antwortete: “Ach ja, das Mädchen.. Emma Grass; richtig?” Gerrit nickte. Er musste schlucken, dann fragte er: “Wie geht es ihr?” “Tut mir leid, soweit ich es sagen kann, hat sich wohl an ihrem Zustand noch nichts geändert.. Aber ihre Eltern und Großmutter sind noch bei ihr. Gehen Sie nur.” Gerrit nickte; dann sprintete er los. Er rannte über die Flure - zur Intensivstation und zu Emmas Zimmer. Als er davor stand, zögerte er kurz. Ihn überkam eine kaum zu beschreibende Angst; und er erinnerte sich daran, was Holger vor noch nicht allzu langer Zeit zu ihm gesagt hatte.. Doch dann riss er sich zusammen und drückte die Klinke hinunter.

 

Langsam trat er in den Raum. Gabriela und Holger saßen immer noch - oder wieder?; er wusste es nicht - auf der einen Seite ihres Bettes, und seine Mutter auf der anderen. Sie war immer noch an mehrere Schläuche angeschlossen, sie wurde immer noch beatmet. Er musste schlucken. Tief in seinem Inneren hatte er sich etwas anderes erhofft.. Schließlich räusperte er sich, denn weder Gabriela, Holger noch Gerlinde hatten sein Erscheinen bemerkt. Doch jetzt schauten sie auf. Holger stand auf und fragte: “Gerrit! Hast du Neuigkeiten? Habt ihr ihn?” Gerrit nickte nur. Dann atmete er kurz tief ein: “Es ist vorbei! Er ist tot! Ich habe ihn bei einem Einsatz erschossen..” Weiteres wollte er hier nicht erzählen. Das könnte er später noch tun. Gabriela war aufgestanden und umarmte ihn. “Er ist wirklich tot?? Das ist großartig…” Gerrit erwiderte kurz ihre Umarmung, dann drückte er sie sanft von sich und ging langsam auf Emmas Bett zu. “Ihr Zustand hat sich nicht geändert, oder? Keine Verbesserung?” Gerlinde schüttelte den Kopf. “Nein, leider nicht.. Sonst hätte ich dich angerufen; das habe ich ja versprochen.” “Ja, ich weiß” antwortete Gerrit knapp und setzte sich dann an die Seite des Bettes, an der seine Mutter gesessen hatte. Auch diese und Emmas Eltern setzten sich wieder. Sie wussten nicht, wie lange sie dort gesessen hatten, als eine Schwester in den Raum trat. “Entschuldigen Sie, aber Sie müssen jetzt gehen. Die Besuchszeiten sind leider vorbei für heute.” Gerrit stand kurz auf und ging zu ihr: “Hören Sie, ich bitte Sie.. Geben Sie uns noch einige Zeit, bitte. Meine Schwester und ihr Mann sind von weit her gekommen um bei ihrer Tochter zu sein. Und ich bin gerade erst gekommen… Geben Sie uns noch eine halbe Stunde, bitte…” Die Schwester sah ihn zweifelnd an. “Das habe nicht ich zu entscheiden; aber ich werde eine Ärztin holen…” Damit ging sie. “Danke” murmelte Gerrit nur, und setzte sich wieder. Er wusste selber, dass eine halbe Stunde nicht wirklich viel war. Aber er war nicht gewillt, sofort wieder zu gehen. Er war ja gerade erst gekommen! Langsam nahm Gerrit Emmas Hand und küsste sie. “Wach endlich auf, Kleines, bitte!” “Wie oft habe ich das schon gesagt…” hörte er die leise Stimme seiner Schwester. Gerrit schluckte. Sie wussten nicht, wie lange sie schon da saßen, als eine Ärztin den Raum betrat. “Entschuldigen Sie, ich kann mir sicherlich denken wie Sie sich fühlen, aber Sie müssen wie alle anderen Angehörigen jetzt auch das Krankenhaus verlassen! Wir haben seit einer Viertelstunde geschlossen!” Gabriela, Holger und Gerlinde waren aufgestanden, doch Gerrit wollte nicht so schnell aufgeben. “Bitte, lassen Sie uns noch ein wenig Zeit..” “Schon gut, Gerrit. Lass mal. Wir werden jetzt gehen. Gabriela und Holger kommen zu mir, und du siehst aus als solltest du nach Hause und ein wenig schlafen..” Der Ton seiner Mutter ließ keine Widerrede zu. “Ich nehme an, dass Sie uns anrufen, wenn sich an ihrem Zustand..” Gerlinde kam nicht mehr dazu weiterzureden. Im selben Augenblick hörten Sie einen lang gezogenen Ton, den Gerrit nur allzu gut kannte. Er drehte sich um. “Nein..” sagte er nur, und wollte zu Emma, doch die Ärztin schob ihn zur Seite. Sie drückte den Notknopf und in wenigen Sekunden war der Raum voller Ärzte. Gerrit, Gabriela, Gerlinde und Holger wurden in eine Ecke gedrängt und konnten nur entsetzt beobachten, wie sich die Ärzte und Ärztinnen um Emma bemühten. In Gerrit kamen Erinnerungen hoch. Erinnerungen, wie die Sanitäter und der Notarzt im Krankenwagen bei Emma Wiederbelebungsversuche gestartet hatten, und sie doch nicht mehr hatten zurück holen konnten.. Er ahnte, dass es dieses Mal zu einer Entscheidung kommen würde. Wenn sie es nicht schaffen würden, würde es vorbei sein… Er hörte den erstickten Schrei seiner Schwester. Gerrit umarmte sie. Er konnte nicht mehr hinsehen. Dazu fehlte ihm die Kraft. Holger verkrampfte sich und Gerlinde hielt entsetzt die Hände vor ihr Gesicht. Es ging sprichwörtlich um Emmas Leben. Ihr Herz war ohnehin sehr schwach gewesen und nun hatte es erneut aufgegeben. Die Ärztin stellte den Defilibrator erneut auf Stufe 200 und entlud ihn. “Kammerflimmern! - Noch mal!” hörte Gerrit eine dumpfe Stimme in seinem Kopf. Er drückte seine Schwester noch näher an sich heran. In seinem Kopf dröhnte es. Auf der einen Seite wollte er nichts sehen, doch ein innerer Drang zwang ihn geradewegs dazu, doch hinzuschauen. Die Ärzte kämpften um Emmas Leben. Doch endlose Minuten geschah nichts..

 

Gerrit wurde schlecht. Für ihn war es beinahe vorbei. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Emma diesen erneuten Herzstillstand überstehen würde.. Dann hörte er die Ärztin sagen: “O.k. letzter Versuch! Defilibrator auf 350! Wenn es dieses Mal nicht klappt, ist es vorbei…” Er drehte den Kopf weg. Er wollte es nicht sehen; nicht mitbekommen, wie Emma starb.. Er musste seine Schwester fester halten, damit sie ihm nicht wegsackte. Dann hörte er das vertraute und so verhasste Geräusch - und er hörte ein anderes Geräusch. Ein neues, etwas, was er fast nicht mehr für möglich gehalten hätte. Der Herzmonitor schlug wieder an! Emmas Herz schlug wieder! Auch die Ärzte hatten es kaum für möglich gehalten; die leitende Ärztin wollte gerade den Befehl geben, aufzuhören. Doch jetzt kam wieder Leben in sie. Und plötzlich kam noch ein weiteres Geräusch dazu. Gerrit hörte ein Husten! Emma hustete!! Gerrit ließ Gabriela los und sprintete nach vorne. “Sie ist wach!! Ich höre sie doch; sie ist aufgewacht!!!” “Ja, das ist sie; lassen Sie uns bitte unsere Arbeit machen” antwortete die Ärztin schroff und verstellte Gerrit den Weg. “Lösen Sie den Inkubator! Schnell! Das Mädchen erstickt sonst!” Behände machten sie sich daran, den Schlauch, mit dem Emma beatmet wurde, aus ihrem Hals zu entfernen. Die Ärztin nahm statt dessen ein Beatmungsgerät und hielt es ihr an den Mund. Gabriela und Gerrit hielten es nicht mehr aus. Sie stießen ein paar der Ärzte aus dem Weg und stellten sich neben Emmas Bett. “Emma? Kannst du mich sehen; Kleines, wir sind´s..” sagte Gabriela sanft. Und auch Gerrit hockte sich zu ihr hinunter. Emma hatte die Augen geöffnet, doch sie sah noch nicht so aus, als würde sie alles mitbekommen. Ihr Atem ging schnell - anscheinend noch zu schnell. “50 ml Lidocain” befahl die Oberärztin. “Emma”, sagte Gerrit leise. “Sieh mich an… bitte” Kurz nachdem die Ärzte ihr das Medikament gespritzt hatten, schien Emma ruhiger zu werden. Zumindest ihr Atem wurde ruhiger. Sie sah langsam in Gerrits Richtung. Sie versuchte ihre Hand zu ihrem Gesicht zu führen, doch Gerrit, der sich auf den Bettrand gesetzt hatte, legte seine Hand auf ihre und drückte sie sanft wieder herunter. “Nicht..” Er nahm ihr das Beatmungsgerät vom Mund, denn er hatte das Gefühl, dass Emma etwas sagen wollte. Emma hustete erneut. Dann hörte er ihre Stimme, und es klang in seinen Ohren wie Musik. “Gerrit… Hallo…” Auch Holger und Gerlinde waren zu ihr getreten. Nun standen sie alle vor ihrem Bett und in ihren Augen glitzerte es. Sie alle waren so voller Freude; sie konnten es kaum fassen. Sie hatten Emma schon beinahe aufgegeben. Emma registrierte nun auch den Rest ihrer Familie - ihre Eltern und ihre Großmutter - und lächelte. “Wo kommt ihr denn her??” fragte sie nun etwas deutlicher, wenn auch immer noch sehr leise. Ihr Hals war durch den Inkubator entzündet. Gabriela küsste sie auf die Stirn. “Na, woher wohl, meine Kleine…” “War ich so lange weg?” Emma wusste schon, dass ihre Eltern auch mit Auto einige Zeit brauchten, um zu Gerrit zu gelangen. “Welcher Tag ist heute?” Gerrit konnte nicht antworten, stattdessen antwortete Holger. “Es ist immer noch Gerrits Geburtstag, Kleines.. - Aber du warst viel zu lange weg…” “Ja, und Gott sei dank bist du wieder da…” Emma hustete erneut, und die Ärztin legte ihr behutsam das Beatmungsgerät wieder an. “So, jetzt ist es wirklich an der Zeit, dass Sie gehen!” sagte sie streng. “Die Besuchszeit ist lange vorbei und das Mädchen braucht Schlaf - Keine Sorge!” fügte sie hinzu, als sie Gerrits entgeisterten Blick sah. Für seinen Geschmack hatte sie zuviel “geschlafen“. “Dieses Mal wird es ein gesundheitsfördernder Schlaf sein. Und morgen können Sie dann wieder zu ihr.” “Und sie ist außer Lebensgefahr?” fragte er noch einmal nach. Er konnte es immer noch nicht wirklich glauben. “Sie wird selbstverständlich noch überwacht. Und sie wird noch einige Tage auf der Intensivstation bleiben müssen; auch wegen der Blutwerte.” Sie bezog sich auf die Heroinmenge in ihrem Blut. “Aber es sieht auf jeden Fall nicht mehr so schlecht aus.” Gerrit sah, dass sie Emma noch ein Mittel spritzten, was vermutlich ein leichtes Schlafmittel war. Er seufzte. So lange hatte er darauf gewartet, und nun war es soweit. Sie war aufgewacht! Sie lebte und sie würde es schaffen! Auch Gabriela, Holger und seiner Mutter war die Erleichterung anzusehen. Dann gingen sie. Gabriela und Holger “zogen” für die Zeit, in der Emma sich noch im Krankenhaus befand, zu Gerlinde und diese fragte Gerrit, als sie vor dem Gebäude standen: “Willst du nicht mitkommen? Du bist doch total fertig.. Bist du wirklich sicher, dass du alleine zu Hause sein kannst?” Gerrit nickte. “Lass mal, es wird schon gehen. Es geht mir ganz gut. Emma hat es geschafft! Ich werde jetzt nach Hause fahren, mich hinlegen und morgen direkt zur Besuchszeit wieder herkommen. Ich denke, wir treffen uns dann?” “Selbstverständlich. Musst du nicht arbeiten?” Gerrit schüttelte den Kopf. “Ich nehme mir ein paar Tage frei…” Dann gab er seiner Mutter einen Kuss und wollte gerade in sein Auto steigen, als ihm einfiel, dass er ja von Michael hergefahren worden war.. “Oh, ich habe ja kein Auto hier.. Könntet ihr mich vielleicht?…” “Klar” antwortete Holger. “Machen wir - und Gerrit! Bevor ich es vergesse.. Das, was ich heute Nachmittag gesagt habe, tut mir leid.. Du weißt schon.. Du bist nicht schuld an dem, was Emma passiert ist. Ich war einfach nur geschockt, wütend… Ich war einfach ungerecht.” Gabriela küsste ihn. Gerrit nickte. “Danke.” sagte er nur, dann stiegen sie ins Auto und Holger fuhr Gerrit nach Hause.

 

Dort angekommen rief er als erstes im K11 an. Alex nahm den Hörer ab. “Gerrit! Warte, ich stell dich auf laut. Gibt es was neues?” “Ja, und sogar etwas unglaublich gutes! Emma ist aufgewacht..” “Das ist ja phantastisch! Wie geht es ihr??” “Na ja, den Umständen entsprechend.. Die Ärzte haben sie direkt wieder “schlafen gelegt” - aber dieses Mal soll es ein gesunder Schlaf sein.. Und sie ist wohl außer Lebensgefahr. Aber sie bleibt noch ein paar Tage in der Intensivstation.” Das war die Kurzversion. “Und wie geht es dir?” hakte Alex nach. Irgend etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen. “Mir? So lala.. Ich bin müde; Holger hat mich nach Hause gefahren und ich werd mich gleich aufs Ohr legen.. Aber du hörst dich irgendwie komisch an.. Ist alles in Ordnung? Wie geht es denn Michael und Mike?” Michael antwortete an Alex´ Stelle. “Mike ist jetzt bei Chrissie und ich denke die beiden haben sich noch viel zu erzählen; aber es geht ihnen ganz gut, denke ich. Mir auch..” Gerrit wurde das Gefühl nicht los, das irgend etwas nicht in Ordnung war… “Ihr hört euch beide so komisch an.. Ist wirklich alles o.k.??” Im K11 sahen sich Michael und Alex an und schließlich antwortete Alex: “Na ja.. Also es ist so, dass Kirkitadse eben hier war. Er hat einige Fragen gestellt, bezüglich des Ausgangs unseres Einsatzes. Und.. Sagen wir mal, es klang so, als hätte er Zweifel daran, dass du wirklich keine andere Wahl hattest, als de Leonie zu erschießen.. Natürlich haben wir direkt versucht, ihn davon zu überzeugen!” fügte sie schnell hinzu. Gerrit konnte erst einmal nichts sagen. Schließlich antwortete er: “Also denkt er, ich hätte ihn extra erschossen? Dass ich eine andere “Wahl” gehabt hätte?” “Das wissen wir nicht, Gerrit.. Auf jeden Fall sollst du zu ihm kommen.. So bald wie möglich.” “Also als erstes werde ich morgen früh ins Krankenhaus fahren. Und wenn es Emma besser geht, dann komme ich evtl. ins K11! Wenn der Staatsanwalt mich sprechen will, dann soll er zu mir kommen!” Damit knallte er den Hörer auf. Er hatte für heute genug. Gerrit legte sich auf sein Bett und dachte über den Tag nach. Was für ein katastrophaler Geburtstag. Er schloss die Augen. `Bin ich froh, wenn dieser Tag zu Ende ist…´ dachte er noch, dann war er eingeschlafen…

 

Am nächsten Tag wurde er von Holger abgeholt - er hatte ja immer noch kein Auto - und sie fuhren alle gemeinsam zum Krankenhaus. Emma war bereits wach und freute sich, als sie kamen. Der Staatsanwalt verzichtete darauf, zu Gerrit zu fahren; und auch Alex, Michael und Robert hörten nichts mehr von ihm. Sie sprachen ihn allerdings auch nicht mehr darauf an. Am Ende ihrer Schicht fuhren auch sie ins Krankenhaus um Emma zu besuchen. Noch war sie ziemlich schwach und konnte nicht viel reden; aber es war abzusehen, dass sie es schaffen würde. Und es ging ihr von Tag zu Tag besser..

 

Dann war eine Woche vorüber. Gerrit war nach einigen Tagen Pause wieder zum Dienst erschienen und hatte doch noch sein Gespräch mit Kirkitadse führen müssen. Dieser war schließlich zu der Einsicht gelangt, dass Gerrit tatsächlich keine andere Chance hatte, als zu schießen und sich nicht von Rachegefühlen hatte leiten lassen. Schließlich war Gerrit wieder voll einsatzfähig und saß gerade mit Alex und Michael über einem neuen Fall - als die Tür aufging und ein junges Mädchen hineinstürmte - Emma! Gerrit sprang von der Fensterbank und lief ihr entgegen. Hinter ihr traten Gabriela und Holger durch die Tür. “Hey, Süße..” Gerrit umarmte Emma. “Ich wusste gar nicht, dass du heute schon entlassen würdest…” Er sah Gabriela an. “Ist es schon soweit? Ich dachte erst nächste Woche..” Emma setzte sich keck auf die Fensterbank, so wie Gerrit zuvor. “Ich bin wegen “Guter Führung” entlassen worden” kicherte sie. “Nein, im Ernst, mir geht’s wieder gut und die Ärzte haben nichts mehr festgestellt. Daher haben sie mich gehen lassen.” Gabriela nickte. Gerrit strich Emma über den Kopf. “Das freut mich. Und dir geht es wirklich wieder gut? Keine Schmerzen mehr?” “Na ja.. Mir ist viell. ab und an noch ein wenig schlecht. Ich muss noch ein paar Medis nehmen, aber das wird auch vorbei gehen.” Dann wurde sie ein wenig traurig. “Wir müssen uns leider verabschieden, Mum und Dad wollen wieder zurück... - Aber!” fügte sie noch hinzu bevor Gerrit noch was antworten konnte: “Aber bevor wir fahren wollten wir dir noch eine kleine Überraschung bereiten - quasi als Entschädigung für den verkorksten Geburtstag.” Gerrit runzelte die Stirn. Noch mehr Überraschungen? Die an seinem Geburtstag reichte ihm… Und “verkorkst” war wohl mehr als untertrieben… “keine Angst” bemerkte Gabriela lächelnd. “Es wird nichts dramatisches sein. Wir wollen dich zum Essen einladen. Nur wir, mit Mutter zusammen. Beim Edelitaliener.” Gerrit kannte ihn; er war “sauteuer” und für ihn kaum zu bezahlen. “Und dahin wollt ihr mich einladen?” fragte er. Er konnte es kaum fassen. “Klar, du hast es verdient!” antwortete Emma kurz und knapp; sprang von der Fensterbank und umarmte ihn. Gerrit erwiderte ihre Umarmung. Alex, Robert und Michael waren gerührt. “Na los, schieb schon ab” sagten alle beinahe gleichzeitig, als Gerrit gerade fragen wollte, ob sie auf ihn verzichten könnten. Er lachte. “Viel Spaß!” sagte Robert noch, dann schnappte sich Gerrit seine Jacke, und verließ zusammen mit seiner Familie, die sich noch kurz von den anderen Kommissaren verabschiedeten, das K11.

 

Und dieses Mal hatte er tatsächlich einen wunderschönen Abend. Es war wirklich eine gelungene Entschädigung für den missratenen Geburtstag. Das Essen war phantastisch, sie scherzten und hatten Spaß. Und kein Zwischenfall störte den wunderschönen Abend.Doch auch dieser Abend hatte einmal ein Ende, und schließlich kam auch für sie die Stunde des Abschiednehmens. Gerrit schloss Emma in die Arme und verabschiedete sich auch von seiner Schwester und ihrem Mann. “Macht es gut; und kommt bald wieder!” sagte er und kämpfte mit den Tränen. Es fiel ihm so verdammt schwer… “Machen wir, Bruderherz! Und Emma wird sicherlich auch bald mal wieder zu Besuch kommen, nicht erst in einem Jahr.” “Schickt ihr sie mir denn noch?” fragte er halb aus Spaß halb im Ernst. “Sei nicht albern, das Thema haben wir doch durch..” antwortete Gabriela und umarmte ihn erneut. Dann stiegen sie in ihren Wagen und fuhren los. Gerrit winkte ihnen noch nach und lief dann die paar Meter zu sich nach Hause. Es war nicht allzu weit entfernt. Am nächsten Tag war wieder Dienst angesagt und er wollte fit sein. Der Alltag hatte ihn wieder…

ENDE


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