Abenteuer Krankenhaus?
1.
Robert und Gerrit fuhren nach einer eher langweilen Zeugenbefragung in einem an München angrenzenden Dorf durch einen Wald zurück in Richtung München, um wieder ins Büro zu kommen. Es war mittlerweile Mittag und Gerrit knurrte der Magen. Ausnahmsweise fuhr Robert, weil Gerrit sich hatte erweichen lassen, ihn ans Steuer zu lassen.
Skeptisch blickte Gerrit von der Beifahrerseite aus auf´s Tacho. 110 km/h. Gerrit pfiff. „Solltest Du nicht mal wieder etwas vom Gas runter gehen?“ fragte er Robert. Der schaute beleidigt kurz zu ihm rüber „Spielst Du jetzt Michael oder hast Du Angst?“ Gerrit schnaubte, ein Vergleich mit Michael war nun wirklich das Letzte, was er mochte „Mach meinetwegen, was Du willst, aber wenn uns ein Kollege blitzt, sitzen wir ganz schön in der Tinte.“ Verärgert schaute er aus dem Fenster. ihn mit Michael zu vergleichen, so ein Unsinn. Sein knurrender Magen meldet sich wieder „Was essen wir eigentlich heute Mittag?“
Bevor Robert antworten konnte, sah Gerrit aus dem Augenwinkel heraus etwas vor ihnen auf die Landstraße springen. „Stopp“ konnte er gerade noch schreien, als das Etwas auch schon gegen die Stoßstange aufprallt. Robert trat zwar sofort auf die Bremse, aber dadurch konnte der Zusammenprall nicht mehr verhindert werden. Der Wagen scherte aus und drehte sich erst einmal um 90 Grad und im nächsten Augenblick platzten die Airbags heraus.
Als sie endlich quietschend zum Stehen kamen, drückte Robert erst einmal den Airbag von seinem Gesicht weg. Verdutzt sah er zu Gerrit rüber. Der war ebenfalls damit beschäftigt, den Airbag loszuwerden. Zerknirscht hielt er sein rechtes Knie „Ist schon scheiße, wenn man so groß ist, da schützt auch der Airbag nicht davor, mit dem Knie hier vorne anzustoßen.“ murmelte er, bevor er sich ärgerlich Robert zuwandte „Verdammt Robert, jetzt haben wir den Salat! Und was nun?“
Robert war eher darüber erschrocken, dass Gerrit sich verletzt hatte. „Ist es schlimm?“ hakte er deshalb sofort nach. Gerrit schüttelte den Kopf, dann kam ihm wieder das Etwas in den Sinn „Nee, geht schon wieder. Komm, wir müssen schauen, was das war. Hoffentlich kein Mensch.“ Jetzt erst wurde Robert wieder bewusst, was gerade geschehen war. Flink sprang er aus den Wagen und sah sich um. Doch weit und breit war nichts zu sehen.
Er rannte los, um hinter ihrem Wagen die Büsche abzusuchen. Auch Gerrit war mittlerweile ausgestiegen und leicht humpelnd folgte er ihm. Je mehr er ging, desto besser schien es seinem Knie zu gehen. Während Robert den rechten Waldrand absuchte, suchte Gerrit den linken ab. Plötzlich schrie Robert „Hier, hier ist es.“ Gerrit drehte sich zu ihm um 'es ? Also Gott sein Dank doch kein Mensch'. Er war ziemlich erleichtert und ging rüber zu Robert.
2.
Da lag es, ein ausgewachsenes Reh. Sogar ein ausgesprochen schönes Tier. Nur die unverkennbaren Spuren des Aufpralls störten das Bild. Traurig sahen sie beide das Tier an, dass sich nicht rührte. Gerrit dreht sich nach einer Weile um, holte sein Handy aus der Hosentasche und rief bei der Försterei an, um den Wildunfall zu melden. Gerade als er dem Förster alles erklärt hatte, schrie Robert entsetzt auf. Vor Schreck wäre Gerrit fast das Handy aus der Hand gefallen wären. Genervt sah er ihn fragend an. „Gerrit, das Tier hat sich bewegt.“ Gerrit ging zweifelnd näher, um das selbst zu überprüfen, während er immer noch den Förster am Handy hatte. Tatsächlich, Robert hatte Recht, das Tier strampelte leicht. Er sagte es dem Förster. Sagte dann nur noch ein zögerliches ja und legte auf.
Robert sah ihn erwartungsvoll an „Und?“ Gerrit sah ihn deprimiert an. Dieser Tag schien sich langsam aber sicher nicht zu einem seiner besten zu entwickeln. „Wir sollen die Stelle mit einem Absperrband kennzeichnen, er holt das Reh heute Nachmittag ab.“ Robert verstand nicht ganz „Und das Reh, es lebt doch. Wir müssen einen Tierarzt holen!“ Gerrit schüttelte den Kopf „Denk nach. Für ein Reh ist doch kein Tierarzt zuständig. Niemand kann an ihn näher herantreten ohne eventuell selbst verletzt zu werden. Was meinst Du, was das Tier für Kräfte in den Hufen hat?“ „Und jetzt?“ fragte Robert, dem langsam ein Licht aufging. „Na was schon, wir sollen es so schnell wie möglich erlösen. Der Förster hat nur gemeint, da wir als Polizisten Waffen bei uns tragen, können wir das auch erledigen.“
Robert war damit ganz und gar nicht einverstanden. Aber Gerrit redete eine Weile auf ihn ein und überzeugte ihn schließlich davon, dass es für das Tier besser war, als hier elendig auf seinen Tod zu warten,denn ganz offenbar war es nicht in der Lage, von selbst auf die Beine zu kommen. So wie sie es von hieraus sahen, waren vermutlich seine vorderen Beine – nannte man die überhaupt so? Gerrit wusste es nicht genau – gebrochen. Es hatte also kaum eine Überlebenschance.
Robert fragte „Und wer erschießt es nun, Du?“ Gerrit schaute ihn perplex an „Ich, wieso denn ich? Du hast es doch angefahren. Ich habe Dir gesagt, dass Du zu schnell bist.“ „Aber ich kann das nicht.“ „Glaubst Du, für mich wäre das einfacher?“ Robert sah ihn traurig an und als Gerrit bemerkte, dass Robert Augen sich langsam aber sicher mit Tränen füllten, ließ er sich erbarmen. „Also gut, wir losen es aus, aber wer verliert erschießt das Tier ohne weitere Diskussionen. OK?“ Robert holte tief Luft. Also eine 50 : 50 Chance, dass es ihn nicht traf. Besser als gar nichts. Er nickte.
Robert holte aus dem Fahrzeug zwei Streichhölzer, riss eines davon zur Hälfte ab und hielt dann beide hinter den Rücken. Als er seine beiden Fäuste wieder nach vorne hielt durfte Gerrit sich eine Hand aussuchen. Gerrit starrte auf die von ihm ausgesuchte Hand, die sich langsam öffnete und fluchte. Er hatte das kürzere der beiden Streichhölzer erwischt, also musste er es tun.
3.
Gerrit sah betrübt zu dem Tier rüber, es atmete immer schwer fälliger. Langsam ging er so nah wie möglich zum Kopf des Tieres. Es sollte wenigstens nicht noch mehr leiden, da wollte er es möglichst mit einem Schuss erledigt haben. Insgeheim hoffte er, dass es vor seinem Schuss von alleine sterben würde, aber den Gefallen tat ihm das Tier nicht. Er nahm seine Waffe und zielte auf den Kopf.
Ausgerechnet jetzt musste ihn das Tier mit seinen wunderschönen großen braunen Augen anschauen. Er sah noch einmal zu Robert rüber und bemerkte, dass der ihm zuschaute. Seine Hand zitterte leicht. Die Worte 'Komm Gerrit sei kein Schlappschwanz, erlöse das Tier' schwaberten durch sein Gehirnwindungen. Noch einmal sah er zu dem Tier. Ein magischer Moment entstand. Die Augen des Tieres schienen ihm irgendwie zu sagen, dass es ihm dies alles hier verzieh. Dann schaute das Tier weg und ein Schuss ertönte.
Gerrit sah das Aufbäumen des Körpers, als seine Kugel in seinen Körper fuhr und fühlte sich einfach nur hundsmiserabel. Niedergeschlagen stand er mühsam auf, denn sein Knie meldet sich wieder.
Er ging zurück zu Robert und presste im Vorbeigehen die Worte „Du markierst die Stelle.“ heraus. Dann ging er zurück zum Auto und ließ sich niedergeschlagen auf den Beifahrersitz nieder.
Als Robert die Stelle markiert hatte, stieg auch er wieder in den Wagen ein. Zum Glück war der Motor nicht beschädigt. Außer dass Gerrit nebenher erwähnte, dass sie den Unfall der Dienststelle melden müssten, wegen dem Schaden sagte keiner von ihnen beiden ein Wort, bis sie vor dem K11 ankamen.
Als er ausstieg, um nach oben zu gehen, meinte Robert zu ihm „Gerrit, warte doch mal, was sagen wir denn der Dienststelle?“ Gerrit sah ihn fragen an. „Na ich meine, wie der Unfall passiert ist und so?“ Gerrit zuckte nur mit der Schulter „Na was schon, das uns das Reh ins Auto gesprungen ist. Was denn sonst?“ „Ich meine, weil ich doch zu schnell war.“ „Wenn es Dich beruhigt. Ich werde nichts über Deine Geschwindigkeit sagen, ich saß ja schließlich auf dem Beifahrersitz. Sag also, was Du willst“ Robert atmete erleichtert auf. Im Büro zogen ihn sowieso schon alle wegen seines Fahrstils auf, dabei war er doch der beste Fahrer von allen und wenn er nun wegen des Zuschnellfahrens auch noch den Führerschein verlieren würde. Er wollte sich die Häme gar nicht erst vorstellen, mit der er dann wohl vorlieb nehmen müsste.
Als sie oben angekommen waren, musste sie erst mal alles über den Unfall erzählen. D.h. Robert erzählte, wobei er natürlich seine zu hohe Geschwindigkeit lieber unerwähnt ließ, während Gerrit auf der Fensterbank saß und nach draußen starrte. Als Alex hörte, dass Gerrit das Tier erschießen musste, wusste sie, warum er so still auf der Fensterbank saß und keinerlei Kommentar ab ließ. Sie ging zu ihm und nahm ihn kurz in den Arm. Michael wandte sich nun auch an ihn „Junge, das musste sein. Das Tier hätte nur unnötig gelitten.“ Gerrit nickte, sagte aber immer noch keinen Ton, irgendwie war ihm das Sprechen heute vergangen. „Also Kinder, wir haben immer noch den Fall aufzuklären, also an die Arbeit.“ sprach Michael und wandte sich wieder seinem Computer zu.
4.
Robert wurde von Michael ins Labor geschickt, um dort Ergebnisse abzufragen. Der war also für die nächste Zeit beschäftigt. Gerrit ging, besser gesagt humpelte nach draußen, um in seinem kleine Einmannbüro etwas zu recherchieren. Michael rief ihm hinterher „Willst Du das nicht besser erst einmal untersuchen lassen?“ Gerrit dreht sich vorm Hinausgehen noch einmal um „Nein, geht gleich schon wieder, ist bestimmt nur geprellt.“ Michael murmelte „Wenn Du meinst.“ und wandte sich wieder seinem Computer zu. Während Alex Gerrit kopfschüttelnd hinterher sah. Der konnte manchmal aber auch echt ein Sturrkopf sein.
Zwei Stunden später saßen Michael, Alex und Robert im Büro und warteten auf Gerrit, um ihre Ergebnisse miteinander vergleichen zu können. Endlich ging die Türe auf und Gerrit humpelte herein. Er humpelte viel stärker als noch zwei Stunden zuvor und hatte sichtlich Schmerzen beim Gehen. Es hatte den Anschein, als könne er das Knie gar nicht mehr großartig einknicken. Michael sprang sofort auf und hielt ihn den Stuhl hin. „Hier setze Dich. Du solltest doch zum Arzt fahren. Haben wir Dir doch gleich gesagt!“ Gerrit sah ihn kopfschüttelnd an „Nein, ist schon in Ordnung. Ich kenne das schon. Ich kühle das gleich zu Hause, dann wird es in Null komma nichts wieder besser. Glaube mir, ich hatte das schön öfter. Das ist sicher nur eine harmlose Prellung.“ Nun mischte sich auch noch Alex ein „Trotzdem wäre es sicher besser, das nachprüfen zu lassen.“ Gerrit stöhnte, erst die Schmerzen und jetzt auch noch das Genörgel der beiden. Langsam nervte es.
Michael wollte sich schon wieder setzen, als ihm etwas einfiel. „Komm, tue uns wenigstens den Gefallen und lass doch mal sehen.“ Gerrit schaute ihn befremdet an „Wie, lass doch mal sehen?“ „Na zieh mal die Hose runter und lass uns Dein Knie anschauen, wenn es wirklich nach einer Prellung aussieht, hören wir auf, Dich zu nerven, versprochen.“ Gerrit sah sich irritiert um „Wie Hose runter, hier?“ Das konnte doch nicht Michaels ernst sein, hier konnte doch jederzeit einer rein platzen und wie sah es denn dann aus, wenn er hier in Unterhose stand?
Alex konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen „Komm schon, wir schauen Dir auch nichts weg oder hast Du heute keine Unterhose an?“ Hilfe suchend wandte sich Gerrit Robert zu, aber der hob nur bedauernd seine Schultern. Er war einfach nur froh, dass er nicht in Gerrits Haut steckte. Michael und Alex konnten ziemlich rigoros sein, wenn sie sich erst einmal erstmal etwas in den Kopf gesetzt hatten und da wollte er nun mal nicht hineingezogen werden. Außerdem wollte auch er, dass Gerrit zum Arzt ging. Nicht, dass er doch schlimmer verletzt war, als er angab.
Resignierend erhob sich Gerrit „Na gut, wenn es unbedingt sein muss. Aber nur unter Protest“ Er öffnete sein Hose und zog sie nach unten. Allerdings bekam er diese kaum über sein lädiertes Knie, weil das mittlerweile ein ganzes Stück mehr angeschwollen war, als noch vor zwei Stunden. Michael half ihm mit leichtem Druck und sie konnten endlich sein Knie begutachten.
Als Gerrit sein Knie besah, war alles was er denken konnten 'verdammter Mist'. Er betastete es vorsichtig und als er wieder hoch sah, sah er direkt in die besorgten Augen von Alex. Bevor die loslegen konnte, hielt er abwehrend sofort seine Hände hoch „Schon gut, schon gut, ich sehe es ja ein. Ich lasse das Knie doch besser kurz untersuchen.“ Er sah in die Runde „Fährt mich jemand?“
5.
Michael schnappte sich seine Jacke. „Natürlich und damit Du es Dir nicht im letzten Moment noch einmal anders überlegst, fahre ich Dich höchst persönlich.“ So hatte Gerrit sich das nicht vorgestellt. Eigentlich hatte er gehofft, dass Alex sich schneller melden würde. Verärgert darüber, dass er Alex nicht direkt angesprochen hatte, murmelte er sich in den nicht vorhandenen Bart „das hätte ja nicht besser laufen können“ Nein, der Tag verlief ganz und gar nicht gut.
Er versuchte, seine Hose wieder hochzuziehen. Dies stellte sich aber als äußerst problematisch heraus, denn die ging nicht mehr über sein Knie, zumindest nicht, wenn er größere Schmerzen vermeiden wollte. Verärgert ließ er die Hose wieder los und jammerte „Toll! Und was jetzt, ich kann ja schließlich nicht in Unterhosen zum Krankenhaus fahren!“ Michael sah sich kurz um, ergriff eine Schere von seinem Schreibtisch und antwortete „Kein Problem, wir schneiden das Hosenbein von unten auf, dann geht es schon .“
Gerrit sprang trotz der Schmerzen im Knie panisch zurück „Hey, Hey, Hey, auf gar keinen Fall, die Hose habe ich erst letzte Woche gekauft, die hat 180 Euro gekostet. Bist Du wahnsinnig!“ Nie im Leben würde er Michael an seine neue Hose lassen. Es hatte schon lange gedauert, endlich eine Hose nach seinen Vorstellungen gefunden zu haben. Er hieß ja schließlich nicht Robert und war mit der erstbesten zufrieden.
Alex hatte die Lösung des Problem „Robert gehe doch mal runter zu den Kollegen, da haben sie doch für Notfälle immer Trainingsanzüge auf Lager. Hole von denen für Gerrit eben eine Hose.“ Robert, der das Ganze bisher nur beobachtet und ein schlechtes Gewissen hatte, weil er für das Ganze verantwortlich war, war froh, endlich etwas tun zu können und rannte sofort los. Als er kurz darauf mit einer Trainingshose wieder ins Büro kam, hatte Michael Gerrit schon einmal geholfen, die Jeans vollständig auszuziehen.
Als Gerrit die Hose sah, war er fast schockiert „Hatten sie denn nicht eine schönere da?“ fragte er pikiert. Robert, der von der Hose, die er extra für Gerrit aus einer Reihe von verschiedenen Hosen ausgesucht hatte, begeistert war, sah sich die Hose an. Was hatte Gerrit bloß dagegen einzuwenden? Sie war hell grün mit seitlichen hellblauen Streifen und einem leicht dezenten schwarzen Muster, doch eigentlich ganz normal. Ja sogar recht schick.
Gerrit schüttelte den Kopf. „Na egal, gibt her. Passt ja wunderbar zu meinem türkisen Hemd“ ergab er sich seinem Schicksal. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, von wem Robert bloß seinen Geschmack geerbt hatte. Da er sein Bein nur noch begrenzt anwinkeln konnte, musste Michael ihm auch beim Anziehen der Trainingshose helfen. Gerrit verfluchte diesen Tag immer mehr. Endlich war auch das geschafft und die beiden waren auf den Weg zum Krankenhaus.
6.
Beim Krankenhaus angekommen, half Michael Gerrit zur Anmeldung zu humpeln. Er sah die Frau hinter der Glaswand an. Seinen Ausweis gegen die Scheibe haltend erklärte er „Naseband mein Name. Kripo. Wir brauchen mal einen Arzt, mein Kollege wurde in Ausübung des Berufs verletzt.“ Die Frau sah kurz hoch und wies sie beide an. „Ich brauche den Name des Patienten und dann setzen sie sich bitte da hinten in den Wartebereich, Sie werden aufgerufen.“ Michael sah zum Wartebereich, der ziemlich voll war. Das würde ja mindestens eine Stunde dauern, bis sie dran waren. Er wandte sich wieder an die Frau „Junge Frau, ich habe mich wohl nicht richtig ausdrückt. Wir sind Polizeibeamte und ..“ Die Frau unterbrach ihn „Ich habe sie laut und deutlich verstanden. Aber wir haben, wie sie vielleicht selbst sehen können, momentan viel zu tun und ihr Kollege sieht nicht gerade so aus, als würde er lebensgefährlich verletzt sein oder? Also nehmen Sie bitte Platz, ich werde sehen, was ich tun kann.“
Gerrit, dem das Ganze äußerst peinlich war antwortete schnell „Der Name des Patienten ist Gerrit Grass, hier meine Krankenkarte.“ und drängte Michael „Jetzt komm, setzen wir uns endlich.“ Michael wollte erst noch etwas ergänzen, ließ es dann aber bleiben und nahm mit Gerrit im Wartebereich auf den bereitstehenden Stühlen Platz. Gerrit versuchte sein Bein so schonend wie möglich irgendwie gerade zu halten. Er sah sich ein bisschen um und beobachtete die Menschen um sich herum. Als ihm langweilig wurde, bat er Michael, ihm eine Zeitung am Kiosk zu holen. Michael sah ihn mürrisch an „Was bitte?“ „Soll ich jetzt etwa da hinten rüber humpeln? Da musst Du doch auch mitgehen.“ fragte Gerrit grinsend. Michael schüttelte den Kopf und bewegte sich mürrisch in Richtung Kiosk, um eine Zeitung auszusuchen.
Gerrit grinste ihm nachschauend, immer noch in sich hinein. Er wusste genau, wie weit er bei Michael gehen konnte, bevor der explodierte. Manche behaupteten ja, dass Michael ein harter Kerl ohne Humor sei. Aber dem war nicht so. In sich drin war er weich wie Butter und das wusste Gerrit. Manches Mal schon hatte er ihn bis an seine Grenzen ausgetestet, aber bislang war immer alles gut gegangen. Nur ein einziges Mal war er sich nicht sicher gewesen, zu weit gegangen zu sein. Er hatte einen Hund – er gab es zu, absichtlich - aus seiner Lieblingstasse, die von seinem Fußballverein Düsseldorf war, essen lassen. Na ja, er war nicht darum herumgekommen, Michael für teures Geld eine neue Düsseldorf-Tasse zu besorgen, aber die Prophezeiung der Kollegen, dass Michael ihm dafür den Kopf abreisen würde, war nicht eingetreten. Also was soll´s.
Nach längerem Suchen hatte Michael endlich die Richtige gefunden. Er nahm insgesamt drei Hefte und ging zurück. Er gab einer der Zeitschriften Gerrit. Der konnte erst einmal nicht glauben, was Michael da besorgt hatte - Stricken für Anfänger -. Er gab sie ihm auch gleich wieder zurück. „Wirklich sehr witzig.“ Michael konnte sich das Lachen nicht verkneifen und gab ihm endlich die richtige Zeitschrift, die er für ihn besorgt hatte. „View?“ fragte Gerrit. Michael zuckte mit den Schultern „Da sind schön viele Bilder drin, wo Du doch nicht so gut lesen kannst.“ Gerrit grinste und nickte nur. Gut ab und an musste man auch einstecken können
Das Heft - Stricken für Anfänger – packte Michael ein, damit konnte er noch Alex ärgern und für das zweite dumme Gesicht hatten sich die 2,50 Euro allemal gelohnt.
Nach weiteren 15 Minuten hörten sie die Durchsage „Herr Grass, bitte in den Behandlungsraum 3“ und machten sich auf den Weg. Das ging ja dann doch schneller als erwartet und die anderen Patienten, die schon länger hier warteten, murrten etwas auf. Michael hob die Hände „Tut mir ja schrecklich Leid, aber wir sind Polizisten im Dienst und müssen so schnell wie möglich wieder unseren Dienst aufnehmen.“ Wenn er gehofft hatte, nun freundlicher Gesichter zu sehen, irrte er sich gewaltig.
Schnell brachte Michael Gerrit in den Behandlungsraum mit der Nummer 3 und wollte wieder gehen, um draußen zu warten, als er von Gerrit mit eisernem Griff am Oberarm zurückgehalten wurde. „Wo willst Du denn hin? Bleib hier, wer weiß wann jemand kommt.“ Michael lachte „Ja klar, hast wohl schiss was?“ In dem Moment wurde auch schon die Türe aufgestoßen und die Ärztin kam herein. Sie ließ sich berichten, um was es ging und Gerrit musste erneut die Hose ausziehen. Sie untersuchte vorsichtig das Knie, aber bei jeder Berührung zuckte Gerrit zurück. Sie notierte etwas und meinte dann „Ich schicke ihnen erst einmal eine Krankenschwester, die wird Ihnen einen Zugang legen, damit wir Ihnen darüber ein schnell wirkendes Schmerzmittel verabreichen können, so wird das sonst nichts.“
7.
Kaum war die Ärztin draußen, kam eine ältere Schwester zusammen mit einer wirklich hübschen jungen Krankenschwester herein. Gerrit strahlte die jüngere Krankenschwester sofort an. Er wurde ganz nebenher von der älteren Schwester gefragt, ob er es erlauben würde, wenn die Schwesternschülerin bei ihm den Zugang legt, immerhin müsse ja schließlich jeder mal anfangen. Gerrit, der nur Augen für die hübsche Schwesternschülerin hatte, schüttelte den Kopf. „OK, gut, dann holen wir den Zugang und sind gleich wieder da. Entspannen Sie sich.“
Gerrit sah rüber zu Michael, der ihn entgeistert anstarrte. „Was?“ fragte Gerrit angesichts Michaels Gesichtsausdruck irritiert. „Bist Du eigentlich von allen guten Geistern verlassen, was meinst Du, wie oft die zusticht. Mensch die lernt doch noch.“ Gerrit wurde bei der Vorstellung ganz mulmig „Meinst Du?“ Aber an seiner Einwilligung konnte er nun nicht mehr ändern, denn die beiden Schwestern kamen schon wieder.
Nach drei misslungenen Versuchen, in denen Gerrit tapfer durchgehalten hatte, war es endlich geschafft und der Zugang war gelegt. Gerrit atmete erleichtert auf und strahlte die junge Schwesternschülerin immer noch an. Sein linkes Handgelenk zierten neben dem Zugang nun auch eine Reihe von Pflaster. Umgehend wurde ein Tropf, in dem sich das Schmerzmittel befand eingehängt und die beiden Schwestern gingen wieder.
Nach weiteren 20 Minuten kam die Ärztin wieder in den Behandlungsraum, nahm die Vor- Untersuchungen vor und schickte Gerrit zu allerlei Untersuchungen, zu denen er von Michael der Einfachheit halber mit einem Rollstuhl geschoben wurde. Ganze 1,5 Stunden dauerte die Prozedur, weil sie überall anstehen mussten und nun warteten sie mal wieder auf die Ärztin, um das Ergebnis zu erfahren.
Gerrit freute sich schon auf sein Sofa und ein kühles Bier zu Hause. Vielleicht kam ja auch auf irgend einem Sender Fußball. Aber da freute er sich eindeutig zu früh. Endlich kam die Ärztin zurück. „So Herr Grass. Die Untersuchungen haben ergeben, dass sie einen ziemlich großen Bluterguss in ihrem Knie haben, der die Schmerzen verursacht und verhindert, dass sie das Knie halbwegs passabel einknicken können. Das heißt, wir müssen den Bluterguss so schnell wie möglich herausziehen, das geht aber erst, wenn die Schwellung soweit abgeklungen ist, dass wir auch vernünftig dran kommen. Wir nehmen Sie deshalb stationär auf, kühlen erst einmal das Knie durchgehend und sehen dann in 24 Stunden weiter.“
Gerrit dachte erst er hätte sich verhört. Stationär, wegen einem Bluterguss?. Wieso denn das, kühlen konnte er doch auch zu Hause. Diese Meinung tat er auch kund, aber die Ärzte ging gar nicht auf seine Argumente ein, meinte nur „Nein, ich will das Knie unter Beobachtung haben, falls sich der Bluterguss weiter ausdehnt. Sie hätten viel früher kommen müssen, dann wäre das längst erledigt“ und drehte sich sodann um, um ihre Mitarbeiterin anzuweisen, alles zu veranlassen, damit Gerrit auf ein Zimmer gebracht wurde.
Frustriert sah er Michael an. Der wehrte sogleich mit erhobenen Händen das möglicherweise bevorstehende Gejammer ab „mir brauchst Du nicht kommen, ich habe Dir sofort gesagt, lass es untersuchen. Du hast ja gehört, dann wäre das Knie vermutlich nicht so angeschwollen.“ Michael wurde von der Schwester mit Gerrits Papieren in die Anmeldung geschickt, während sie Gerrit mit dem Rollstuhl in die vierte Etage fuhr. Damit er sich dafür nicht erst mühsam die Hose wieder anziehen musste, hatte man ihm eine Decke über die Beine gelegt.
8.
Im Zimmer angekommen, setzte er sich erst einmal auf das Bett und sah sich um. Sein Zimmernachbar, seinem Aussehen nach ein Südländer, schaute fern. Außer einer kurzen Begrüßung schien er nicht gerade sehr mitteilsam zu sein. Er wollte ihn gerade fragen, weshalb er hier war, als die Schwester eine Ablage für sein Bein brachte, auf die er das lädierte Knie ruhiglegen sollte. Anschließend legte sie ihm eine mit Kühlpads versehene Schiene an. Gerrit legte sich erst einmal eine Decke übers Knie, weil ihm ziemlich kalt wurde. Er schaute zum Fernseher hoch. Sein Bettnachbar schaute sich einen Krimi an. Interessant.
Als Michael eine Viertelstunde später kam um ihm seine Papiere wieder zu bringen und die Telefonkarte, mit der er auch das Fernsehen bedienen konnte, was das wenigstens etwas. Mittlerweile war es bereits Abend geworden und die Nachtschwester brachte ihm das Abendbrot nach. Er hob den Deckel an. Darunter lagen zwei Brote und Aufschnitt. Und das, wo er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
Er ließ den Deckel wieder fallen, überlegte einen Augenblick und schaute Michael mit Hundeblick an „Michael könntest Du mir bitte ein paar Sachen für hier holen?“ Michael nickte, was blieb ihm auch andere übrig, Gerrit brauchte ja schließlich Sachen zum Wechseln und was man sonst noch so brauchte. Er nahm sich Gerrits Hausschlüssel und wollte gerade das Zimmer verlassen, als Gerrit nachlegte „Bring auch eine Pizza mit ja?“ Michael dreht sich noch mal um „Ich hatte nicht vor, auch noch großartig durch die Gegend zu fahren.“ „Mensch Michael, gibt Dir einen Ruck, ich habe Kohldampf. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, ich Fall echt langsam vom Fleisch.“ Michael sah ihn zweifelnd an und ging ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Gerrit lehnte sich zurück und schmunzelte. Die Schnitten ließ er links liegen. Er war sich sicher, dass Michael ihm auch die verlangte Pizza bringen würde. Und so kam es auch. Ca. 1,5 Stunden später tauchte Michael mit ein Paar Klamotten und Waschzeug sowie einer Familienpizza auf. Gerrit bot seinem Bettnachbarn auch etwas an, aber der verneinte kurz angebunden. Michael und Gerrit sahen sich nur kurz an und machten sich dann allein über die Familienpizza her. Gegen 21.10 Uhr rief Alex bei Michael an. Er verabschiedete sich mit den Worten „Ich muss los, offenbar eine größere Schießerei“ und schon war er weg.
Gerrit schaute zu seinem Bettnachbarn, der die Hörer aufgesetzt hatte, um fern zusehen. Komischer Typ war das. Er hieß Pedro und war offenbar ein Südländer. Alles was Gerrit bis jetzt von ihm herausgefunden hatte war, dass ihm wohl in letzter Sekunde der Blinddarm herausgenommen werden konnte. Komischerweise hatte der Typ von ihm bislang überhaupt nichts wissen wollen. Gerrit, dem todlangweilig war, überlegte, ob er noch einmal versuchen sollte, Pedro in ein Gespräch zu verwickelt, aber als er sah, dass der sich offenbar bereit macht, zu schlafen, verwarf er diesen Gedanken wieder.
Ob er Robert anrufen und ihn bitten sollte, noch mit einem Kartenspiel vorbeizukommen? Er kannte ihn, vor lauter Gewissensbisse, dass er das hier alles auf den Gewissen hatte, würde der wohl schnurstracks angefahren kommen. Aber dann fielen ihm wieder Michaels Worte ein. Wenn es sich wirklich um eine größere Schießerei handelte, mit der das K11 momentan beschäftigt war, konnte er wohl davon ausgehen, dass auch Robert vor Ort war. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als ein bisschen in die Glotze zu schauen. Als Gerrit geraume Zeit später gerade etwas eingenickt war, fing sein Bettnachbar an zu schnarchen und er war augenblicklich wieder wach. Na toll, an Schlaf war also zumindest nicht wirklich zu denken. Doch kurze Zeit später schlief er tief und fest und die Nachtschwester, die unbemerkt die Kühlpads noch einmal überprüfte, schaltete den Fernseher aus.
9.
Als Gerrit gegen 02.00 Uhr morgens wieder wach wurde und sich gerade fragte, warum zum Teufel der überhaupt wach geworden war, bemerkte er, da das Zimmer vom Mond erhellt wurde, dass sein Zimmernachbar nicht da war. Er machte zur besseren Sicht das Licht an. Auf Toilette konnte er nicht sein, denn dann wäre ja ein Lichtstrahl unter der Tür durchgebrochen. Oder ob der im Dunkeln auf dem Klo saß? Wohl eher nicht.
Da er vor lauter Grübeln nicht wieder einschlafen konnte, beschloss er nachzusehen, wo Pedro abgeblieben war. Auch wenn Pedro nicht sonderlich neugierig zu sein schien, er war es und da musste Pedro halt durch. Das war eben eine Berufskrankheit.
Er zog seine Bettdecke weg, löste die Vorrichtung mit den Kühlakkus und besah sich vorsichtig sein Knie. Sah doch eigentlich wieder ganz gut aus. Gut das Knie war fast vollständig blau und grün angelaufen, aber dafür war die Schwellung sichtbar um einiges weniger geworden. Da konnte man doch sicherlich ein paar Minuten ohne Kühlung auskommen.
Die Schwester hatte ihm, damit er aufs Klo humpeln konnte, zwei Krücken ans Bett gestellt. Diese benutzte er nun, um auf den Krankenhausflur zu gelangen. Er sah sich um, weit und breit war niemand zu sehen. Auf dem Flur war nur das Notlicht eingeschaltet. Plötzlich hörte er leise Stimmen. Das Krankenhaus war verwinkelt, deshalb begab er sich in Richtung der Stimmen, um um die Ecke schauen zu können, wer im nächsten Gang war. Er kam nur langsam voran, weil er sich erst einmal wieder an das Gehen mit Krücken gewöhnen musste. Endlich hatte er fast das Ende des Ganges erreicht.
Keuchend lehnte er sich an die Wand und vernahm dabei Gesprächsfetzen wie „Wie stellen Sie sich das denn vor?“, „....kann tödlich enden“ und „Die Infektionsgefahr ist viel zu hoch.“ Merkwürdig, was war das denn für ein Gespräch? Irgendetwas in den vernommenen Stimmen ließ ihn erst einmal vorsichtig um die Ecke schauen.
An der gegenüberliegenden Seite befand sich ein großer Behandlungsraum. Normalerweise konnte man die große Scheibe, durch die man in diesen Raum sehen konnte, mittels angebrachter Lamellen blicksicher machen, aber die Lamellen waren quer gestellt, so dass Gerrit alles, was in dem Raum vor sich ging, sehen konnte.
Er sah Pedro, der eine Schwester in seiner Gewalt hatte und sie mit einer Waffe bedrohte. Ein anderer Mann diskutierte mit einem Mann, der der Kleidung nach ein Arzt war. Es gab noch zwei weitere Personen in dem Raum. Die dritte ging unsicher hin und her und die vierte Person lag bewegungslos auf dem Behandlungstisch. Wer das war, konnte er nicht erkennen. Aber alle Männer waren Südländer und ganz offensichtlich gehört Pedro zu ihnen.
Gerrit hatte genug gesehen und zog seinen Kopf schnell wieder ein, bevor die Männer ihn bemerkten. Er dachte nach, was er als Nächstes tun sollte, denn irgend etwas musste er einfach tun. Die Schwester und der Arzt waren in Gefahr und ob nun körperlich gehindert oder nicht, er war schließlich Polizist. Und was auch immer diese Typen wollten, sie würden vielleicht keine Zeugen zurück lassen. Genug Waffen hatten sie ja dabei.
10.
Er humpelte so schnell wie mit den Krücken möglich zurück in sein Zimmer und nahm seinen Telefonhörer. Er drückte ein paar Mal auf die Knöpfe, aber da war nichts zu machen, das Scheißding war defekt oder die hatten vorsichtshalber das ganze System lahm gelegt. Er humpelte zu Überprüfungszwecken rüber zu Pedros Bett, aber auch das Telefon dort war tot. So schnell es ging, humpelte er zu den Schänken und riss seinen Schrank auf. Er suchte sein verfluchtes Handy, als ihm plötzlich einfiel, dass es sich wie immer in seiner Hosentasche befand und die lag nach wie vor im Büro. Schöner Mist. Also Plan B und eine Etage tiefer irgend jemanden um Hilfe bitten.
Mühsam und so leise wie möglich, damit man ihn nicht hörte, humpelte er in Richtung Hausflur. Aber als er die Glastüre zum Hausflur hin öffnen wollte, ging diese nicht auf. Er sah erst jetzt, dass von außen eine Querstange durch die Griffe gezogen worden war. Schöner Mist, die Kerle waren also drüben auf der anderen Seite hereingekommen. Wenn er dort raus wollte, würde er an ihnen vorbeigehen müssen, das konnte er sich also abschminken. An ein Einschmeißen der Scheibe war auch nicht zu denken, das Bersten der Scheiben würde viel zu laut werden.
Da Gerrit nicht wusste, ob die, wer auch immer sie waren, ab und zu einen Rundgang machten, um zu sehen, ob jemand wach geworden war, drückte er sich vorsichtshalber erst einmal in eine Nische, während er erneut darüber nachdachte, was er als Nächstes machen sollte. Er könnte in eines der anderen Zimmer bei einem der anderen Patienten nach einem Handy suchen. Aber wenn er jemanden dabei aufweckte und der dann Theater machte, würde das sicher wie ein Alarm wirken. Also kam das wohl auch eher nicht in Frage. Viel zu gefährlich.
Plötzlich hörte er ein Geräusch. Da kam tatsächlich jemand. Gerrit sah sich panisch um. Wenn der den Flur bis hier runter kam, würde er ihn zwangsläufig entdecken. Er musste sich schnell was einfallen lassen. Immer näher kamen die Schritte, es hörte sich an, als würde jemand gemütlich den Gang entlang schlendern. Da er keinen Gegenstand entdecken konnte, der ihm weiterhelfen würde, nahm er einen der beiden Krücken, hob diese hoch über seinen Kopf und wartete.
Kaum war der Mann in seinem Sichtfeld hieb ihm Gerrit seine Krücke mit voller Wucht auf den Kopf und der Mann fiel wie ein Stein zu Boden. Gott sei Dank verursachte das keine allzu großen Geräusche. Gerrit nahm ihm erst einmal die Waffe ab und durchsuchte ihn dann nach einem Handy, aber der Typ hatte keines dabei. Das gab es doch einfach nicht. Ausgerechnet dieser Mann lief heutzutage noch ohne Handy herum.
Na gut, dann eben nicht. Er musste den Mann irgendwo verstecken, er musste auf jeden Fall vom Flur runter. Er zog er den Mann mehr schlecht als recht in sein Zimmer und fesselte und knebelte den Mann so gut das eben mit einem Bettlaken ging. Mühsam zog dann er den Typen anschließend ins Bad und schloss die Türe.
Der Schweiß lief ihn die Stirn herunter, so anstrengend war es, diesen Typen von A nach B zu transportieren, erst recht, wenn man gehandikapt war. Der wog gut und gerne 100 Kilo. Als Nächstes bastelte er aus den Sachen, die Michael für ihn mitgebracht hatte, so gut wie möglich einen Körper auf seinem Bett nach, so dass es aussah, als würde er hier schlafen und hätte die Decke über den Kopf gezogen. Sollte Pedro auf die Idee kommen, in sein Zimmer zurück zu gehen, würde er so vielleicht nicht bemerken, dass er gar nicht da war. Zufrieden mit seinem Werk suchte er sich seine zwei Krücken wieder zusammen, denn es war äußerst anstrengend ständig auf einem Bein herumzuhüpfen oder auf der Erde herumzukriechen.
11.
Es waren also noch zwei übrig. Sein Bettnachbar und der Typ, der mit dem Doc diskutiert hatte. Den Mann auf der Liege ließ er erst einmal außer Acht, denn er ging davon aus, dass der ärztliche Hilfe benötigte, um überhaupt wieder auf die Beine zu kommen. Erneut humpelte er den Gang hoch, während er verzweifelt nach einer Lösung suchte. Er hatte nun eine Waffe, aber ob er die hier anwenden konnte, ohne die Schwester oder den Arzt zu gefährden, war eher fraglich. Unterwegs zur Ecke nahm er eine Schere an sich und ließ sie in seine Pyjamajacke fallen, wer weiß, wozu man die noch gebrauchen konnte.
Er schaute erneut vorsichtig um die Ecke und sah, dass in dem Behandlungsraum irgendetwas vorbereitet wurde. Pedro sah der Schwester zu und flüsterte dem dritten Mann etwas zu, was Gerrit nicht verstand. Den Gesten nach, wunderte sich Pedro wohl, wo sein Freund blieb. Ihm sollte also schnell etwas einfallen, denn lange würde es sicher nicht dauern, bis einer von ihnen nach ihrem Kumpel schauen würde. Gerrit schaute sich den Flur genauer an. Auf seiner Seite waren die WC´s für Besucher. Kein besonders gutes, aber wenigstens ein Versteck. Er ging in den Vorraum zu den Toiletten, lehnte sich dort an die Wand und wartete im Dunkeln. Wenn einer von ihnen auf Suche ging, kam der sicher auch hier rein.
Die Zeit verrann nur äußerst langsam und Gerrit fragte sich schon, ob dieser Ort vielleicht falsch ausgewählt war, aber dann ging die Türe auf und sein Herz schlug gleich ein paar Nuancen schneller. „Mario“ fragte der Mann. Wenn ihn nicht alles täuschte, war dies nicht Pablo, der hatte nicht so eine dunkle Stimme gehabt.
Der Mann hob eine Hand, um das Licht an zumachen. Gerrit ergriff die Gelegenheit und griff sich dessen Hand. Mit aller Kraft, die er aufwenden konnte, zog er ihn in die Toilette. Von der Überraschung überrumpelt flog der Mann vor seinen Füßen. Gerrit setzte sich auf ihn, packte ihm am Hemdkragen und hielt ihm die Waffe an den Kopf „Keinen Ton oder Du kannst nie wieder etwas sagen, hast Du das verstanden?“ keuchte er ihm zu. Der Mann nickte. Gerrit ließ den Mann mit der linken Hand langsam seine Waffe aus dem Hosenbund holen und auf den Boden legen. Dann fragte er ihn nach seinem Handy „Die haben wir unterwegs hierher weggeschmissen“ antwortete der Mann vorsichtig, denn Gerrit hielt immer noch die Waffe ziemlich kompromisslos an seinen Schäden. 'Scheiße' dachte Gerrit.
Die Situation war ziemlich verfahren. Warum hatte er nicht darüber nachgedacht, dass er den Typen hier auch wieder irgendwie loswerden musste, ohne dass der gleich Radau machen konnte. Er fixierte den Mann kurz und zog sie ihm dann die Waffe über die Rübe. Der Mann war augenblicklich weggetreten. Etwas anders war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen. Aber das war ja noch mal gutgegangen.
Gerrit ließ sich neben den Mann auf den Boden fallen. Das Ganze hatte ihm ziemlich viel Kraft gekostet und sein Knie hörte gar nicht mehr auf zu zittern und zu pochen. Nachdem er eine Weile so dagelegen hatte und sein Knie sich wieder etwas beruhigt hatte, begutachtete er den Mann. Wenn er Glück hatte, würde der eine ganze Weile weggetreten bleiben. Mit Hilfe der Krücken gelang er nach der kleinen Verschnaufpause wieder auf die Beine und verließ die Toilette.
Nun ging es nur noch um Pedro.
12.
Er dachte darüber nach, was der Mann gesagt hatte. „Wir haben sie weggeschmissen“ was sollte das heißen. Wann schmiss man ein Handy weg, doch nur, wenn man befürchtete, dass man darüber geortet werden konnte, ja, dass war es sicherlich. Was hatte Michael noch mal gesagt, als er ging, er müsse zu einer Schießerei? Gerrit war sich sicher, dass die Kerle hierher gekommen waren, weil einer von ihnen angeschossen war. Wenn er Recht hatte, dann machte das Ganze auch einen Sinn. Der Mann auf der Liege hatte sicher eine Kugel abbekommen, die der Arzt ihm nun heraus operieren sollte.
Er war wieder an der Ecke angekommen. Er musste dringend mit Michael telefonieren und Hilfe holen und so wie es aussah musste er dazu in den Behandlungsraum. Aber um überhaupt in den Behandlungsraum zu gelangen, musste er erst einmal ohne gesehen zu werden auf die andere Seite kommen. Er sah, das Pedro akribisch den Arzt bei seinen Handlungen beobachtete und dabei mit dem Rücken zum Fenster stand. Sollte er es auf den Krücken versuchen? Aber Pedro konnte sich auch jederzeit umdrehen und dann war er geliefert, was wiederum dagegen sprach, es mit Krücken zu versuchen.
Gerrit sah sich die Krücken kritisch an und entschied dann, es nur mit einer zu versuchen. Die andere konnte er eh nicht gebrauchen, wenn er eine Waffe in der Hand hielt. Da es schneller ging, legte er sich auf den Boden und robbte so schnell es ging zur gegenüberliegenden Seite. Das Glück war mit ihm, denn niemand im Behandlungsraum hatte etwas bemerkt. Erneut musste er eine kleine Verschnaufpause einlege. Langsam stand er auf und schlich sich zur Türe hin. Wenn jetzt die Türklinke quietschen würde, wäre alles umsonst gewesen.
Langsam, ganz langsam drückte er die Türklinke herunter. Als sie sich nicht weiter herunterdrücken ließ, stieß er die Türe auf, richtete die Waffe auf Pedro und schrie „Waffe weg und Hände hoch, Polizei!“Pedro war so überrascht, dass er gar nicht daran dachte, die Waffe auf Gerrit zu richten. Er ließ sie los und stürzte sich auf ihn. Dabei verlor Gerrit seine Waffe und die beiden rangelten augenblicklich miteinander. Pedro hatte leichte Vorteile, auch er war zwar noch nicht wirklich fit, aber er hatte den Kraftaufwand, den Gerrit schon hinter sich hatte, nicht gehabt und so sah es so aus, als würde er die Oberhand gewinnen.
Gerrit drehte sich gekonnte um die eigene Achse, während er die Schere, die er vorhin im Flur an sich genommen hatte, aus seiner Pyjamajacke holte und sie ihm an die Kehle hielt. „Schluss jetzt!“ schrie er Pedro an und der hielt tatsächlich vor Angst, Gerrit könnte mit der Schere zustoßen, inne. Gerrit traute sich nicht seine Augen von ihm zu lassen und sprach daher in den Raum „ich bin Polizist, es ist alles OK Könnte jemand die Waffe aufnehmen und sie auf ihn richten?“ „Du bist ein Bulle?“ fragte Pedro perplex. Gerrit nickte „Tja, wenn du etwas neugieriger gewesen wärst, hättest Du es auch schon viel früher erfahren, aber zum Glück, warst Du das ja nicht.“
Nachdem die Schwester mit zitternden Händen die Pistole auf Pedro gerichtet hielt. Stand Gerrit mit Hilfe des Arztes auf und setzte sich ziemlich fertig erst einmal auf einen Stuhl. Während er Pedro von dort mit der Waffe, die er sich von der Schwester aushändigen ließ, in Schacht hielt. Telefonierte er mit der anderen Hand mit dem Handy der Schwester und informierte Michael grob über das Geschehen. Der ließ umgehend die ganze Maschinerie anlaufen ließ.
13.
Während sie auf das Eintreffen seiner Kollegen warteten, versorgte die Schwester Gerrit´s Knie mit Kühlpads. Pedro wurde in der Zeit weiter von Gerrit mit der Waffe in Schacht gehalten. Gerrit war ziemlich KO und gab dem Arzt seine Waffe, weil der einen Moment auf Pedro aufpassen sollte. Denn um den vierten Mann brauchte der Arzt sich nicht mehr kümmern, der war soeben aufgrund seiner schweren Verletzung verstorben. Da hatte auch der Arzt nichts mehr machen können.
Gerade als der Arzt die Waffe an sich genommen und sie auf Pedro gerichtet hatte, stürmte der Mann aus der Toilette in den Raum. Unverzüglich warf er sich auf Gerrit, der ihm am nächsten war. Die beiden rangen miteinander, aber Pedro traute sich zum Glück nicht einzugreifen, weil ihm der Arzt mit der Waffe in der Hand viel zu entschlossen aussah. Außerdem konnte man dem Arzt deutlich seine Nervosität anmerken und da wollte er wohl nicht riskieren eine Kugel abbekommen.
Gerade als es so wirkte, als würde der Mann aus der Toilette die Oberhand gewinnen, hörte Gerrit ein dumpfes Geräusch und der Mann sackte über ihn zusammen. Mit Hilfe der Schwester robbte er sich unter dem Mann hervor und registrierte, dass die Schwester dem Mann in ihrer Not ein Eisentablett über die Rübe gehauen hatte. Gerrit grinste sie an und als die Schwester ihn half, sich wieder auf den Stuhl zu setzen, kam endlich auch Michael mit Alex und den weiteren Kollegen in das Zimmer gestürzt. Sie nahmen Pedro und den Mann, der schnell wieder zu sich kam. Gerrit und die andren beiden waren einfach nur froh, dass es endlich vorbei war. Wie leicht hätte das Ganze auch in einer Katastrophe enden können. Daran hatte er die ganze Zeit nicht gedacht.
Er berichtete erst wo der dritte Mann zu finden war, damit dieser ebenfalls eingesammelt werden konnten und dann, wie er es fast im Alleingang trotz körperlicher Behinderung geschafft hatte, drei Männer lahmzulegen. Der Arzt und die Schwester bedankten sich überschwänglich bei ihm, aber er wiegelte ab „Das war doch selbstverständlich, ist doch mein Job. Außerdem haben Sie mir ja zum Schluss ganz schön helfen müssen.“
Die Schwester verfrachtete Gerrit in einen Rollstuhl, um ihn in sein Zimmer zurück zu bringen und Michael erzählte ihm auf den Weg dahin, das die drei Männer tatsächlich bei der Schießerei, zu der am Abend zuvor gerufen wurde, entkommen waren. Sie hatten ein Juweliergeschäft ausgeraubt, das ausgerechnet für eine Messe ziemlich wertvolle Ausstellungsstücke gelagert hatte. Zwei Menschen waren dabei schwer verletzt und einer während ihrer Flucht sogar getötet worden. Ganz München befand sich schon die ganze Nacht auf der Suche nach ihnen.
Pedro hatte Gerrit während des Wartens schon gestanden, dass die Männer ausgerechnet auf diese Station gekommen waren, weil er hier lang. Sie wollten ihn abzuholen. Der Typ in der Toilette war sein Bruder, der hätte ihn nie und nimmer allein zurückgelassen. Dabei war ihnen auch die Idee gekommen, ihren verletzten Kumpel auf diesem Wege gleich von einem Arzt ordnungsgemäß behandeln zu lassen. Sie konnten ja nicht ahnen, dass ausgerechnet in dieser Nacht ein Polizist auf der Station sein würde.
Sobald Gerrit im Bett lag und die Schwester ihm ein neues Kühlpad angelegt hatte, schlief er auch sofort ein. Den Trubel um ihn herum, den die Spurensicherung veranstaltete, bemerkte er gar nicht. Am nächsten Morgen war sein Knie wieder ziemlich angeschwollen, so dass die Ärztin noch nichts machen konnte, aber einen Tag später war es dann soweit. Nachdem der Bluterguss endlich herausgezogen war und sich innerhalb der nächsten 24 Stunden keine Komplikationen eingestellt hatten, konnte er endlich das Krankenhaus verlassen
Nicht, dass es ihm dort nach seinem nächtlichen Alleingang nicht ziemlich gut gegangen wäre, denn er war - was Gerrit schon recht peinlich gewesen war - nicht nur von den Schwestern, sondern auch von den Ärzten bevorzugt behandelt worden, aber es war und blieb einfach todlangweilig.
Robert holte ihn ab, weil er mindestens noch eine Woche die Krücken benutzen musste, aber sonst war alles wieder beim Alten. Nicht ganz, denn als die beiden im K11 ankamen – Gerrit hatte trotz der Anweisung sich noch zu schonen natürlich darauf bestanden, dass sie zuerst ins Büro fuhren – wartete der Staatsanwalt schon auf ihn, um ihm zu der Festnahme von drei gesuchten Schwerverbrechern sozusagen im Alleingang zu gratulieren und ihn um eine Stufe zu befördern. Zur Feier des Tages hatten die Kollegen eine kleine Feier organisiert und die Beförderung wurde feuchtfröhlich, wie es sich gehörte, begossen.
ENDE
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