Ein irrer Fall?
1.
Es war gegen 2.30 Uhr Samstag morgen und die Villa Schröder war hell erleuchtet. Vor gut einer Stunde waren die Besitzer von einer Benefiz-Veranstaltung zurückgekehrt, hatten bemerkt, dass in ihrem Hause eingebrochen worden war und natürlich sofort die Polizei verständigt. Da dies bereit der 6 Einbruch in hochwertigen Villen in den letzten vier Wochen war, hatte das K11 die Ermittlungen übernommen. Eigentlich war ja ein anderes Dezernat für Einbrüche zuständig, aber auf Druck der wohl dotierten Bestohlenen war dem Staatsanwalt nichts anderes übrig geblieben, als sein bestes Team auf diese Sache anzusetzen. Und so mussten Gerrit und Robert nach einer turbulenten Woche erneut eine Nachtschicht einlegen, denn Alex und Michael waren beim letzten Einbruch vor Ort gewesen. Die Einbrüche fanden ausschließlich nachts statt. Immer waren die Besitzer nicht zu Hause. Zufall?
Gerrit stand, seine Hände in den Jackentaschen vergraben, hinter dem vor ihm sitzenden Robert im Wohnzimmer des Hauses – das aufgrund der Größe allerdings auf die beiden eher wie eine Halle wirkte - und hörten sich zusammen mit ihm an, was die Eigentümer zu sagen hatten. Besser gesagt, Robert schrieb mit, was die Frau des Hauses mit jammernder Stimme von sich gab. Es war einfach immer dasselbe. Die Besitzer kamen nach Hause und alles war bereits geschehen. Und auch hier gab es nichts, was irgendwie von den anderen Einbrüchen abweichen würde. Es gab wenig Hoffnung, dass bei der Befragung irgend etwas herauskam, was ihnen weiterhelfen konnte. Gerrit beschloss daher, das weitere Gespräch mit den Eigentümern Robert allein zu überlassen und ging nach draußen zu den Kollegen der Spurensicherung.
Schon wieder ein Einbruch und eine ganze Nacht, die sie sich um die Ohren schlagen konnten, bis die Spurensicherung fertig war. Das Haus war so groß, dass er nicht damit rechnete, vor Ablauf von mindestens weiteren 2 Stunden hier weg zu kommen. Auch hier draußen war durch die von der Spurensicherung aufgestellten Flutlichtlampen ebenfalls alles hell erleuchtet. Das war erforderlich, um nicht bis morgen früh mit der Spurensicherung warten zu müssen. Sollte etwas gefunden werden, würde vielleicht jede Minute zählen.
Er ging mutlos zu Martin Breuer, den er ganz gut kannte und der bei der Spurensicherung angestellt war. Er war immer noch mit dem kleinen Kellerfenster beschäftigt, durch den die Einbrecher höchst wahrscheinlich eingestiegen waren. Das Abdeckgitter des Fensters lag sorglos weggeworfen ein bisschen abseits. „Hey, Martin, endlich mal was gefunden.“ sprach er ihn an. Martin sah zu ihm hoch und zuckte mit den Schultern und zeigte auf eine kleine Stelle am Rand des Fensters „Weiß ich noch nicht. Hier ist eine kleine Blutspur, aber nur so eben, wie im letzten Moment noch weggewischt. Die Täter sind wie bei den letzten Einbrüchen, durch dieses kleine Kellerfenster eingestiegen, da sind wir uns relativ einig. Wenn wir Glück haben, stammt das Blut vom Täter.“ „OK, super. Sorge bitte dafür, dass das so schnell wie möglich in das Labor kommt, damit ich gleich morgen früh das Ergebnis habe.“
Gerrit sah in diesem nervigen Fall endlich einen kleinen hellen Schimmer am Horizont aufleuchten. In all den 5 Häusern zuvor waren sie durch ein Kellerfenster eingestiegen, was darauf schließen ließ, dass einer der Täter – sie waren sich ziemlich sicher, dass es mehrere waren – schlank war. An keinem der Tatorte hatten sie Fingerabdrücke oder DNA gefunden, die Täter waren stets sehr vorsichtig gewesen. Wenn das Blut jetzt hier an diesem Tatort von einem der Täter stammte, dann hatten sie endlich mal einen kleinen Hinweis, und wer weiß, vielleicht war diese DNA ja bereits in ihrem Verzeichnis eingegeben. Er überlegte, ob er Alex oder Michael umgehend darüber informieren sollte, entschied sich aber dagegen. Sollten die beiden doch wenigstens noch etwas schlafen. Immerhin hatten die ihn das letzte Mal auch schlafen lassen, es reichte ja auch, dass er und Robert heute Nacht so gut wie keinen Schlaf bekamen. Es reichte sicher aus, wenn sie erst morgen früh von der unerwarteten Spur erfuhren.
Gerrit bemerkte, dass Robert mit einem ziemlich sauren Gesicht auf ihn zu kam „Besten Dank Gerrit!“ ging er ihn gleich an. Gerrit grinste und antwortete scheinheilig „Ich weiß gar nicht was du hast“. Robert schüttelte in seiner bekannt nervigen Art seinen Kopf „Du weißt ganz genau, was ich habe, das nächste Mal übernimmst Du die Befragung.“ Gerrit überlegt einen Moment, ob Roberts Haar eigentlich echt war oder eine Perücke, denn sie bewegte sich bei seinem ständigen Kopfgeschüttel keinen Millimeter. Dann klopfte er ihm beruhigend auf die Schulter und informierte ihn erst einmal von den interessanten Neuigkeiten. Was Robert gleich wieder besänftigte.
2.
Erst gegen 7 Uhr kamen die beiden wieder im Büro an. Robert ging sofort erst einmal los, um Kaffee zu organisieren und Gerrit hatte sich freiwillig bereit erklärt, das Ergebnis der DNA-Spur vom Labor abzuholen. Nicht ganz uneigennützig nahm er den Weg zum Labor auf sich, denn er baggerte gerade an der dort relativ neu angestellten Laborassistentin herum. Bislang aber leider nur mit mäßigem Erfolg.
Auf den Weg ins Labor überlegte er, ob er Laura nicht mal Blumen mitbringen sollte, aber so früh am Sonntag morgen war da natürlich nicht dran zukommen. Als ihm wieder in den Sinn kam, dass es Sonntag morgen war und das Labor sonntags nur mit einer Notbesetzung arbeitete, befürchtete er schon, dass Laura heute gar keinen Dienst hatte und er Robert ganz umsonst die leichtere Aufgabe so ohne Weiteres überlassen hatte.
Aber als er durch die Tür des Labors kam, sah er, wie sie etwas weiter hinten ein Gerät bediente. Er erkannte sie sofort, denn sie hatte hellblonde gelockte lange Haare. Er sah sich kurz um, außer ihm und Laura war gerade niemand da und so sagte er übers ganze Gesicht grinsend „Hallo, ich bin es, der liebe Gerrit.“. Als sie ihn bemerkte, lächelte sie ihn freundlich an „Morgen Gerrit. Da bist Du ja endlich. Komm rüber, ich habe hier schon die DNA Ausfertigung der Spur von heute Nacht.“ Sie reichte ihm das schriftliche Ergebnis herüber „Ich hoffe, das hilft Euch weiter, der Abgleich ist schon im Computer eingegeben und in ca. 1 Stunde dürfte klar sein, ob die DNA zugeordnet werden kann oder nicht.“
Gerrit nahm das Ergebnis entgegen und wollte gerade dazu ansetzen, sie zu fragen, ob sie nicht einmal mit ihm Essen gehen wollte, als ein weitere Mitarbeiter des Labors hereinkam. Er räusperte sich deshalb nur und schaute erst einmal in die Ergebnisse. Männliche DNA also. Nachdem der weitere Mitarbeiter das Büro nicht, wie Gerrit gehofft hatte, wieder verließ, und der Bericht auch nicht hergab, was dazu geeignet war, länger hierbleiben zu müssen, sagte er nur „Danke, bis später, man sieht sich.“ und machte sich auf den Weg zurück ins Büro. Mist, das war eine gute Gelegenheit, wer weiß wann eine solche Gelegenheit überhaupt mal wieder kam. Er musste sich dringend etwas überlegen. Vielleicht sollte er mal wie durch Zufall zu Büroschluss hier aufkreuzen. Aber wie kam er an die Information, wann sie Büroschluss hatte. Denn auch sie hatte ja wechselnden Dienst.
Im Büro angekommen waren Michael und Alex, die von Robert vor gut ½ Stunden über den weiteren Einbruch informiert worden waren, bereits da und Robert erzählte gerade von der gefundenen Spur und endete „... , aber sonst alles wie bisher, keine weiteren Spuren, keine Fingerabdrücke, einfach nichts. Nur der Einbruch und erneut überhaupt keine Ahnung, wie die Täter wissen konnten, dass gestern Abend die Besitzer nicht anwesend sein würden. Es ist einfach wie verhext.“
Gerrit begrüßte die beiden erst einmal mit einem fröhlichen „Morgen Leute“ und hob dann das Ergebnis hoch „ich war schon im Labor, hier ist die DNA-Bestimmung, sie läuft bereits durch den Computer“ und reichte sie dann Michael, der schon fordernd wortlos seine Hand danach ausstreckte. Michael fragte sich, woher der Kerl so früh am Morgen schon so gute Laune hernehmen konnte und dass bei dem ganzen Stress, den sie zur Zeit hatten.
Da Robert es sich bereits vor den beiden auf dem allgemeinen Befragungsstuhl gemütlich gemacht hatte, setzte sich Gerrit auf die Fensterbank, wo er eh viel lieber saß. Ihm war nicht entgangen, dass Alex ihm grinsend hinterher schaute. „Was ist?“ fragte er deshalb. „War die Neue da oder nicht?“ Süffisant antwortete er „Ich weiß gar nicht genau wen du genau meinst, aber wenn Du damit Laura meinst, ja sie war da.“ Alex lachte „Ah, Laura, so weit ist es schon?“ Michael hatte angesichts dessen, dass er schon wieder an einem Sonntag früh aufstehen musste, nicht die allerbeste Laune sah auf und motzte „Hey Leute, konzentriert Euch doch mal auf die Arbeit, ja.“ Gerrit stand auf und hielt abwehrend die Hände vor sich. „Ist ja schon gut, man wird doch noch Konversation machen dürfen.“.
3.
Gerrit stand auf und wandte sich an Robert „Komm, wir fahren erst mal nach Hause und legen uns eine Runde aufs Ohr.“
Michael sah ihn an, als wollte er ihn vierteilen „Wie, was, jetzt?“ Gerrit hob entschuldigend seine Schultern an „Michael, Robert und ich sind die ganze Nacht vor Ort gewesen, während ihr geschlafen habt und ich betone, ich habe Euch trotz der neuen Entwicklung schlafen lassen bis heute morgen.“ Michael grunzte vor sich hin und nickte dann „Na gut. Haut schon ab, aber seit gefälligst heute Mittag wieder da. Ihr wisst, was der Staatsanwalt wegen diesem Fall für einen Aufstand macht.“ Das ließen die beiden sich selbstverständlich nicht zweimal sagen, schnappten sich ihre Jacken und waren so schnell es ging aus dem Büro verschwunden.
Erst gegen 16 Uhr kamen die beiden wieder, aber das Büro war unbesetzt, Alex und Michael waren scheinbar unterwegs. Gerrit rief deshalb erst einmal bei Alex an, um den aktuellen Stand zu erfragen. Aber statt Alex meldete sich zu seinem bedauern Michael Stimme „Gerrit, ich bin es, Alex fährt. Sagt mal, nennt ihr das eigentlich Mittag? Es ist fast Abend.“ Gerrit überhörte den Vorwurf geflissentlich und fragte statt dessen nach „Und, hat sich etwas neues ergeben?“ „Nee, wir waren gerade noch einmal bei den Schröders, aber wie immer, auch nach längerem Nachdenken können sie sich an keine Besonderheit in letzter Zeit erinnern. Wir haben DNA-Proben von ihnen genommen und fahren jetzt noch bei dem Personal vorbei, um von denen DNA-Proben zu nehmen, um auszuschließen, dass die Spur von einem aus dem Haus stammt. Die gefundene DNA ist übrigens noch nicht im Verzeichnis, also handelt es sich vorerst um eine Sackgasse.“ „Schade. Sonst irgend etwas?“ „Ja, wir fahren danach gleich beim Italiener vorbei, wollt Ihr auch was?“ Beide bestellten sich Pizza und dann beendete Gerrit das Gespräch, bevor Michael wieder anfing, ihn noch weiter wegen des verspäteten Erscheinens rundzumachen.
Er sah sich nach den Unterlagen um und bemerkte, dass an der Tafel hinter Michaels Schreibtisch das Bild eines jungen Mannes um die 30 angeheftet war. Das Bild war da heute morgen noch nicht gewesen. Endlich mal eine kleine Abwechslung. Max war gerade im Büro und so fragte er ihn, auf das Bild zeigend „Wer ist das?“ „Das ist Karl von Hasselloh. Sohn steinreicher Eltern. Er ist heute morgen als Vermisst gemeldet worden.“ Robert kam hinzu „Heute morgen erst, und dann hängt hier schon ein Bild von ihm? Das ist aber sehr ungewöhnlich. Ich meine, wenn er ein Kind wäre.“
Max nickte „Ja, schon. Aber er ist geistig nicht so auf der Höhe. Deshalb ist er in einer psychiatrischen Klinik, die sich ein Normalsterblicher nicht leisten kann, untergebracht. Bei der Klinik handelt sich um eine geschlossenen Anstalt, deshalb ist sein Fehlen heute morgen auch gleich aufgefallen. Na ja, hinzu kommt, dass seine Eltern nicht nur steinreich sind, sondern sein Vater auch noch ein Abgeordneter des Bundestages ist. Deshalb wird auch befürchtet, dass er vielleicht entführt wurde. Aber darum müsst Ihr Euch nicht kümmern. Mit der Suche nach ihm wurde K9 beauftragt. Der Staatsanwalt will, dass sich K11 weiter allein auf die Einbruchserie konzentriert. Das Bild hängt hier nur, falls er euch durch Zufall über den Weg läuft.“
Gerrit seufzte, zu gerne hätte er mal ein bisschen Abwechslung von ihrem momentan Fall. Er sah sich das Gesicht des Vermissten noch einmal ganz genau an. Geisteskrank war der also. Wie sich das wohl anfühlte. Ob man selbst mitbekam, dass man Geisteskrank war? Er war froh, dass er zumindest bis jetzt noch geistig voll auf der Höhe war. Bei manch übel zugerichteten Leichen hatte man schon ab und zu das Gefühl, den Verstand zu verlieren, aber das ging ja Gott sei Dank auch schnell wieder weg.
Während er so in seinen Gedanken versunken war, bekam er am Rande mit, wie das Telefon ging und Robert abnahm. Als Robert sagte „wir kommen sofort“ schaute er fragend zu ihm herüber. Robert raunte ihm zu „Komm, wir haben eine Leiche, ein Mann, draußen am Weiher“ und rannte vor. Er schnappte sich ebenfalls seine Jacke, bat Max, Michael und Alex wenn sie zurück waren, Bescheid zu geben wo sie waren, und rannte hinterher. Er verstand seinen jüngeren Kollegen manchmal einfach nicht. Warum musste der unbedingt zum Wagen rennen Der Mann war schließlich tot, der rannte bestimmt nicht mehr vor ihnen weg.
4.
Als sie am Tatort vorfuhren, war dieser bereits großräumig abgesperrt und Polizeibeamte sorgten dafür, dass die Neugierigen hinter der abgesteckten Linie blieben. Auch Christian Alsleben war schon vor Ort und tat, was ein Gerichtsmediziner an einem Tatort üblicherweise so tat.
Ein Polizist in Uniform hielt ihnen hilfsbereit das Absprerrband hoch, damit sie darunter hindurchkriechen konnten. Robert ging zu dem Spaziergänger, der die Leiche gefunden hatte und Gerrit bewegte sich zu der Stelle, an der die Leiche lag. Er wartete, bis Christian, der sich soeben den Rücken des Mannes angesehen hatte, die Leiche wieder auf den Rücken gelegt hatte. Er erkannte sofort, dass er den Mann auf dem Bild an ihrer Bürowand vor sich liegen hatte, dieser Karl vom was auch immer. Er stellte sich etwas abseits, nahm sein Handy und informierte K9 darüber, dass die Suche nach Karl eingestellt werden konnte. Dann wandte er sich Christian zu „Und, kannst Du schon was sagen?“ frage er ihn.
Christian, der neben der Leiche hockte, schaute zu ihm hoch „Wie es aussieht, ist der Mann ertrunken, aber ob Unfall, Selbstmord oder Mord kann ich noch nicht sagen, dazu wie immer später nach der Obduktion mehr. Aber sieh mal hier an den Oberarmen, das könnten Spuren von gewaltsamen Festhalten sein, was darauf hindeuten würde, dass der Mann unter Wasser gedrückt wurde.“ Gerrit sah sich das näher an. Die Abdrücke waren noch frisch und kaum zu erkennen, aber aus Erfahrung wusste er, dass man später klar und deutlich erkennen würde, was für Abdrücke das waren.
Der Arzt fuhr fort „Einen Ausweis haben wir nicht gefunden. Ich schätze den Mann auf Ende zwanzig bis Mitte dreißig.“ Bevor sich Christian mit Mutmaßungen überanstrengte, unterbrach Gerrit ihn „Er ist ca. 30. Wir wissen wer er ist, er ist heute morgen als vermisst gemeldet worden“. Er nahm erneut sein Handy und rief im Büro an, damit Alex und Michael schon einmal die Eltern des Verstorbenen verständigen konnten.
Als die Tatortbesichtigung vorbei war, fuhren sie wieder im Büro, um ihre mittlerweile kalte Pizza zu essen und um Alex und Michael von den Ergebnissen zu informieren. Alex berichtete, dass Michael gerade auf dem Weg zurück ins K11 war. Er hatte die Aufgabe übernommen, die Eltern über den Tod ihres Sohnes zu informieren und zu befragen.
Michael kam gerade wieder, als Robert und Gerrit zu Ende gegessen hatten. Er hängte seine Jacke auf und verscheuchte Gerrit als erste Amtshandlung erst einmal von seinem Platz. Anschließend erklärte er „Tja Leute, der Sohn, ich meine dieser Karl, war die letzten Monate im Sonnenschein-Sanatorium. Das hört sich ja im ersten Moment ganz gut an, ist aber eine psychiatrische Einrichtung für Menschen mit schweren geistigen Behinderungen oder aber geistigen Störungen. Es handelt sich um eine geschlossene Anstalt, die ausschließlich Privatpatienten aufnimmt. Dementsprechend teuer ist so ein Platz monatlich. Dafür wird aber für die lieben Verwandten nur das Beste versprochen. Die Eltern können sich nicht erklären, wie ihr Sohn dort überhaupt raus gekommen ist. Sie haben aber in letzter Zeit eine Veränderung im Verhalten ihres Sohnes bemerkt. Er soll verschlossener geworden sein.Gesagt hat er ihnen dazu nichts. Obwohl sie ihn mehrfach dazu befragt haben, weil sie sich das nicht erklären konnten.“
Die diskutierten, wie sie weiter vorgehen wollten und Alex fasste noch einmal zusammen „Also ich und Robert fahren morgen zu diesem Sanatorium, um uns dort umzusehen und mit dem Personal zu sprechen und ihr Beide fahrt direkt zu Doc Alsleben“. Danach machten sie für heute Feierabend, zumal es mittlerweile eh schon wieder 21.30 Uhr war. In letzter Zeit hatten die vier so gut wie gar kein Privatleben mehr und auch heute würden sie höchstens noch etwas Fernseh schauen, bevor sie ins Bett fielen.
5.
Alex und Robert fuhren gegen 08.45 Uhr auf den Parkplatz des Sanatoriums. Das Sanatorium lag so weit in einem Grüngürtel am Rande Münchens, dass sie gut eine ¾ Stunden gebraucht hatten, um hierher zu gelangen. Alex sah sich um. Weit und breit war keine weitere Behausung zu sehen. Wie war der Mann bloß von hier weggekommen? Bedrückt gingen sie auf den Eingang zu, obwohl, so von außen konnte man nicht erkennen, dass das hier eine psychiatrische Anstalt war. Das Grundstück war von einer 2 m hohen Mauer umfasst über dem Eingangstor war in großen Lettern „Sonnenschein-Sanatorium“ geschrieben. Eine Klingel und eine Kamera konnte sie an der Türe entdecken. Sie hätten natürlich auch über den Lieferanteneingang benutzen können, aber Alex wollte sich einen möglichst umfassenden Eindruck von diesem Ort machen. Bevor sie die Klingel drückte, zeige ihr Robert an, dass auch auf den Mauern in kleinen Abständen Kameras eingebracht waren.
Nachdem sie durch einen Pfleger hereingelassen wurden, sahen sie, dass hinter den Mauern ein großer Park lag und das Sanatorium selbst sich ein ganzen Stück weiter hinten befand. Befremdet nahm Alex zur Kenntnis, dass hinter der von außen sichtbaren Mauer noch einmal ein Stacheldrahtzaun aufgezogen war, damit auch wirklich niemand von den Insassen hier ohne Schlüssel entkommen konnte. Neben der Frage, was für Leute hier wohl untergebracht waren, beschäftigte sie erneut die Frage, wie der Mann aus dieser Anlage hatte entkommen können.
Sie wurden in ein schickes, mit modernsten Möbel ausgestattetes Büro gebracht und gebeten, auf den Professor zu warten. Sie mussten nicht lange warten, bis Professor Bienle kam. Er wusste natürlich schon von Karls Eltern vom Tod seines Patienten, so dass sie gleich mit der Befragung loslegen konnten. Robert schoss sofort die Frage raus „Herr Professor, wie ist es möglich, bei diesem Hochsicherheitstrakt, den Sie hier haben, unbemerkt zu entkommen?“
Der Professor hob bedauernd die Hände „Junger Mann, es ist zwar bedauerlich, dass sie diese Einrichtung als Hochsicherheitstrakt anstehen, aber seien sie gewiss, dass die Sicherheitsmaßnahmen durchaus notwendig sind. Und wie Karl hier offenbar vorgestern herausgekommen ist, war uns zunächst ein Rätsel. Denn die einzige Möglichkeit, für einen Patienten hier vom Grundstück zu kommen, ist, dass es ihm trotz aller Sicherheitsvorkehrungen gelingt, an den Schlüssel zu gelangen. Bedauerlicherweise muss ich Ihnen, nachdem nun sämtliche Pfleger nach ihren Freitagen wieder im Hause sind, mitteilen, dass einem der Pfleger tatsächlich seit vorgestern ein Schlüssel fehlt. Er hat dies aber erst gemeldet, nachdem wir festgestellt haben, dass Karl nicht mehr da ist, weil er dachte, er hätte ihn verlegt. Ein bedauerlicher, aber leider menschlicher Fehler. Ich habe ihn selbstverständlich sofort abgemahnt“
Robert hakte sofort nach „Herr Professor, kann der Pfleger nicht ggf. auch mit Karl zusammengearbeitet haben, ich meine, kann es nicht sein, dass er ihm den Schlüssel freiwillig ausgehändigt hat?“ Professor Bienle schüttelte den Kopf „Nein, für mein Personal würde ich jeder Zeit die Finger ins Feuer legen. Glauben Sie mir, ich vertraue ihnen da ganz. An gutes Personal zu kommen ist äußerst schwierig, deshalb suche ich sie auch nach ganz bestimmten Kriterien aus.“
Alex beobachtet den Mann, er schien es aufrichtig zu bedauern, was mit Karl passiert war. Ebenso schien er, was den Schlüssel betraf, nicht zu lügen. Das sagte ihr zumindest ihr Gefühl. „OK, das mit dem verschwundenen Schlüssel, wäre natürlich eine Erklärung für Karls Entkommen vom Grundstück. Wir müssen gleich natürlich auch noch mit Ihrem Personal sprechen.“ und als der Professor nickte fuhr sie fort „Professor, erzählen Sie uns bitte etwas von Karl. Was für ein Mensch war er, seine Eltern meinen, dass er sich in letzter Zeit verändert habe.“
Der Professor schaute aus dem Fenster als er erwiderte „Über die Krankheit von Karl kann ich natürlich nicht viel sagen. Sie verstehen das sicher, die ärztliche Schweigepflicht. Aber eines kann ich Ihnen versichern. Karl war keine Gefahr für die Menschheit, wenn Sie das meinen. Dazu war er viel zu ängstlich. Wenn es Schwierigkeiten gab, zog er sich eher zurück, als auf Konfrontation zu gehen. Er war hier, weil er immer mehr eine Gefahr für sich selbst wurde. Leider haben wir hier zur Zeit keine weiteren Patienten, der annähernd in seinem Alter ist. Oh, Entschuldigung, man muss wohl jetzt sagen war. Wie dem auch sei, die meisten Patienten hier sind jenseits der 50er. Es kann also sein, dass er sich ein bisschen einsam gefühlt hat.“
Alex und Robert vernahmen noch die einzelnen Pfleger und ganz besonders natürlich den Pfleger, dem der Schlüssel abhanden gekommen war. Aber etwas anderes, als der Professor bereits gesagt hatte, kam dabei nicht heraus.
Als sie das Grundstück durch das Tor wieder verließen, natürlich erneut begleitet von einem Pfleger, weil der ihnen das Tor wieder aufschließen musste, fiel beiden ein Stein vom Herzen, denn sich in einem Bereich aufzuhalten, der nach außen hin so verriegelt war, war schon etwas komisch.
6.
Zur gleichen Zeit, als Alex und Robert das Grundstück des Sanatoriums betraten, standen Michael und Gerrit angelehnt an ihrem Fahrzeug vor dem gerichtsmedizinischen Institut. Sie hatten sich Brötchen und einen Kaffee für unterwegs besorgt. Nach dem Verzehr der Brötchen, tranken Sie erst erst einmal den Kaffee aus, denn sie nahmen nie etwas mit in den Sezierraum. Man wusste ja nie, was der Doc gerade mit der Leiche machte bzw. in welchem Zustand die sich befanden. Nein, das musste man nicht haben. Lieber verzehrte man seine Sachen vorher.
Als sie fertig waren, betraten sie zügig das Gebäude und, da sie sich hier berufsbedingt ja ganz gut aus kannten, gingen direkt durch in die Pathologie. Christian war noch nicht da, aber die Leiche lag – unter einem grünen Tuch versteckt – auf dem Tisch vor ihnen. Zumindest vermuteten sie, dass es „ihre“ Leiche war. Michael schaute auf seine Uhr und bemerkte „Hm, eigentlich müsste er längst hier sein. Der Doc wird ja wohl gleich kommen, also warten wir hier auf ihn.“
Gerrit nickte nur. Ihm wäre es lieber gewesen, den Doc suchen zu gehen. Der merkwürdige Geruch in der Pathologie war noch nie sein Ding gewesen und auch heute roch es zugleich süßlich und nach Desinfektionsmitteln. Zum Zeitvertreib sah er sich die Geräte, die hier herumstanden etwas näher an. Neugierig nahm er einen durchsichtigen Behälter vom Tisch und hielt ihn gegen das eingeschaltete Deckenlicht, um besser sehen zu können, was in der darin befindlichen Flüssigkeit schwamm. Michael sah, was Gerrit da gerade tat und maulte ihn an „Mensch Gerrit, bist Du von allen guten Geistern verlassen, stelle das wieder hin!“ Er zuckte zusammen und hätte fast den Behälter fallen lassen. Ärgerlich sah er zu Michael und wollte gerade etwas erwidern, als Christian hereinkam.
„Hallo, da seid ihr ja schon“ begrüßte der sie und nahm wie beiläufig Gerrit den Behälter aus der Hand und stelle ihn wieder auf den Tisch. Michael nickte „Ja, wie angekündigt pünktlich kurz vor 9 Uhr.“ Christian entging natürlich nicht die Anspielung darauf, dass er nicht pünktlich da war, ein und grinste Gerrit mit hochziehenden Augenbrauen an. Auch Gerrit musste grinsen und war froh, dass Michael sich schon auf den Weg näher zur Leiche begeben hatte und das Mienenspiel der beiden deshalb nicht mitbekam. Bei dem momentanen Stress mit dem Staatsanwalt und zusätzlich auch noch mit der Polizeipräsidentin war mit Michael zur Zeit nicht zu spaßen. Schade eigentlich.
Gerrit stellte sich neben Michael und der Doc zeigte ihnen die Oberarme des Toten. Deutlich war nun zu erkennen, dass er festgehalten worden war, denn es zeichneten sich gut sichtbar lila/blau einzelnen Fingerumrisse von zwei Händen ab. Christian zeigt auf die entsprechenden Stellen. Dann zeigte er ihnen noch andere blaue Stellen, die jedoch wieder am Verblassen waren. „Diese hier sind schon älter, woher die kommen, kann ich nicht mehr feststellen, könnten von Schlägen herrühren, aber auch von einem Sturz oder ähnliches“ führte er aus und fuhr dann fort „Ich glaube wir können hier eindeutig davon ausgehen, dass der Mann weder freiwillig noch durch einen Unfall ums Leben kam. In meinem Bericht wird stehen, dass der Mann durch Fremdverschulden ertrunken ist. Und zwar wurde er, wie ihr selbst feststellen könnte, unter Wasser gedrückt.“ „Hm, gut.“ kam es von Michael „hast Du sonst noch was von Bedeutung gefunden?“
Christian sah die beiden triumphierend an. „Die Auswertung der Fingerabdrücke hat nichts gebracht, aber jetzt haltet euch fest, die DNA war ein Volltreffer und ihr werdet nicht erraten, wen wir hier vor uns liegen haben.“
Gerrit sah Michael fragend an und zog eine Augenbraue hoch, wollte der Doc hier eine Quizshow abhalten? Er schaute zurück zu Christian „Und, verrätst Du uns auch, mit wem wir es zu tun haben oder was?“ fragte er schnell, bevor Michael explodierte. „Tja meine Herren, vor uns liegt der Mann, der durch das Kellerfenster der Schröders geklettert ist.“ Beiden fiel die Kinnlade herunter, denn sie dachten, sie hätten sich verhört. 2 Minuten lang sagte keiner ein Wort, bis Michael die Stille unterbrach „Und da bist Du Dir vollkommen sicher?“ Christian entrüstete sich „Michael die DNA lügt nicht! Dieser Mann ist durch das Kellerfenster geklettert!“
Mit dieser Entwicklung hatten sie beileibe nicht gerechnet.
7.
Zurück im Büro warteten sie auf Alex und Robert und auch der Staatsanwalt hatte sich angekündigt. Der Staatsanwalt kam kurz vor den beiden und so gingen sie direkt in ein Meeting über. Natürlich hatte Michael Alex und Robert sofort telefonisch vorab über die neuen Erkenntnisse informiert. Nachdem alle Informationen ausgetauscht waren, dachten sie zusammen darüber nach, wie sie weiter vorgehen sollten.
Zunächst meldete sich der Staatsanwalt zu Wort „Also, auch wenn klar ist, dass das Blut an dem Kellerfenster der Schröders das von Karl von Hasselloh ist, hoffe ich, dass allen bewusst ist, dass das nicht an die Presse darf. Noch steht nichts genaues fest. Wenn davon was an die Presse gelangt, das wäre eine Katastrophe für seinen Vater.“ Michael beschwichtigte ihn „Herr Staatsanwalt, natürlich ist uns das allen klar. Aber nach wie vor bleibt doch die Frage. Wie kommt sein Blut an das Kellerfenster?“
Robert meldete sich zu Wort: „Er war schmal, er passte durch das Fenster“ Alles schaute ihn wortlos an. Bevor der Staatsanwalt dazu was sagen konnte, stimmt Gerrit Robert zu „Wenn seine DNA an diesem Fenster war, kann das kein Zufall gewesen sein. Der Einbruch lief genau nach dem Muster der vorherigen Einbrüche ab, wurde also von denselben Tätern verübt. Das dürfte aber auch bedeuten, er war ebenso an den anderen Einbrüchen beteiligt.“
Alex hielt sich überlegend den Kopf „Aber wie? Das würde auch bedeuten, dass er mehrfach außerhalb des Sanatoriums war. Wäre das überhaupt ohne Hilfe denkbar? Ich denke, wir sollten dort einmal alles auf den Kopf stellen.“
Abwehrend hielt der Staatsanwalt entgegen „Meine liebe Frau Rietz, wie stellen Sie sich das vor. Die Verwandten der Patienten die da untergebracht sind, sind einflussreiche Leute. Der Professor muss dort nur um Hilfe bitten und schon haben wir den größten Ärger am Hals, den man sich denken kann. Da ist mir ein kleiner Blutfleck an einem Kellerfenster zur Erteilung eines Durchsuchungsbeschlusses eindeutig zu wenig. Es muss einen anderen Weg geben!“
Michael, der bisher zu all dem geschwiegen hatte, sah an die Decke über ihnen „Ich wüsste einen Weg.“ Nun sah alles in Richtung Michael. Er wusste, dass sie gespannt darauf warteten, dass er weiter sprach „Wir müssen jemanden dort einschleusen, der verdeckt ermittelt. Wenn dort irgendjemand für die Einbrüche verantwortlich ist, braucht derjenige einen Ersatz. Und den sollten wir ihm liefern.“ Der Staatsanwalt, der nicht noch weitere Beschwerden angeblich „wichtiger“ Leuten haben wollte, stimmte dem dankbar zu „Sehr gut Herr Naseband. Machen Sie es so.“ stand auf und verschwand.
Die vier sahen dem Staatsanwalt stumm hinterher, bis Gerrit die berechtigte Frage stellte „Und wer bitteschön ist freiwillig bereit, sich freiwillig in eine Irrenanstalt einweisen zu lassen?“
8.
Michael grinste ihn an „Nicht Irrenanstalt mein lieber, Sanatorium. Und wer soll das schon sein, Du natürlich.“ Gerrit hielt ihn für völlig übergeschnappt und lachte „Nenn es, wie Du willst, aber ich werde bestimmt nicht da reingehen!“ Michael grinste immer noch „Doch, wirst Du.“ „Nein werd ich nicht! Warum machst Du dass denn nicht!“ reagierte nun Gerrit etwas misslauniger.
Aber nun mischte sich Robert auch noch ein „Gerrit, Michael passt doch gar nicht durch das Fenster, außerdem ist er zu alt. Und mich und Alex kennt man dort, wir fallen also aus. Aber du könntest so gerade noch gehen.“ Gerrit stand auf und raufte sich die Haare „Leute, das könnte ihr nicht von mir verlangen. Alles, wirklich, aber doch keine Irrenanstalt.“ Alex kam zu ihm und strich ihm über den Rücken „Sanatorium Gerrit, nicht Irrenanstalt.“ Gerrit sah sie mit schiefen Kopf und langsam resignierend an.
Die anderen ließen ihm einen Moment Zeit. Zeit, die er brauchte, um sich mit der Idee anzufreunden. Er wusste natürlich, dass sie Recht hatten und nur er für die Aufgabe in Frage kam, aber ausgerechnet eine Irrenanstalt. Er schüttelte den Kopf „Mann o Mann ihr wisst hoffentlich, was ihr da von mir verlangt. “ Michael stand ebenfalls auf und legte seine Arm freundschaftlich um seine Schulter „He, komm schon, den Irren zu spielen dürfte Dir doch nicht schwer fallen.“ Gerrit stieß Michaels Arm ihn entrüstet weg „Ha. Ha. Sehr witzig.“
„Wir überlegen zusammen, wie wir es machen und anschließend fahren wir beide dann zu unseren Polizeipsychologen um zu besprechen, welche Krankheit Du haben könntest. Die muss ja auch nicht so übel ausfallen.“ Michael stieß ihm spielerisch mit der Faust gegen seine Schulter. Gerrit gab sich geschlagen, obwohl er sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut fühlte, und so beratschlagten sie, wie sie genau vorgehen würden. Anschließend rief Alex beim Staatsanwalt an, um ihn zu informieren und um Papiere für Gerrit´s Rolle ausstellen zu lassen. Während dessen fuhren er und Michael zum Polizeipsychologen. Beide waren auf der Fahrt ziemlich schweigsam. Gerrit, weil er nicht wusste, was da genau auf ihn zu kam und Michael weil ihm, obwohl es seine Idee gewesen war, nicht ganz geheuer bei der Sache war.
Beim Polizeipsychologen entschieden sie nach endlosen Diskussionen, dass Gerrit einen geistig Zurückgebliebenen spielen sollte, der aufgrund eines als Kind erlittenen schweren Verkehrsunfalls auf dem geistigen Entwicklungsstand des Kindes stehen geblieben war. Außerdem sollte er eine gespaltene Persönlichkeit für den Fall haben, dass er seine Rolle mal nicht überzeugend vorbringen konnte oder seine Konzentration nachließ. In diesem Fall konnte er immer noch so tun, als wäre sein zweites Ich dafür verantwortlich.
Gerrit war von der Idee, sozusagen ein Kind spielen zu müssen, erst ganz und gar nicht begeistert, aber er wollte auch so schnell wie möglich da wieder rauskommen und dazu musste der Köder, und nichts anderes würde er da drin sein, nun mal für den oder die Täter einfach zu beeinflussen und zudem auch leicht zu beherrschen sein.
Die nächsten zwei Tage verbrachte Gerrit den ganzen Tag in der Praxis des Polizeipsychologen, um dort auf seine Rolle vorbereitet zu werden. Ab und zu wurde Michael dazu geholt, weil der seine Bezugsperson nach draußen darstellen sollte. Da Gerrit schauspielerisch nicht gerade untalentiert war, war der Polizeipsychologe mit seiner Leistung zum Schluss ziemlich zufrieden.
Als Michael kam, um Gerrit abzuholen, hielt ihn der Polizeipsychologe noch einmal auf „Denken Sie bitte daran, was ich Ihnen gesagt habe. Es wird hart werden, glauben Sie mir. 24 Stunden lang einen geistig Zurückgebliebenen zu spielen ist nicht so einfach, wie es sich anhört, darauf sollten und müssen sie sich mental einstellen.“ Gerrit verabschiedete sich dankend für die Hilfe und versprach hoch und heilig, nach Beendigung des Falles wiederzukommen.
9.
Einen Tag später fuhren Michael und Gerrit auf den Parkplatz des Sanatoriums. Sie hatten zuvor abgesprochen, dass das Schauspiel bereits hier draußen beginnen würde, falls sie von Drinnen jemand beobachtete. Beide waren mit einem Mercedes S-Klasse vorgefahren. Michael hatte einen Anzug an und Gerrit hochwertige Markenklamotten. Michael sah ihn prüfend an „Und, bereit?“ Gerrit atmete kurz durch und nickte dann. Was blieb ihm auch anderes übrig. Da er sich nun mal auf diesen Plan eingelassen, hatte, musste er ihn nun auch durchführen. Michael stieg aus und ging voraus auf das Tor zu. Gerrit folgte ihm mehr oder weniger zögernd und verhielt sich so, als wäre er jederzeit bereit, an Seite zu springen. Als ein Pfleger - gebaut wie ein testosteron gesteuerter Kleiderschrank - die Türe öffnete, wollte Gerrit gar nicht erst mit reinkommen, sondern versteckte sich hinter Michaels Rücken und murmelte „Michael ich warte hier draußen auf Dich oder vielleicht im Wagen.“
Aber Michael zog ihn hinter seinem Rücken hervor. „Gerrit jetzt komm, Du weißt doch genau, ich habe hier einen Termin und nicht viel Zeit, das habe ich Dir doch bereits zu Hause erklärt.“ Mit diesen Worten zog er ihn leicht am Ärmel hinter sich her, während Gerrit sich ängstlich auf den Weg ins Haus nach allen Seiten umsah. Dazu musste er nicht einmal großartig schauspielern, denn er fragte sich gerade, warum er sich hierzu überhaupt hatte überreden lassen können. Das kam ja fast einem Knast gleich. Im Haus ließ Michael ihn los und er sah, ganz wie es seine Rolle verlangte, zu, dass er hinter Michael herlief, immer darauf bedacht, so nah wie möglich bei Michael zu sein, um ihn nicht zu verlieren.
Der Pfleger wandte sich an Michael „Der Herr Professor erwartet Sie bereits. Soll ich solange auf Ihren Bruder aufpassen?“ Michael sah ihn überlegend an „Ja, das ist vielleicht keine schlechte Idee, wenn ich zuerst mit dem Professor alleine spreche.“ Vor dem Büro stand ein Stuhl. Michael nahm Gerrit an den Oberarmen und drückte ihn sanft auf den Stuhl „Hör mir zu Gerrit. Du bleibst hier sitzen. Der Mann wird Dir Gesellschaft leisten. Ich muss kurz mal hier nebenan in das Büro. Ich komme gleich wieder.“ Gerrit wollte sich wieder erheben und erwiderte „Ich gehe mit.“ aber Michael drückte ihn sanft wieder runter „Nein, das geht nicht. Du bleibt schön hier sitzen, bis ich Dich wieder abhole.“ Er strich ihm beruhigend übers Haar und ging dann in das Büro.
Der Professor empfing ihn äußerst zuvorkommend mit ein paar warmen Worten, dann kamen sie zur Sache „Also Herr Mönch. Wie Sie mir am Telefon bereits sagten, würden Sie Ihren Bruder gerne hier unterbringen.“ Michael tat so, als wäre ihm das Ganze unangenehm „Herr Professor, glauben Sie mir, es fällt mir unendlich schwer, ihn hierher zu bringen. Es ist auch nur für eine Weile, bis ich eine geeignete Person gefunden habe, die bereit ist, notfalls rund um die Uhr auf ihn aufzupassen. Ich meine, ich habe mein ganzen Leben lang für ihn gesorgt und er tut auch niemanden was. Aber nun.“
Der Professor sah ihn durchdringend an „Ich entnehmen den Unterlagen, die sie mir vorab zukommen lassen haben, dass er seit einem Unfall in seiner Kindheit, wie alt war er, ah, hier steht es, 9 Jahre alt, geistig zurückgeblieben ist, obwohl man ihm das nicht unbedingt sofort anmerkt. Darüber hinaus liegt eine gespaltene Persönlichkeit vor. Herr Mönch verstehen Sie mich nicht falsch, aber all das reicht eigentlich nicht aus, um ihn in einer geschlossenen Abteilung unterzubringen, da wäre wohl eine offene eher etwas für ihn. Hat ihnen sein Therapeut das nicht bereits gesagt? “
10.
Auf diese Frage war Michael bestens vom Polizeipsychologen vorbereitet worden. „Herr Professor ich will, allein um Gerrits willen, ehrlich zu Ihnen sein. Es ist vor vier Tagen etwas geschehen, was mich zu dieser drastischen Maßnahme veranlasst. Gerrit lebt bei mir und meiner Frau. Ich bin fast 10 Jahre älter als er. Bei dem Unfall den er hatte, ist unser Vater und meine Stiefmutter, Gerrits Mutter, ums Leben gekommen. Gerrit ist alles, war mir von meiner Familie geblieben ist und deshalb habe ich mich seit dem Unfall um ihn gekümmert. Ich habe ihn praktisch großgezogen. Es ging auch jahrelang alles gut. Er redet zwar nicht viel, aber er geht jeden Tag in eine Behindertenwerkstatt und hat dort Beschäftigung. Eigentlich ist er dort gut integriert. Dachten wir zumindest. Aber jetzt ist etwas passiert, mit dem wir nicht mehr alleine fertig werden und weitere Hilfe im Haus benötigen. Aber das braucht natürlich Zeit.“
Der Professor beute sich interessiert vor „Reden Sie weiter.“ „Unsere Putzfrau war damit beauftragt, sein Zimmer einmal gründlich zu säubern und alles von innen nach außen zu drehen. Dabei fand sie versteckt in seinem Bett Schlaftabletten, eine ganze Menge Schlaftabletten. Gerrit leidet nicht an Schlaflosigkeit und hat deshalb auch noch nie Schlaftabletten bekommen. Überhaupt bekommt er normalerweise keinerlei Tabletten. Wo er diese her hat, ist uns ein Rätsel, denn solche Tabletten sind nicht Teil unserer Hausapotheke. Es bleibt eigentlich nur der Schluss, dass er sich damit das Leben nehmen möchte. Dazu passt, dass er in letzter Zeit öfters depressiv wirkt. Da bei es bei uns keinerlei Veränderungen ergeben haben, die das ausgelöst haben könnten, bin ich natürlich sofort in der Behindertenwerkstatt gewesen. Dort hat man mir berichtet, dass Gerrit in letzter Zeit wohl von einem der anderen Behinderten ständig geärgert wird. Gerrit ist nicht in der Lage sich zu wehren und die Behindertenwerkstatt tut alles, was in ihrer Macht steht, um ihn zu schützen, aber dort kann niemand die ganze Zeit bei ihm bleiben. Vielleicht ist dieser Ärger mit dem anderen Behinderten der Grund dafür, dass er sich diese Schlaftabletten wie auch immer besorgt hat, aber wir wissen es halt nicht. Gerrit ist nicht gerade kommunitiv “
Der Professor dachte nach. „Was sagt Ihr Bruder denn genau dazu?“ „Nun er streitet natürlich ab, sich die Tabletten überhaupt besorgt zu haben, aber sie kennen die Unterlagen, er hat eine gespaltene Persönlichkeit, vielleicht streitet der eine Gerrit alles ab, weil er davon tatsächlich nichts weiß“ hob Michael bedauernd seine Schultern und fuhr fort „Fakt ist, ich will ihn nicht verlieren. Außerdem sind wir streng gläubig erzogen worden, wenn Gerrit sterben muss, dann nicht durch eigene Hand. Ich bin viel unterwegs und kann daher nicht die ganze Zeit auf ihn aufpassen Meine Frau ist ebenfalls oft außer Haus. Aber die Unterbringung hier soll ja auch nicht für immer sein, nur bis wir eine geeignete Person befunden haben, die sich ganztags um Gerrit kümmern kann. Bitte verstehen Sie, ich liebe meinen Bruder, ich würde alles für ihn tun, egal was es kostet. Aber Geld spielt sowieso keine Rolle, wir haben nach dem Tod unseres Vaters viel Geld geerbt, für Gerrit ist also nichts zu teuer.“ Der Professor nickte „In Ordnung, ich nehme ihn zur Kurzzeitpflege auf. Aber haben Sie ihm schon gesagt, dass die Möglichkeit besteht, dass sie ihn hierlassen?“
Michael schüttelte den Kopf. „Nein, das wollte es so weit wie möglich vor mir herschieben. Ich weiß doch, dass er sich fürchtet. Er war noch nie lange von uns getrennt und wenn doch einmal, war immer eine Person in seiner Nähe, die er kannte. Sagen Sie, ist es möglich, dass ich ihn mit auf sein Zimmer bringe und seine Sachen muss ich auch noch holen.“ „Sie können natürlich mitkommen, aber seine Sachen brauchen Sie nicht holen. Hier haben wir Einheitskleidung. Keine Sorge, natürlich nur das Beste. So, und nun möchte ich aber Gerrit gerne erst mal persönlich kennen lernen. Ich kenne ihn bisher ja nur von den Papieren“
Michael bemerkte, dass der Professor aus seinem Schreibtisch eine mit einer Flüssigkeit gefüllte Spritze nahm und fragte erstaunt „Wozu brauchen Sie die denn“ „Oh, nur zur Sicherheit. Wenn ihr Bruder noch nicht weiß, dass er hier bleiben muss, weiß man nicht, wie er reagiert, wenn er es realisiert. Sollte er panisch werden, ist das für ihn die sanfteste Methode. Keine Angst, da ist nur ein leichtes Beruhigungsmittel drin, er wird davon nur ein bisschen schlafen.“ Michael versuchte noch, das Ganze abzuwenden „Bitte Herr Professor, das wird sicher nicht notwendig sein, wie gesagt, Gerrit ist nicht gewalttätig, das war er noch nie.“ Das war ja eine schöne Sch.... . Damit hatte sie nicht gerechnet, hoffentlich würde Gerrit, wenn er die Spritze sah, überhaupt noch mitspielen. Aber jetzt gab es erst einmal kein Zurück mehr.
11.
Gerrit saß immer noch auf dem Stuhl, auf dem Michael ihn gesetzt hatte und knetete scheinbar nervös seine Hände, während er misstrauisch hin und her schaute. Leider war hier im Eingangsbereich nicht so viel zu sehen. Er hatte erwartet, dass die Leute, die hier untergebracht waren, zu sehen, aber nichts. Nebenei registrierte er, dass der Pfleger ihn während der ganzen Zeit nicht aus den Augen ließ. Wenn das so weiter ging, würde es ja äußerst schwierig werden, einmal ganz alleine zu sein.
Endlich ging die Türe auf und er sprang förmlich von seinen Sitz auf und sah Michael freudig entgegen. Der stellte ihm Professor Bienle vor und Gerrit gab dem Professor nur zögernd die Hand. „Sie sind also Gerrit oder darf ich Du sagen?“ Gerrit nickte nur. „Schön, Dich kennenzulernen, komm ich zeige Dir Dein neues Zimmer.“ Gerrit fixierte die ganze Zeit Michael so, als wolle er ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren und tat so, als habe er die Worte des Professors nicht nichtig mitbekommen. Als Michael dem Pfleger in den oberen Stockwerk folgte ging er hinter ihm her. In seinem neuen Zimmer, das sehr geschmackvoll eingerichtet war, ein eigenes Bad besaß und auf Michaels vorherige Bitte hin mit einem Fernseher und einer Spielkonsole ausgestattet war, blieb er stets neben Michael stehen.
Michael sah sich um und nickte anerkennend. Der Professor gab ihm ein Zeichen, dass es Zeit war, sich zu verabschieden und so drehte er sich zu Gerrit um, nahm ihn kurz in den Arm und hielt ich dann leicht von sich „Gerrit, hör zu. Du bleibt eine Zeitlang hier und machst Ferien. Hier ist zwar kein Meer, aber draußen ist ein schöner Park, das ist doch auch war, oder? Außerdem komm ich Dich so oft es geht besuchen“ Gerrit schien eine Zeitlang über Michaels Worte nachzudenken dann sah er ihn angstvoll an „Allein?“ Michael nickte „Michael, ist es wegen der Pillen? Bitte Michael, ich war das nicht, ehrlich, ich mach das auch nicht mehr, bitte, ich will wieder nach Hause. Ich will nicht hier bleiben.“ Mit diesen Worten, die er fast flüsterte, klammerte er sich ängstlich und nervös an Michaels Arm. Mittlerweile war unbemerkt ein weiterer Pfleger dazu gekommen und zusammen zogen die zwei Pfleger Gerrit von Michael weg. Er versuchte halbherzig, die Pfleger abzuschütteln, aber da war nichts zu machen, ihr Griff war unbarmherzig.
Als Gerrit bemerkte, dass der Professor eine Spritze in der Hand hatte, sah er Michael erstaunt an und versuchte nun wirklich aus den Griffen der Pfleger zu entkommen, aber bevor er es sich versah, hatte der Professor ihm die Spritze in den Oberarm gesetzt. Erstaunt sah er, wie die Flüssigkeit langsam in seinen Arm gedrückt wurde, dann begann auch schon das Zimmer vor seinen Augen zu verschwinden und es wurde dunkel.
Michael konnte nichts tun, als bei dem ganzen Spektakel zusehen. So sah er noch, wie Gerrit auf sein Bett gelegt wurde und die Pfleger damit begannen, ihn auszuziehen. Der Professor drückte ihn mit Bestimmtheit aus dem Zimmer „Kommen Sie Herr Mönch, Ihrem Bruder geht es gut. Ganz bestimmt. Sie haben das Richtige gemacht.“ Genau davon war Michael nun ganz und gar nicht mehr überzeugt.
„Ach übrigens, Herr Mönch, Sie sollten vorerst nicht kommen, er muss sich hier erst eingewöhnen. Ich würde sagen, dass der erste Besuchstermin frühestens in 2 Wochen stattfinden sollte“ „Herr Professor, das geht nicht, ich habe ihm versprochen, ihn so oft es geht zu besuchen. Gerrit ist es gewöhnt, dass ich Zusagen einhalten, alles andere würde ihn nur irritieren und noch mehr traumatisieren.“ Der Professor gab sich wortlos damit zufrieden.
12.
Michael unterzeichnete im Büro des Professors noch den Vertrag für seinen kleinen „Bruder“ und bekam anschließend Gerrits Sachen ausgehändigt. Darunter waren auch seine Ringe, seine Armbänder und seine Kette. Der Professor sah sich die Schmuckstücke erstaunt an „Gerrit interessiert sich für Schmuck?“ Michael musste schnell improvisieren, daran, den Schmuck abzulegen, weil dieser vielleicht nicht in das Krankheitsbild von Gerrit passen könnte, hatten sie nicht gedacht. „Ja, aber daran ist meine Frau Renee schuld. Wissen Sie, wir können keine eigenen Kinder bekommen und mittlerweile sind wir auch zu alt dafür. Sie stattet ihn daher mit all dem Schmuck aus. Sie ist es auch, die ihm diese Designerklamotten besorgt. Sie will halt, dass er stets gut aussieht und das mit dem Schmuck ist so eine Marotte von ihr.“ Der Professor nickte und Michael konnte sich endlich verabschieden. Das war ja noch mal gutgegangen.
Als Michael wieder im Büro ankam, setzte er sich frustriert an seinen Schreibtisch. Alles sah ihn fragend an, als er hoch sah. „Nun vom Ergebnis her ist es super gelaufen. Gerrit hat sich genau so, wie der Psychiater ihm gesagt hat, verhalten. Wenn ich es nicht gewusst hätte, ich hätte geschworen, dass alles Echt ist. Es hat alles super geklappt, aber womit wir nicht gerechnet haben, ist, dass sie ihm ein Beruhigungsmittel spritzen. Als ich sah, dass der Professor tatsächlich die Spritze in der Hand hatte, um sie zu setzen, dachte ich, jetzt ist alles aus und Gerrit lässt seine Tarnung auffliegen.“ „Und“ hakte Alex nach „Nichts und, er hat sich die Spritze geben lassen. Wäre ich sonst ohne ihn da“ Alex und Robert sahen sich an. Nie im Leben würden sie mit Gerrit tauschen wollen. „Ach, und noch was ist schief gelaufen, ich musste seinen Koffer wieder mitnehmen, dort hat man Einheitskleidung. Also hat er da drin weder das versteckte Handy noch den Peilsender. Er ist also auf sich allein gestellt. Aber mit so etwas hatten wir im schlimmsten Fall ja bereits gerechnet.“
Robert verließ das Büro und Alex ging zu Michael hinüber, um ihn ein wenig die Schultern zu massieren, weil der sich auf seinen Schreibtischstuhl nach hinten hängen ließ. „Was ist los, Du hast doch irgend etwas?“ Michael ließ sich die Massage gerne gefallen, legte seinen Kopf noch weiter nach hinten und schloss die Augen „Ach Alex, es ist nichts, nur, wenn das Ganze schief geht, dann habe ich ihn dort hingebracht und sozusagen abgeliefert. Wir wissen doch alle, dass das dort kein Zuckerschlecken für ihn wird. Vielleicht sind wir zu weit gegangen. Wir haben ihn schließlich dazu gedrängt, die Rolle zu übernehmen. Das ist einfach nur ein mieses Gefühl. Mehr nicht.“ Alex massierte noch ein bisschen weiter. Auch sie machte sich Gedanken und sagte, auch um sich selbst ein wenig zu beruhigen „Michael es geht nicht schief! Außerdem, wenn wir Recht haben, wird der nächste Einbruch mit Gerrit stattfinden, er wird dort seine DNA hinterlassen und wenn die dann identifiziert ist, holen wir ihn dort sofort wieder raus.“
13.
Gerrit wurde langsam wach und machte die Augen auf. Erst wusste er nicht, wo er war, dann erinnerte er sich an das, was geschehen war und auch, dass man ihm eine Spritze verpasst hatte. Er war immer noch ein bisschen benommen. Spritzen, nichts hasste er mehr als Spritzen. Das hatte man nun davon, wenn man allzu überzeugend rüberkommen will. Das erinnert ihn auch daran, dass er, wenn er so schnell wie möglich hier wieder raus wollte, eine Rolle zu spielen hatte und, da er nicht wusste, ob man ihn jetzt gerade beobachtete, er diese Rolle nun mal jederzeit spielen musste. Ohne wenn und aber.
Er stürzte deshalb aus dem Bett und sah erstaunt, dass er andere Klamotten an hatte. Man hatte ihn umgezogen. Er hatte nun eine blaue Stoffhose und eine weißes Hemd an. Nachdem er dies registriert hatte und auch bemerkte, dass sein Koffer nirgends zu sehen war, rannte er zur Tür und tat so, als wolle er raus aus diesem Zimmer, aber die Türe war, wie er befürchtet hatte, abgeschlossen.
Er drehte sich ein paar Mal im Raum, rief immer wieder verzweifelt – so hoffte er wenigstens, dass es sich anhörte – abwechselnd nach Michael oder Renee (Michaels angebliche Ehefrau) und ließ sich schließlich in einer Ecke des Raumes an der Wand nach unten gleiten. Seine Arme um seine Beine schlingend und den Kopf auf seinen Beinen legend, wartete er ab. Wie spät es mittlerweile bereits war, wusste er nicht nicht, aber es war bereits dunkel. Er musste den ganzen Tag verschlafen haben. Dieses elende Mistzeug. Er sah zum Fenster und stellte fest, dass dieses keine Griffe hatte, öffnen konnte er es also nicht. Aber das Zimmer musste über eine Klimaanlage verfügen, denn er spürte irgendwo her einen Luftzug. Es dauerte nicht lange, bis er in der Türe einen Schlüssel drehen hörte. Also doch, er wurde offensichtlich überwacht. Gut zu wissen.
Der Professor kam auf ihn zu. Ängstlich und sich weiter in die Ecke drückend sah er ihm entgegen und wartete, was da kam. Dieser kniete sich zu ihm runter „Hallo Gerrit, weißt Du noch, wer ich bin.“ Anstelle zu antworten nickte Gerrit nur. „Gut. Gerrit Dein Bruder ist nicht mehr da. Aber keine Angst, er wird Dich in Kürze hier besuchen. Du siehst ihn also bald wieder. Vorerst wirst Du hier bei uns bleiben, wir kümmern uns um Dich.“
Der Professor zeigte auf den Pfleger, der ebenfalls im Raum ist. „Das ist Bruno. Deine ganz persönliche Bezugsperson. Er wird Dir in den ersten beiden Tagen hier alles zeigen und Du kannst ihn jederzeit alles Fragen, was Du willst. Er wird Tag und Nacht für Dich da sein. Aber du wirst auch tun, was er sagt. Hast Du das verstanden?“
Großartig, ausgerechnet dieser testoteron gesteuerte Kleiderschrank war für ihn zuständig. Einfach super. Warum war er jetzt nicht im Labor und flirtete ein bisschen mit Laura, das würde ihm wenigstens Spaß machen. Statt dessen musste er hier den Volldeppen geben. „Bitte, ich will keine Spritze mehr. Ich mag das nicht.“ Der Professor tätschelte ihn beruhigend am Arm „Keine Sorge, Du bekommst keine Spritze, zumindest so lange nicht, wie Du tust, was Dein Pfleger Dir sagt. Versprochen. Ganz großes Ehrenwort. Also hab ich auch Dein Wort, dass Du Dich benimmst und nicht wieder so einen Aufstand wie vorhin machst?“ Er hielt ihm die ausgestreckte Hand hin. Gerrit sah von ihm zu Bruno und wieder zurück, dann nahm er zögernd die Hand des Professors an und nickte.
Der Professor stand wieder auf und verschwand mit den Worten „Gut, dann wäre ja alles geklärt. Wir sehen uns später Gerrit und nun geh mit Bruno, er wird Dir was zum Abendbrot geben. Du hast doch Hunger?“
14.
Natürlich hatte er Hunger. Diese Idioten hatten ihm heute morgen eine Spritze gesetzt und die hatte offenbar dafür gesorgt, dass erst heute Abend wieder aufgewacht war. Wie sollte er denn da keinen Hunger haben? Gerrit stand langsam auf und tat so, als wisse er nicht, was er als nächsten tun sollte.
Kaum war die Türe hinter dem Professor geschlossen, kam Bruno auf ihn zu, nahm ihm schmerzhaft am Oberarm und haute ihm ansatzlos erst einmal eine gepfefferte Ohrfeige runter. Gerrit wusste gar nicht, wie ihm geschah und hatte alle Mühe, sich gegen den Schlag nicht umgehend zu wehren, sondern sich nur die Wange zu halten. Hätte er seinen absolut verständlichen Drang, diesem Typen eine zurückzuhauen, nicht unterdrücken können, hätte er sich jetzt bereits verraten, denn der Gerrit, dessen Persönlichkeit er hier abliefern sollte, konnte sich nicht wehren. In Zukunft sollte er wohl stets auf alles vorbereitet sein. Zumindest konnte er sich schon einmal zusammenreimen, woher Karl die älteren blauen Flecke hatte und nahm sich vor, vor diesem Bruno in Zukunft auf der Hut zu sein.
Bruno knurrte ihn an „Nur damit Du von Anfang an klar sieht. So ein verhätscheltes Millionärssöhnchen hat mir gerade noch gefehlt. Du tust genau das, was ich Dir sage. Das war nur eine Kostprobe von dem, was Dir blüht, wenn Du Dich nicht daran hältst und nun komm! Und fang ja nicht an zu heulen“ Dann zog er Gerrit hinter sich her in eine Küche. Dort setzte er Gerrit an den Tisch, machte ihm zwei Brote und gab ihm etwas zu trinken.
Die ganze Zeit saß Bruno ihm gegenüber und beobachtete ihn dabei, wie er aß und trank. Das war ja ein toller Job. Dieses ewige Beobachtung nervte Gerrit schon jetzt, abgesehen davon, dass sein Kopf immer noch von der Ohrfeige schmerzte. Als Gerrit zu Ende gegessen hatte, bat Bruno ihm in einem nun einigermaßen freundlichen Ton, ihm zu folgen. Ah ha, offenbar Methode Zuckerbrot und Peitsche, das kann ja heiter werden' war alles, was Gerrit dazu einfiel. Er tat so, als sei er von der Ohrfeige noch eingeschüchtert und folgte ihm wortlos.
Es ging zurück in sein Zimmer. Dort zeigte Bruno ihm den Inhalt seines Kleiderschrankes und erklärte ihm, dass er sich jeden Tag frische Sachen anzuziehen hatte und wo die genau untergebracht waren. Dieses Sanatorium war so edel, dass er sich um seine dreckige Wäsche oder ums Aufräumen keine Gedanken machen musste. Dazu war Reinigungspersonal da.
Zum Schluss gab Bruno ihm einen karierten Schlafanzug. „Los alles ausziehen, auch die Unterwäsche und dann den hier anziehen. Und bevor ich es vergesse, den Schlafanzug wechselst Du natürlich auch täglich, Du hast genug davon im Schrank.“ Gerrit war etwas irritiert. Er sollte jetzt schon schlafen gehen, er war doch gerade erst wach geworden. Er merkte zwar immer noch die Wirkung des Beruhigungsmittels, aber er würde im Leben jetzt nicht einschlafen können. Aber was verdammt sagte ein geistig Zurückgebliebener in einem solchen Fall, wäre er wohl in der Lage darüber zu diskutieren? Es blieb ihm wohl nichts anderes über, als dies klaglos hinzunehmen.
Da Gerrit keine Anstalten machte, sich umzuziehen, fragte Bruno „Was ist, worauf wartest Du, es ist Schlafenszeit.“ Gerrit sah ihn fragend an und stammelte „Was hier jetzt, vor Dir?“ Bruno lachte „Klar vor mir, mach schon, glaub mir, was Du da unten hast, habe ich schon mehrfach gesehen, also los gehst. Oder möchtest Du, dass ich Dir helfe“ Gerrit schüttelte den Kopf, dass dieser Kerl ihn anfasste, dass wollte er natürlich unter allen Umständen vermeiden und begann daher zögernd sich auszuziehen und den Schlafanzug anzuziehen. Er beobachtete, dass der Pfleger anschließend seine Sachen nahm und nach draußen auf den Flur schmiss, vermutlich würden die Reinigungskräfte sie dort über Nacht abholen oder wie auch immer, war ja auch eigentlich egal. Oder doch nicht, es war vielleicht gut, wenn man wusste, wer nachts hier auf den Fluren herum wuselte.
15.
Als Bruno die Türe zum Zimmer wieder geschlossen hatte, stand Gerrit immer noch an der Stelle, an der sein Kleiderwechsel stattgefunden hatte. Bruno hielt daher auffordern die Tür zum Bad auf und deutete Gerrit an, dass er sich dort einfinden sollte. Er wies ihn wie eine Nanny an, sich die Zähne zu putzte und noch einmal zur Toilette zu gehen und schloss dann die Badezimmertüre. Gerrit empfand all das als äußerst peinlich, aber nach außen hin durfte er sich das nicht anmerken lassen. Er nahm sich vor, niemals im Leben, auch nicht unter Folter, auch nur irgend jemanden etwas von all dem zu erzählen.
Er war hier im Sanatorium ganz allein auf sich gestellt. Michael und Alex würden im Notfall erst in einer ¾ Stunde hier sein können, abgesehen von dem Problem, dass er nicht wusste, wie er sie im Notfall überhaupt informieren sollte. Sein Koffer war nicht da und somit auch keine Möglichkeit, irgendwie mir der Außenwelt zu kommunizieren, denn noch nirgendwo hatte er ein Telefon entdeckt. Musste oder durfte man hier als Patient vielleicht nicht telefonieren. Er wusste es nicht. Er musste halt improvisieren und tröstete sich mit dem Gedanken darüber, dass dieser Idiot ihm wenigstens im Bad nicht nachgerannt kam. Er sah sich hier erst einmal ein bisschen um. Einen Schlüssel zum Abschließen der Türe gab es selbstverständlich nicht, das Pflegepersonal konnte also jederzeit reinkommen. Außerdem gab es nirgendwo scharfe Kanten, wohl aus Angst, die Patienten könnten sich mit Absicht verletzten.
Plötzlich hörte er Bruno bruchstückhaft sprechen. Er bekam Wortfetzen wie „Ich mach das schon“ und „ist geeignet“ mit. Da er keine andere Stimme vernahm, ging er davon aus, dass Bruno vor der Türe telefonierte. Er hatte also ein Handy dabei. Diese Information könnte ihm ja vielleicht im Ernstfall weiterhelfen.
Das Gespräch war schnell beendet, ohne das Gerrit, der mittlerweile an der Türe stand und versuchte, mehr zu verstehen, auch nur einen zusammenhängenden Satz mitzubekommen. Als Bruno nach Beendigung des Gesprächs an die Tür klopfte und „brauchst Du etwa Hilfe“ fragte, rief er so schnell wie möglich „Nein!“ und machte, dass er das Bad möglichst kurzfristig verließ. Wer konnte schon sagen, was der Kerl unter Hilfe verstand.
Als er fertig war und wieder aus dem Bad kam, wurde er angewiesen, sich aufs Bett zu setzen und zu warten. Er beobachtete, wie Bruno ein Glas Wasser aus dem Bad holte. Gerrit hatte schon eine leise Vorahnung, worauf das hinauslaufen würde. Zum wiederholten Mal an diesem Tage verfluchte er diesen verdammten Plan. Bruno holte vor Gerrits Augen eine Tablettendose aus seiner Hosentasche, zog Gerrits rechte Hand zu sich und schüttete 2 von den Tabletten in seine Handfläche. Dann drückte er ihm das Glas Wasser in die andere und deutete ihm an, dass er die Tabletten schlucken sollte. Gerrit sah auf die Tabletten in seiner rechten Hand, schüttelte den Kopf und sagte entschieden „Die brauche ich nicht. Ich will die nicht nehmen. “ Bruno zog tief die Luft ein und ließ sie sodann hörbar genervt aus einen Nasenlöchern wieder entweichen. Offensichtlich war er gewillt, Ruhe zu bewahren.
Gerrit ahnte schon, dass Bruno seine Worte nicht für voll nehmen würde. Und zum Beweis dessen setzte Bruno sich neben ihm und nahm seinen Nacken mit leichtem Druck in die Hand. „Gerrit, wenn wir beide Freunde werden wollen und das willst Du doch sicher?“ Gerrit nickte schnell, da der Griff im Nacken immer stärker wurde „Also dann wirst Du niemanden auch nur ein Wort darüber sagen, dass ich Dir Tabletten gebe, damit Du besser schlafen kannst. Ich warne Dich, solltest Du es doch sagen, dann werde ich Deinem Bruder sagen, dass Du sie Dir selbst besorgt hast, geklaut sozusagen. Du weist ja wohl, dass er Dich dann ganz bestimmt nicht mehr nach Hause holt.. Oder? Und nun nimm.“ Mit den letzten Worten führte er Gerrit die Hand mit den Tabletten zum Mund und Gerrit blieb nun nichts anderes mehr übrig, als die beiden Schlaftabletten zu nehmen.
Er überlegte noch, wie er sie irgendwie in seine Mundwinkel oder Backen verschwinden lassen konnte, aber Bruno sorgte mit Druck dafür, dass er das ganze Glas Wasser in einem Zug hinterher trank, da war absolut nichts zu machen mit Verstecken. Abgesehen davon, dass es ihm nicht erspart blieb, sich von Bruno mit seinen Wurstfingern im Mund rumfingern zu lassen, um nachzusehen, dass die Tabletten auch wirklich weg waren. Zufrieden tätschelte er Gerrits Wange, der erschrocken mit dem Kopf weg zuckte.
Gerrit legte sich angesichts des erfolglos verlaufenden Tages frustriert hin,, während Bruno noch das Licht löschte und anschließend sein Zimmer Verließ. Er hörte, wie der Schlüssel in der Türe herumgeschlossen wurde. Die anderen Patienten taten ihm unendlich leid, denn er war überzeugt, dass sie die gleiche Prozedur wie er jeden Abend durchmachen mussten. Was hatten Karls Eltern gesagt, er hatte sich in letzter Zeit verändert. Kein Wunder!
Da Gerrit die Tabletten nicht gewohnt war, merkte er bereits die Wirkung. Er konnte kaum mehr die Augen aufhalte und einen Augenblick später war er eingeschlafen. Er schlief traumlos, fast komatös bis zum nächsten Morgen durch.
16.
Am nächsten Morgen wurde Gerrit von Bruno um 7 Uhr geweckt. Als Gerrit sich seine Decke krallte und sich noch einmal umdrehte, zog Bruno ihm einfach mit Gewalt die Decke weg und schlug ihm spaßeshalber mit der flachen Hand kräftig auf den Hintern „Komm Gerrit aufstehen, es wird Zeit.“ Gerrit war aufgrund der Tabletten immer noch völlig Groggi, dennoch war er nach dem Schlag sofort hellwach und zuckte mit dem Kopf hoch. Er beeilte sich, aus dem Bett zu kommen, denn er wollte verhindern, dass Bruno ihn noch einmal anfasste, ob spaßeshalber oder nicht. Ekelig, einfach nur ekelig. Ein weiteres Detail, dass er auf seiner Liste der Dinge setzen würde, die er niemals einem Dritten gegenüber erwähnen würde. .
Er wurde von Bruno zum Duschen geschickt. Er war froh erst einmal aus Brunos Sichtfeld herauszukommen, um nicht doch noch eine falsche Reaktion zu zeigen und sich zu verraten. Denn am liebsten wäre er ihm an die Gurgel gesprungen.
Als Gerrit mit dem Duschen fertig war und mit einem Handtuch um die Hüfte ins Zimmer zurück kam, starrte Bruno ihn unverhohlen an. Er kam direkt auf ihn zu und drehte Gerrit ein paar mal prüfend und begutachtete ihn scheinbar. Gerrit, der davon ziemlich überrumpelt wurde, betete, dass Bruno sich nur ansah, ob er durch die Kellerfenster passte und nicht, ob er im Bett ganz brauchbar sein könnte. An letzteres hatte er bisher noch gar nicht gedacht. Zu seiner Erleichterung zeigte ihm Bruno anschließend, dass er seine Sachen bereits rausgesucht und aufs Bett gelegt hatte. Gerrit ging zum Bett rüber und zog sich so schnell es ging an.
Nach dem Frühstücken - welches zu Gerrits stiller Empörung zumindest für ihn ohne Kaffee stattfinden musste - bekam er seinen Therapieplan. Er hatte jeden Tag - außer sonntags - ab 9 Uhr Therapiestunden. Die letzten Stunden waren jeweils gegen 17 Uhr fertig, dann hatte er Freizeit. Bruno erklärte ihm, wo die einzelnen Therapieräume waren und dass er ihn erst heute gegen 17 Uhr nach der letzten Therapiestunde hier im Gemeinschaftsraum treffen würde. Gerrit atmete auf, denn das bedeutete, dass Bruno nicht auch noch ständig während der Therapiestunden neben ihm saß. Aber Gerrit hatte sich zu früh gefreut. Er durfte noch nicht allein zu den einzelnen Therapieräumen wechseln, sondern, da dies sein erster offizieller Tag war, wurde er von den Therapeuten von einem Raum zum anderen begleitet.
Beim Wechseln der Therapieräume sah er ab und zu auch andere „Insassen“ dieses Hauses. Er erkannte sie daran, dass sie die gleichen Sachen trugen, die er auch anhatte. Einheitskleidung. Er hatte es ja vorher gewusst, dass hier alle mindestens über 50 Jahre alt waren, aber durch ihre Krankheit waren sie zusätzlich gezeichnet und sahen wesentlich älter aus, als sie waren, so dass er ziemlich erschrocken darüber war. Einer von ihnen rannte die ganze Zeit mit einer Decke um die Schultern durch die Gegend und sang dabei Kinderlieder. Ein anderes Mal während eines Wechsels zwischen Therapiestunden kam eine alte Frau auf ihn zugelaufen und fragte ihn, ob er sie denn nun endlich mit nach Hause nehmen würde. Der Therapeut, der ihn begleitete verscheuchte die Frau.
Als er mit seinen Therapiestunden fertig war, brachte Bruno ihn zurück in sein Zimmer. Wo er erst einmal den Fernseher anmachte. Erstaunt stellt er fest, dass er nur ein Schneebild empfangen konnte. Er sah Bruno fragend an, der sich gerade an der Türe mit Ralf – ebenfalls Pfleger – unterhielt. Bruno unterbrach sein Gespräch und erkläre ihm, dass er hier nur DVD abspielen lassen konnte. Um Fernsehen zu schauen, musste er in den Gemeinschaftsraum gehen. Da Gerrit heute mit seinem Mitinsassen - wie er sie mittlerweile nannte - nur so selten wie möglich zusammentreffen wollte, entschied er sich dafür, lieber Playstation zu spielen. Er dankte wen auch immer dafür, dass sie wenigstens noch daran gedacht hatten, denn der Tag war unendlich öde abgelaufen und da konnte er wenigstens beim Spielen etwas abschalten.
Die nächsten Tagen verliefen ähnlich. Weil sie auf die Selbstmordthese hatten zurückgreifen müssem, als er hier eingewiesen wurde, schien ihn zu seinem Leidwesen niemand hier wirklich allein lassen zu wollen. Wie sollte er denn da heimlich ermitteln?
Die Therapiestunden bekam er einigermaßen gut hin, bis auf die tägliche Stunde mit Professor Bienle. Der schien ihm richtig auf den Zahn fühlen zu wollen, so, als bekäme er eine Erfolgsprämie, wenn er eine Erklärung dafür fand, dass Gerrit sich angeblich umbringen wollte. Aber Gerrit hielt eisern dagegen. Er beherzigte den Rat des Polizeipsychologen und antwortete auf die Fragen des Professors, wenn überhaupt nur einsilbig. Ansonsten sah er den Professor nur zu seinen Einzelsitzungen. Um den sonstigen Ablauf seines Tages schien er sich nicht zu kümmern, sondern diesen allein Bruno zu überlassen.
Er würde gerne mal in den Park gehen, um dort nach einem möglichen Versteck für die erbeuteten Gegenstände zu suchen, aber jede Bitte von Gerrit, raus in den Park zu dürfen, wurde von Bruno kommentarlos abgelehnt, so dass Gerrit immer mehr der Verdacht hegte, dass dort draußen sehr wohl das Versteck sein könnte.
17.
Am dritten Tag holte Bruno ihn nachmittags mitten aus einer Therapiestunde. Er war sich mittlerweile sicher, dass Bruno damit angefangen hatte, ihn sozusagen dressieren zu wollen, denn er verlangte oft Dinge von ihm, offenbar um zu testen, ob er es machte oder nicht. Machte er es gut, bekam er abends einen Schokoladenriegel, irgendetwas Süßes oder Chips, je nach Wunsch. Machte er es falsch oder noch schlimmer, wollte er es nicht machen, bekam er Schläge. Nicht doll, aber doch so, dass es schon wehtat. Wenn er Schläge bekam, wurden die natürlich nur so ausgeführt, dass man ihm so erst mal nichts ansah. Deshalb war er sich nach relativ kurzer Zeit schon ziemlich sicher, das der Professor von all dem nichts wusste.
Ein einziges Mal erst hatte er es bisher geschafft, sich hier in dem Gebäude etwas allein umzusehen. Bruno war ziemlich sauer gewesen, als er ihn endlich gefunden hatte und hatte ihn umgehend in sein Zimmer gebracht. Neben den üblichen Schlägen sorgte er dafür, dass er zur Strafe sofort ins Bett gehen musste.
Und so machte er sich Gedanken darüber, was er angestellt oder falsch gemacht haben könnte, dass Bruno ihn so ohne weiteres kommentarlos aus der Therapiestunden holte und hinter sich her zog. Er brachte ihn auf sein Zimmer und schloss die Türe. Dann zog er ihn brutal an sich, schüttelte ihn und knurrte ihn an „Hör zu, Dein Bruder ist da und will Dich besuchen. Er will ein bisschen mit Dir im Park spazieren gehen. Ich soll Dich holen und dafür sorgen, dass Du Schuhe und Jacke anziehst. Eins sage ich Dir, ein Wort von Dir über die Tabletten oder das ich Dich geschlagen habe und ich sorge dafür, dass Du nie wieder nach Hause kommst. Hast Du mich verstanden?“ Gerrit nickte und tat so, als sei er völlig verängstigt von diesem Übergriff. In Wahrheit geisterte ein 'Du verdammtes Arschloch' in seinem Kopf herum.
Nachdem er sich Schuhe und Jacke angezogen hatte, rannte er nach unten. Er konnte es gar nicht abwarten, endlich mal wieder nach draußen zu kommen. Bruno hatte es ihm bisher ja immer abgeschlagen, wenn er den Wunsch danach äußerte.
Unten im Flurbereich stand Michael und wartete auf ihn. Ganz seiner Rolle entsprechend rannte er lächelnd auf ihn zu und umarmte ihn. Die Erleichterung, Michael zu sehen, musste er nicht einmal spielen. Michael umarmte ihn auch und zusammen gingen sie nach draußen in den Park, um dort etwas spazieren zu gehen. Gerrit zog erst einmal erleichtert die frische Luft ein. Michael beobachtete ihn stumm dabei.
Sie gingen vom Haus weg, um sich ungestört unterhalten zu können und Gerrit erzählte Michael, wie es ihm ergangen war, wobei er jedoch das, was ihm zu peinlich war, weg ließ. Er erzählte ihm auch von den Schlaftabletten, die Bruno ihm jeden Abend aufzwang und Michael bekam wieder ein schlechtes Gewissen. „Ich weiß nicht Gerrit, vielleicht sollten wir das Ganze hier einfach abblasen. Wer weiß, was genau in diesen Tabletten ist.“ Gerrit schaute ihn entgeistert an „Abblasen. Bist Du von allen guten Geistern verlassen. Ich lasse mich doch hier nicht drei Tage lang wie ein Kleinkind behandeln, ohne dass wir ein Ergebnis vorweisen können.“ „Aber vielleicht ist das alles doch ein Zufall gewesen und Du machst das alles hier völlig umsonst. Ich weiß nicht, ob es das wert ist. Es scheint Dich ziemlich mitzunehmen.“
18.
Gerrit dachte einen Moment über Michaels Worte nach und ob er das Angebot nicht doch annehmen sollte, aber dann schüttelte er energisch den Kopf „Nein, ich gebe nicht auf. Dieser Bruno macht das Ganze doch nur, um mich einzuschüchtern, damit ich während eines möglichen Einsatzes perfekt funktioniere. Außerdem habe ich gehört, wie die beiden sich bei darüber unterhalten haben, dass nach weiteren 2 bis 3 Mal Schluss sei und man dann hoffe, genug zusammen zu haben, weil er - und damit war bestimmt ich gemeint - vielleicht nicht mehr lange hier im Sanatorium bleiben würde.“
Michael gab sich geschlagen „Gut, machen wir also weiter, aber Du weist, dass das auch alles mögliche heißen kann?“ „Klar, aber, was sollte es schon sonst bedeuten. Glaub mir, ich halte das schon noch ein paar Tage aus.“ entgegnete Gerrit, obwohl er wusste, dass die Situation hier drinnen bereits begonnen hatte, seine Seele anzugreifen. Konnte man so eine Extremsituation überhaupt ohne größere Schäden überstehen?
Michael nahm ihm das nicht so ganz ab, stimmte aber dennoch einer Fortsetzung der Scharade zu. Deshalb besprachen sie noch, wie sie weiter vorgehen würden. Gerrit wollte Bruno unbedingt endlich etwas aus der Reserve locken, um schneller voran zu kommen, obwohl er ahnte, dass das mit erneuten Schlägen und Schmerzen verbunden sein könnte. Aber davon sagte er Michael lieber nichts. Er wollte nicht, das man sich im Büro seinetwegen Sorgen machte.
Michael brachte Gerrit zurück ins Haus und verabschiedete sich dann dort von ihm. Der Professor stand vor seinem Büro und sah ihnen wie zufällig zu, während Bruno oben am Treppenrand stand und nach unten rief „Gerrit. komm bitte hoch.“ Aber Gerrit dachte gar nicht daran, auf Bruno zu hören und wie ein dressierter Hund zu ihm hochzugehen. Dieser herrische Ton ging ihm mächtig auf die Zeiger. Er wandte sich statt dessen – wie vorher mit ihm abgesprochen - noch einmal an Michael und bettelte ihn an „Michael bitte, nimm mich mit nach Hause. Ich will hier nicht bleiben. Bitte, ich will zu Renee.“
Michael nahm ihn noch einmal in den Arm und Gerrit vergrub seinen Kopf in seine Schulter. Er hörte, dass Bruno von oben runter gelaufen kam. Gleichzeitig kam der Professor auf sie zu, in der Hand erneut eine Beruhigungsspritze. Michael hielt ihm abwehrend die Hand entgegen. „Professor, bitte, ich mach das schon.“ Michael hielt Gerrit, der den Kopf gesenkt hielt, vor sich „Gerrit, Du bist doch kein Kleinkind mehr oder?“ Gerrit nickte, jedoch ohne den Kopf hoch zunehmen. Er hätte sich sonst wahrscheinlich verraten, denn er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht loszulachen über das Schauspiel, dass sie beide und insbesondere Michael hier abgaben und versuchte krampfhaft, sich wieder auf seine Rolle zu konzentrieren. „Gut, dann verstehst Du auch was ich sage. Also ich möchte, dass Du hier noch ein bisschen bei diesen Leuten bleibst, hörst Du, nur ein bisschen. Es dauert nicht lange und Du kannst wieder nach Hause. Aber vorerst musst Du hier bleiben. Also ich erwarte von Dir, dass Du das akzeptierst und nun mit Bruno zurück auf Dein Zimmer gehst. Bitte.“
19.
Gerrit rührte sich nicht von der Stelle. Deshalb machte Michael Bruno ein Zeichen und der schlang seine Finger um seinen Oberarm und zog ihn kurzerhand an Seite. Michael wandte sich an den Professor „Mein Bruder hat mir berichtet, dass er bisher noch nicht raus in den Park durfte. Wäre es möglich, dass vielleicht täglich einzurichten. Er ist gerne draußen und liebt es die Natur zu beobachten.“
Gerrit spürte, wie sich die Hand bei diesen Worten augenblicklich wie ein Schraubstock immer stärker um seinen Arm schloss und er hatte Mühe, vor Schmerzen nicht laut aufzustöhnen. Er hörte noch, wie der Professor Michael versprach, selbstverständlich dafür zu sorgen, als er schon von Bruno die Stufen nach oben hinter sich her gezogen wurde. Gerrit trottete, sich seinem Schicksal ergebend, mit hängenden Schultern hinter Bruno her. Wenigstens hatte er sich wieder gefangen und konnte seine Rolle weiterspielen. Aber das war auch nicht wirklich schwierig, denn ihm wurde ganz mulmig bei der Frage, was Bruno gleich mit ihm wohl machen würde, wenn er schon jetzt vor lauter Wut so kräftig zugriff. Er schien richtig mächtig wütend zu sein. Und er durfte sich ja in seiner Rolle nicht einmal großartig gegen ihn wehren. Vielleicht hätte er doch lieber weiter abwarten sollen, ohne die Sache zu forcieren. Aber dazu war es jetzt zu spät.
So stand er Augenblicke später in der Ecke seines Zimmer hatte eine Arme schützend um seinen Kopf gelegt und wartete darauf, dass Bruno endlich aufhören würde ihn zu schlagen. Mehrfach fragte er ihn, was er Michael noch alles erzählt hatte, obwohl er das doch verboten hatte. Gerrit antwortete stets nur mit „nichts“ oder „gar nichts“. All das, war er ihm jetzt gerne darauf antworten würde, schwirrte durch seinen Kopf, aber er verzichtete darauf, die Worte herauszuschreien, um Bruno nicht noch zorniger zu machen. Aber all das half nicht wirklich. Bruno schien nur immer wütender zu werden, schrie weiter ständig auf ihn ein und nahm schließlich auch noch seinen Gürtel zu Hilfe. Nach endlosen scheinenden Minuten ließ er endlich von Gerrit ab, der mittlerweile am ganzen Körper Blessuren aufwies. Gerrit bliebt einfach in der Ecke liegen und rollte sich zitternd zusammen.
Er war sauer. Sauer auf sich selbst. Er hatte doch gewusst, dass Bruno ausrasten würde, wenn er hörte, dass er Michael etwas erzählt hatte. Gut, er hatte nicht vorhersehen können, in welchem Ausmaß. Aber warum war er bloß nicht auf Michaels Angebot, die Sache hier und heute abzubrechen, eingegangen. Jetzt war Michael weg. Sein Gott verdammter Stolz, es schaffen zu wollen, es den anderen schon zu zeigen, dass er das hier hinbekam. Verdammter Mist, nichts bekam er hin, rein gar nichts.
Mit diesen negativen Gedanken schlief er zusammengerollt in der Ecke ein. Er merkte zwar, wie er unterstützt von Ralf von Bruno in sein Bett gelegt, umgezogen und zugedeckt wurde, aber er war einfach zu erschöpft, um darauf zu reagieren. Letztlich trichterten sie ihm noch irgendwie die obligatorischen zwei Schlaftabletten ein und dieses Mal schluckte Gerrit sie auch gerne, einfach nur um endlich vollständig abschalten zu können.
Eigentlich hatte der Professor an diesen Abend noch nach Gerrit sehen wollen, aber Bruno erzählte ihm, dass Gerrit von dem Besuch seines Bruders so aufgewühlt gewesen sei, dass er ihn heute früher zu Bett geschickt hatte. Da der Professor Gerrit nicht wecken wollte, gab er sich damit zufrieden.
20.
Michael redete noch kurz mit dem Professor und verließ dann das Gebäude. Er hoffte, dass Gerrit sich richtig entschieden hatte, denn er hatte bemerkt, dass dieser Bruno seine Wut über seine Worte kaum zurückhalten hatte können. Und die Art, wie er Gerrit hinter sich her nach oben geschleift hatte, ließ auch nichts Gutes erahnen.
Auf dem Weg ins Büro grübelte er darüber nach, ob er Gerrit den von der Technik zusammengebauten Sender nicht doch einfach hätte mitbringen sollen, auch gegen seinen Willen. Aber dann hätte Gerrit vermutlich die nächsten Wochen nicht mehr mit ihm geredet, denn der Sender war in einem rosa Stoffhasen eingearbeitet. Von Anfang an, hatte es Gerrit abgelehnt, ein Stofftier mit sich zuführen, ob mit einem Sender bestückt oder ohne. Er hörte noch Gerrits entrüstete Worte in seinen Ohren „Seid ihr jetzt völlig übergeschnappt. Ich nehme doch kein Stofftier mit. Gut, ich habe mich überreden lassen diese Rolle zu spielen, aber wenn ich nun auch noch ein Stofftier mitnehmen muss, dann schmeiße ich das Ganze hin.“ Sie alle drei hatten gewusst, dass da nichts zu machen sein würde, um Gerrit, was den Stoffhasen betraf, umzustimmen. Obwohl Der Anblick wäre einfach zu lustig gewesen, aber was soll´s, er hätte diese Situationskomik ja eh mit niemanden teilen können.
Die Technik war nun mit Hochdruck damit beschäftigt, den Sender so in ein ferngesteuertes Fahrzeug einzuarbeiten, dass Gerrit im Notfall auch schnell an den Sender dran kam, aber bisher war dies nicht von Erfolg gekrönt gewesen.
Als er endlich wieder im Büro ankam, wurde er gleich von Alex überfallen „Und, was sagt er, gibt es was neuen?“ Michael schüttelte den Kopf „Nee, Liebelein, etwas Neues gibt es nicht, bis auf sein Gefühl, dass sein Pfleger mit der Sache zu tun hat und angefangen hat, ihn darauf einzustellen, dass er alles zu machen hat, was er sagt.“ Robert schaltete sich ein „Dafür, dass dieser Pfleger etwas mit der Sache zu tun hat, würde doch auch für die Tatsache sprechen, dass seit mehr als 6 Tagen kein Einbruch mehr stattgefunden hat. Ich meine, es ist doch so, dass zwischen den Einbrüchen noch nie 6 Tage lagen.“
Michael nickte bestätigend „Ja, wollen wir hoffen, dass wir den richtigen Riecher haben und die in Kürze unter Mitwirkung von Gerrit einen weiteren Einbruch vornehmen. Auf jeden Fall ist das vor Ort für Gerrit kein Zuckerschlecken, auch wenn es sich vom Prinzip per einfach anhört.“ Alex Alarmglocken schrillten bei diesen Worten von Michael auf „Wieso, was ist los? Sag schon!“ Michael ließ ertappt seine Schultern hängen „Sie verpassen ihm jeden Abend 2 Schlaftabletten und er weiß nicht, was das für ein Zeug ist.“ Alex war entrüstet „Schlaftabletten? Hält der Professor das vielleicht für eine angemessene Methode?“ „Er weiß vielleicht nichts von all dem. Gerrit wurde Strafe angedroht, wenn er auch nur irgend jemanden davon etwas sagt.“
Die drei diskutierten noch einen ganze Weile darüber, ob die Entscheidung, einen von ihnen soweit vom Schuss allein agieren zu lassen, richtig war oder nicht, aber letztendlich konnten sie nichts weiter tun, als abwarten, dass ein neuer Villen-Einbruch gemeldet wurde.
21.
Am nächsten Tage spürte Gerrit jeden einzelnen Knochen im seinem Leib. Er sah sich vor dem Duschen seine Rückseite im Spiegel an. Deutlich waren nicht nur die blauen Flecke, die durch die Schläge entstanden waren, sondern auch die Striemen vom Gürtel zu erkennen. Wie erniedrigend das gewesen war. Am schlimmsten war es gewesen, es geschehen lassen zu müssen, ohne sich dagegen wehren zu dürfen.
Gerrit war noch nie mit einem Gürtel geschlagen worden, geschweige denn mit etwas anderem. Häusliche Übergriffe kannte er nicht, seine Eltern hatten eher auf Erklärungen gesetzt, als auf Schläge. Mein Gott, wie dankbar er ihnen in diesem Moment dafür war. Ab und zu hatte er sich mal eine Ohrfeige eingehandelt, das war aber auch schon alles, und die auch nur in Affektsituationen. Wie oft hatte er als Polizist Bilder von Übergriffen auf Kindern gesehen, die diese durch ihre Väter erlitten hatten. Immer wieder hatte er sich gefragt, was sie wohl fühlten. Jetzt wusste er es, die Erniedrigung war tausend mal schlimmer als die Schmerzen. Niemals wieder würde er das Gefühl vergessen können. Diesem Bruno würde er noch seine Meinung dazu sagen, wenn das Ganze hier zum Abschluss kam und das nicht zu knapp. Er wusste jetzt schon, dass er dabei besser nicht alleine mit Bruno im Raum sein sollte.
Er atmetet tief durch, es musste schließlich irgendwie weiter gehen. Nachdem er geduscht aus dem Bad kam, musste er sich erst einmal erneut von Bruno begutachten lassen. Auch das war etwas, was ihm völlig gegen den Strich ging. Gerrit wusste nicht, wie lange er seine Wut darüber noch zurückhalten konnte. Er war diesem Typen einfach völlig ausgeliefert. Dabei war er entgegen den übrigen Insassen noch gut dran. Er hatte ja wenigstens noch die Aussicht, dass es nicht für immer war. Wie es wohl für Karl gewesen war und warum musste Karl letztendlich sterben?
Bruno unterbrach ihn bei seinen Überlegungen und fragte ihn drohend „Ich muss wohl nicht extra erwähnten, dass das Ganze hier unter uns bleibt oder?“ Gerrit sah ihn an und schüttelte ergeben den Kopf. „Gut, ich sehe schon, wir sind wieder Freunde. Und als guter Freund erwarte ich von Dir, dass Du Dich heute bemühst, zu tun, was Dir aufgetragen wird. OK?“ Gerrit nickte wortlos und durfte sich nun endlich anziehen.
Den ganzen Tag musste er wieder Kleinigkeiten für Bruno erledigen und bemühte sich, die ihm gestellten Aufgaben so schnell wie möglich zu erledigen. Er wollte endlich raus hier und das bedeutet wohl, dass Bruno den Eindruck bekommen musste, dass Gerrit alles tun würde, um ihn zufrieden zu stellen. Und Bruno war am Abend zufrieden mit ihm und lobte ihn auch, dennoch musste Gerrit die verhassten Schlaftabletten erneut einnehmen.
Der nächste Tag war ein Sonntag, aber das wusste Gerrit zunächst nicht. Als er gegen 9,30 Uhr aufwachte und sah, dass es draußen schon hell war, wunderte er sich. Offenbar hatte Bruno ihn heute ausschlafen lassen. Kaum hatte er sich im Bett aufgesetzt, kam Bruno auch schon in sein Zimmer und wies ihn an Duschen zu gehen. Als er damit fertig war, informierte er Gerrit darüber, welcher Tag heute war und dass er den ganzen lieben Tag lang tun durfte, was er wollte, heute Abend aber zeitiger ins Bett gehen müsse. Gerrit bekam ein Kribbeln im Bauch. Bedeutete das etwa, dass es endlich so weit war?
Er bat darum, nach draußen gehen zu dürfen und Bruno ließ ihn tatsächlich raus. Aber leider nur in seiner Begleitung. Er tat so, als würde er die Natur hier und da ein bisschen beobachten, aber in Wirklichkeit suchte er nach dem Versteck der Beute. Zu seinem Bedauern fand er aber nichts. Er fühlte sich hier drin ziemlich nutzlos. Richtig ermitteln konnte er nicht und dann war er endlich mal draußen und fand nichts.
22.
Der Abend verlief anders ab, als sonst, denn Gerrit wurde zwar wie immer von Bruno zu Bett gebracht, musste aber heute nur eine Schlaftablette, dafür aber eine andere nehmen. Gerrit wusste nicht genau, was das bedeutete. Hatte er sich den ganzen Tag schon darüber gefreut, dass es endlich losgehen würde, war er nun enttäuscht, dass er doch wieder eine Schlaftablette nehmen musste. Vermutlich wollte Bruno heute Abend nur ausgehen und er sollte deshalb früher schlafen gehen, damit dieser Idiot sich amüsieren konnte. Schöner Mist. Er hatte sich wohl zu früh gefreut.
„Hm“ Gerrit wollte nicht aufwachen, wer auch immer ihn immer wieder rüttelte. Es konnte unmöglich schon morgens sein, er war noch so müde und konnte seine Augen fast gar nicht aufmachen. Aber nachdem jemand anfing, ihm auf die Wangen zu schlagen, öffnete er doch seine Augen halbwegs und erblickte erschrocken Brunos Gesicht direkt vor seinem. Dieser hielt seinen Zeigefinder vor dem Mund und zischte „zzzzt, ganz leise.“ Gerrit setzte sich – mehr von Bruno gezogen, als selbst handelnd – auf. Er war immer noch so benebelt von der Tablette, die Bruno ihm gegeben hatte, dass er nur verzögert reagieren konnte. Er ließ zu, dass Bruno ihm beim Aus- und Anziehen half, weil er seine Bewegungen nicht richtig koordinieren konnte. Er wüsste nur zu gerne, was für ein Teufelszeug Bruno ihm da mal wieder verpasst hatte. Aber das nur am Rande. Trotz seiner eingeschränkten Hirnfunktion bekam er doch mit, dass es offenbar mitten in der Nacht war, es musste also doch losgehen. Heute würde es passieren. Da war er sich sicher.
Als Gerrit fertig angezogen war, half Bruno ihm seine Schuhe anzuziehen. Gerrit sah mehr oder weniger unbeteiligt zu. Im Hinterkopf schwabbelte zwar immer noch durch seinen Kopf, dass es nun doch endlich los ging, aber irgendwie wollte er gerade nur schlafen. Schlafen nichts als schlafen. Aber daraus wurde nichts. Bruno schlich mühsam mit ihm durch die abgedunkelten Gänge und Gerrit fragte sich, wozu die wohl abgedunkelt waren, denn die Patienten konnten doch eh nicht aus ihren Zimmern.
Durch eine Treppe, die Gerrit bisher noch nicht entdeckt hatte, kamen sie zur Sammelgarage des Hauses und dort wurde Gerrit in einen Lieferwagen auf die Ladefläche gesetzt. Er bekam mit, wie Ralf, der sie bereits erwartet hatte fragte „Was dauerte das denn so lange“ und Bruno antwortete „Ich weiß auch nicht, wahrscheinlich ist es die andere Tablette, die ist er noch nicht gewöhnt, wir hätten sie ihm gar nicht erst geben sollen.“ Gerrit ließ seinen Oberkörper müde auf die Ladefläche, auf der eine Decke ausgebreitet war, sinken. Er spürte, dass Bruno seine Beine in den Lieferwagen schob und die Schiebetüre schloss und schlief trotz der Kälte, die durch die Decke unter ihm drang, wieder ein, gerade, als sich das Fahrzeug in Bewegung setzte.
Etwas später wurde er wieder geweckt, aber dieses Mal wurde er schon besser wach und konnte sich nun auch einigermaßen wach halten, denn die Fahrt hatte gut eine Stunde gedauert und die Wirkung der Tablette hatte in dieser Zeit endlich etwas nachgelassen. Er merkte, dass er zitterte, denn die Kälte war nun durch seinen gesamten Körper gedrungen.
23.
Er sah sich um, wie erwartet befanden sie sich in einer Straße mit alten Villen. Von Bruno wurde er zu einer der Villen geführt. Sie gingen zu einem Kellerfenster. Während Ralf das Gitter vor dem Fenster entfernte und offenbar auserkoren war, Schmiere zu stehen, instruierte Bruno Gerrit, während er ihm ein paar dünne Erste-Hilfe-Gummi-Handschuhe überzog. „Also Gerrit, die Handschuhe, die ziehst Du auf keinen Fall aus, hast Du gehört?“ Als Gerrit nickte, fuhr er fort „Gut, Du steigt jetzt durch das Fenster, gehst zum Wohnzimmer und öffnest uns die Terrassentür. Wiederhole das“ Gerrit starrte ihn verdutzt an, dann stammelte er noch einmal nach, was Bruno ihm gesagt hatte. Bruno schien sich damit zufrieden zu geben, schoss aber noch „und Gerrit, ich warne Dich, wenn Du Dich nicht beeilst, die Terrassentür aufzumachen oder sonst etwas da drin veranstaltest, dann setzt es zu Hause wieder eine Tracht Prügel, und das willst Du doch sicher nicht, also überlege Dir gut, was Du tust!“ hinterher.
Dann drückte er Gerrit in Richtung des Kellerfensters. Gerrit begann, sich durch das Kellerfenster rückwärts in das Haus gleiten zu lassen. Das war gar nicht so einfach wie gedacht, aber endlich hatte er es geschafft. Er hatte sich dabei am Fenster etwas aufgeschrappt und er hoffte, dass das bisschen Haus und Blut ausreichen würde, für Alex und Michael seine DNA hier zu hinterlassen. Bruno drängte ihn von oben nachhaltig dazu, durch den Flur in das Erdgeschoss zu gehen und die Terrassentür zu suchen. Als er langsam und zögernd in Richtung Flur ging, sah er, dass Bruno von dem Kellerfenster verschwand, um offenbar zu der Terrassentür zu gehen. Schnell nahm er einen Handschuh ab und drückte seine rechte Hand auf die Tür vom Keller. Das würde auf jeden Fall reichen, um seine Anwesenheit hier zu dokumentieren. Er wollte das auf keinen Fall dem Zufall überlassen und womöglich noch länger in diesem Irrenhaus bleiben müssen. So schnell es ging, zog er den Handschuh wieder an.
Immer noch fühlte sich sein Gehirn ein bisschen so an, als sei es aus Watte. Er überlegte kurz, ob er nicht das Telefon suchen und seine Kollegen herbeirufen sollte, aber bis die hier ankamen, wären Bruno und Ralf längst über alle Berge und das wollte er ihnen nun doch nicht gönnen. Vor allem, es wäre für beide ein Leichtes, die Schreibe der Terrassentüre einzuschlagen und wie sollte er sich dann gegen die beiden wehren. Also ging er wie aufgetragen nach oben und öffnete die Tür. Dort nahm Bruno ihn in Empfang und Ralf ging sofort ins Haus, um es zu durchsuchen. Bruno brachte Gerrit zurück zum Lieferwagen, ließ ihn wieder hinten einsteigen und holte eine Spritze hervor. Gerrit drängte sich in eine Ecke, aber gegen die geballte Kraft von Bruno konnte er sich nichts ausrichten und spürte, wie die Nadel gewaltsam in seine rechte Pobacke eindrang. Augenblicke danach war er ohne Bewusstsein.
Bruno und Ralf räumen alles, was gut und teuer war, aus dem Haus raus, fuhren zu ihren Versteck, um die Beute u verstecken und dann zurück ins Sanatorium. Leise brachten sie gemeinsam den immer noch bewusstlosen Gerrit wieder in sein Bett.
Gerrit wachte am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen auf. Er zog sich zwar an, aber nachdem Professor Bienle festgestellt hatte, dass er auch noch erhöhte Temperatur hatte, bekam er ein leichtes Schmerzmittel und durfte heute in seinem Zimmer bleiben. Kurze Zeit nach Einnahme des Medikamentes schlief er auf dem Sofa ein. Bruno lies ihn da liegen und legte ihm eine Decke über den Körper. Dann verließ er leise das Zimmer.
24.
Michael fuhr auf den Parkplatz des Sanatorium. Im Gepäck hatte er den Durchsuchungsbeschluss. Wie erwartet hatten sie nach Benachrichtigung über den stattgefundenen Einbruch gestern Nacht Gerrits DNA gefunden und, nachdem auch sein Handabdruck auf der Tür gefunden und identifiziert wurde, hatte der Staatsanwalt dieses Mal nicht gezögert, den Durchsuchungsbeschluss auszustellen. Da sie sich nicht allein auf Gerrit Gefühl verlassen konnten und nicht wussten, ob auch der Professor in der Sache mit drinsteckte und das Sanatorium eine in sich geschlossene Einheit bildete, hatte man beschlossen, dass Michael heute noch einmal als Besucher auftreten würde, damit die Türe geöffnet wurde. Als der Pfleger vor Michael stand, hielt er ihm sofort den Durchsuchungsbeschluss unter die Nase und forderte ihn auf, Beiseite zu treten. Er informierte Alex per Handy darüber, dass sie nun kommen konnten, weil die Türe auf war. Während Alex und die anderen Mitarbeiter vorfuhren, hielt Michael dem völlig verdutzten Pfleger davon ab, irgend jemanden im Gebäude zu informieren.
Nachdem sich alles um Michael versammelt hatte, gingen sie in Richtung des Gebäudes, um ihre Arbeit durchzuführen. Was sie nicht wussten war, dass Ralf zufällig durch das Fenster in Richtung Eingang schaute und sie ankommen sah. Er erkannte Alex sofort als Kommissarin wieder. Schnell rannte er zu Bruno, um ihn zu unterrichten. Beide rannten auf die andere Seite des Gebäudes. Aber auch vor dem Liefereingang standen bereits mehrere Polizeifahrzeuge unter der Leitung von Robert. Auch über diesen Eingang würden sie also nicht mehr flüchten können. Sie überlegten, was zu tun war. Die Beute war nicht hier versteckt, sondern in einem alten Bunker draußen vor den Toren des Sanatoriums. Mit den Diebstählen und vor allem mit dem Mord an Karl konnte man sie, wenn überhaupt, so glaubten sie zumindest, also nur über Gerrit in Verbindung bringen.
Bruno rannte in die Vorratskammer, in der sich auch der Medikamentenschrank befand. Schnell suchte er diesen ab und fand endlich, was er suchte. Noch war die Polizei nicht im Haus. Er packte eine Spritze aus und zog eine Flüssigkeit auf. Ralf hatte ihm bisher nur stumm zugesehen, nun wurde es ihm aber zu bunt, als er erkannte, was Bruno da vorhatte. „Nein, Bruno, da mach ich nicht mehr mit. Du kannst ihn nicht auch noch umbringen. Noch dazu, wo die Polizei schon vor der Türe steht.“ Bruno lachte „Das Zeug bringt ihn nicht um. Ist ein starkes Halluzinogen. Das mit dem Umbringen macht der schon ganz von selbst, wir müssen ihn nur richtig animieren. Komm, das ist unsere einzige Möglichkeit.“
Sie rannten zu Gerrit ins Zimmer und machten ihn wach. Der wusste gar nicht, wie ihm geschah, als er, noch nicht ganz wach, nach oben aufs Flachdach des Gebäudes gebracht wurde. Schon auf der ausgezogenen Leiter nach oben wäre er fast gestürzt. Oben angekommen, kam Bruno mit der Spritze auf ihn zu. Gerrit sah sich verzweifelt um, was hatte Bruno denn vor? Erst jetzt bemerkte er, dass unten war vor sich ging und sah einen Polizeiwagen. Er atmete auf. Endlich war es vorbei, aber jetzt musste er erst einmal sehen, dass er das hier auch überlebte.
Er wurde von Ralf und Bruno umkreist. Er versuchte daher auf sie einzureden in der Hoffnung, dass es nicht so lange dauern würde, bis Alex und Michael kommen würden. „Hören Sie, ich bin nicht der, für den Sie mich halten, ich bin ein Kommissar. Vom K11. Es ist vorbei. Bitte, legen Sie die Spritze weg und ergeben Sie sich, das hat doch alles keinen Zweck mehr.“ Aber da wurde er auch schon von hinten von Ralf gepackt und festgehalten, während Bruno ihm das Zeug in der Spritze schnell und ohne Erbarmen in den Oberschenkel drückte. Er dachte noch Ich hasse Spritzen als sich bereits vor seinen Augen ein bunten Farbenmeer auftrat. Ralf ließ ihn los und er fiel auf seine Knie. Bruno half ihm wieder hoch und schuppste ihn in Richtung Dachrand. Dann verließen die beiden das Dach und schlossen die Luke nach unten.
Gerrit taumelte weiter in Richtung Dachrand. Ihm war speiübel. Er zwinkerte mit den Augen, um etwas deutlicher sehen zu können. Dann blieb er stehen und schaute in den Himmel. Er war wunderschön, nur so bunt und unbeschreiblich, nicht wie sonst, aber wie war der Himmel sonst überhaupt? Es fiel ihm einfach nicht mehr ein. Alle mögliche Gegenstände und Tiere flog um ihn herum und er versuchte, danach zu greifen, aber griff immer wieder ins Leere. Mittlerweile hatte er sich schon gefährlich dem Abgrund genähert und schaute hinunter. Da sah er Leute stehen. Er wollte zu ihnen, vielleicht musste er ja nur springen und war augenblicklich dort. Dann drehte sich unvermittelt alles um ihn herum und er brach erneut auf seine Knie ein. Mühsam rappelte er sich wieder auf. Er hatte jeglichen Sinn für die Realität verloren.
25.
Ein Großteil der Polizisten rannten im Gebäude herum, um die Pfleger zusammen zu suchen. Das war nicht einfach, weil die meisten Zimmer abgesperrt waren. Alex und Michael waren im Büro des Professors und wiesen die Kollegen an, speziell nach diesem Bruno und auch Ralf zu suchen, aber vor allem sollten die Kollegen Gerrit finden. Der war, obwohl der Professor ihnen gesagt hatte, dass er heute krank war und eigentlich in seinem Zimmer sein sollte, dort nicht anzutreffen. Alex befürchtete bereits das Schlimmste und hatte Mühe, sich zu beherrschen.
Michael nahm sich gerade den Schreibtisch des Professors vor und Alex die Aktenschränke, als ein Kollege rein kam und sie informierten „Wir haben die beiden“ „Auch Gerrit?“ fragte Michael sofort. Aber die Kollegen verneinten dies. Michael ging sofort fragend auf Bruno und Ralf, die unten im Eingangsbereich standen, zu. „Wo ist unser Kollege geblieben?“ Aber beide zuckten nur mit der Schulter. Da Michael den beiden am liebsten an die Gurgel gegangen wäre, ließ Alex die beiden zur Befragung zu ihrer Sicherheit ins Büro abführen und versuchte, in dieser Situation vernünftig zu bleiben. „Michael beruhige Dich, wir finden Gerrit schon.“ Plötzlich hörten sie, wie von draußen nach ihnen gerufen wurde.
Als sie vor die Tür traten, sahen sie, wie alles nach oben blickte. Automatisch schauten sie auch nach oben und erschraken. Das was sie dort sahen, ließ ihr Blut fast in den Adern erfrieren. Gerrit balancierte oben, direkt über ihnen am Rande des Daches mit ausgebreiteten Armen herum und drohte jeden Moment abzustürzen. Michael rannte sofort wieder ins Haus und nach oben, während Alex unten blieb und panisch beobachtetet, was Gerrit dort oben veranstaltete und Robert umgehend informierte.
Endlich hatte Michael die ausfahrbare Treppe nach oben gefunden und rannte sie hinauf. Als er auf dem Dach stand, näherte er sich vorsichtig Gerrit, um ihn nicht zu erschrecken. Aber bevor er ihn erreichte, hörte Gerrit offenbar ein Geräusch hinter sich und drehte sich ruckartig herum. Er erkannte ihn und breitete weiter seine Arme aus „Michael ist es nicht wunderschön hier. Es kommt mir vor, als könne ich fliegen. Meinst Du, ich kann das?“ Michael starrte ihn an. Seine Augen, normalerweise stahlblau leuchtend, waren fast schwarz. Seine Pupillen waren extrem erweitert und er schwitzte stark. Michael wusste sofort, dass man ihm irgendetwas verpasst hatte und er sich deshalb so komisch benahm. Er musste ihn unbedingt da von dem Dachrand wegbekommen.
Langsam ging er mit ausgestreckten Armen auf ihn einredend zu „Gerrit, Du kannst nicht fliegen, bitte, versuche es nicht. Komm, gib mir Deine Hand.“ Gerrit schüttelte den Kopf, stapfte wie ein verzogenes Kind auf und verschränkte seine Hände unter den Achseln „Nein Du bist gemein. Ich kann doch fliegen. Ich weiß es. Du willst nur alles kaputt machen.“ Michael blieb stehen und überlegte angestrengt, was er tun konnte, damit Gerrit keinen weiteren Schritt nach hinten machten, denn dann war er unweigerlich verloren. Nie im Leben würde er ihn vor dem Absturz erreichen können. Er musste Gerrit irgendwie dazu bringen, auf ihn zuzukommen oder wenigstens stehen zu bleiben, während er sich immer weiter langsam auf ihn zubewegte.
Plötzlich kam ihm eine Idee, was hatte Gerrit gesagt, dass müsste er doch irgendwie für sich ausnutzen können. „Gerrit, das ist nicht wahr, ich glaube schon, dass Du fliegen kannst, aber ich möchte gerne mitfliegen und da ich es nicht kann, brauche ich Deine Hilfe. Komm, sei nicht so gemein und nimm mich mit.“
Offenbar waren das nun die richtigen Worte, denn Gerrit lächelte glücklich und streckte seine Hände nach Michael aus. Hinter sich hörte er Robert ebenfalls auf das Dach kommen. Auch Gerrit hörte Robert und drehte sich zu ihm um, aber dadurch verlor er nun doch das Gleichgewicht und stürzte vom Dach.
26.
Michael sprang nach vorne auf ihn zu und griff kräftig zu. Im letzten Moment konnte er eine seiner Hände fassen und ließ sich auf das Dach fallen, um Gerrit abfangen zu können. Mit letzter Kraft konnte er den Griff beibehalten, als Gerrit mit einem Ruck an seiner Hand über den Abgrund hang. Er fing an, wie wild zu zappeln „Michael lass los, ich will endlich fliegen.“ Aber Michael griff umso stärker zu. Er spürte, wie Robert sich endlich neben ihm niederließ. Mit zusammengepressten Zähnen raunte er ihm zu „Robert komm hilf mit, ich kann ihn nicht mehr lange halten.“
Robert bekam erst einen Teil des Hemdes zu fassen und dann endlich das Handgelenk. Alle Bitten von Michael, die andere Hand noch nach oben zu strecken, ignorierte Gerrit gekonnt und zappelte weiter, um endlich loszukommen. Aber plötzlich wurde er ganz schlaff. Robert und Michael sahen sich an. Gerrit war bewusstlos. Mit Hilfe eines weiteren Kollegen schaffen sie es endlich, Gerrit wieder aufs Dach zu ziehen. Michael sorgte dafür, dass man ihn erst einmal vorsichtig in die Sicherheitslage legte und ging dann zum Rand. Er schrie nach unten „Alex, wir haben ihn oben, aber er ist zusammengebrochen, ruf einen Krankenwagen. Wir beginnen jetzt damit, ihn hier vom Dach zu bekommen.“
Wegen der Ausziehtreppe war es schwierig, ihn nach unten ins oberste Stockwerk zu bekommen, aber schließlich hatten sie es geschafft. Michael sah nach ihm. Gerrit war schneeweiß im Gesicht. Er machte sich große Sorgen um seine Gesundheit, denn niemand wusste, was auch immer man ihm da eingetrichtert hatte.
Gerade als sie ihn da hingelegt hatten, kam Alex zu ihnen. Im Schlepptau hatte sie den Professor, der sich Gerrit sofort ansah. „Ich glaube ich weiß, was man ihm gegeben hat, aber die Reaktion darauf, auch wenn es vielleicht eine zu hohe Dosis bekommen haben sollte, ist doch sehr ungewöhnlich, sieht eher aus, als habe er eine Mixtur erhalten.“ Michael berichtete ihm von den Schlaftabletten, die Gerrit jeden Abend nehmen musste und fragte ihn, ob es davon kommen konnte. Der Professor war außer sich. Er stellte Michael und Alex glaubhaft klar, dass er solche unprofessionellen Methoden weder beauftragt hatte, noch sie je in Auftrag geben würde.
Alex informierte Michael und Robert darüber, dass sie Gerrit noch nach draußen bringen mussten. Es würde ein Rettungshubschrauber kommen, der auf dem Rasen des Sanatoriums landen würde. Sie hatten ihn gerade draußen auf dem Rasen gebettet, als sie den Hubschrauber auch schon anfliegen hörten. Schnell kam der Notarzt auf sie zugerannt, stabilisierte Gerrit und flog dann mit ihm in Richtung Klinik
Michael musste trotz der doch ernsten Situation lächeln. Als Alex ihn fragend anschaute, erklärte er kopfschüttelnd „Gerrit hat oben behauptet, er könne fliegen. Ich habe das natürlich abgestritten. Und nun fliegt er doch. Der muss auch immer das letzte Wort haben“ Alex lächelte „Komm lass uns ins Krankenhaus fahren.“
Im Krankenhaus informierte man sie darüber, dass Gerrit aufgrund de Mixtur an Medikamenten in seinem Blut einen schweren Kreislaufkollaps erlitten hatte, nun aber keine Gefahr mehr bestand. Er sollte über Nacht im Krankenhaus kontrolliert seinen Rausch ausschlafen, dann könnten sie ihn am nächsten Morgen abholen. Deshalb fuhren sie ins Büro, um Ralf und Bruno zu verhören.
27.
Am nächsten Morgen betraten sie Gerrits Zimmer und fanden ihn ziemlich verkatert vor. Er hatte Kopfschmerzen und immer noch Temperatur, aber weil er in seiner bekannt nervigen Art quengelte, durfte er das Krankenhaus trotz des Fiebers verlassen, aber nur, weil Alex und Michael versprachen, dafür zu sorgen, dass er sich zu Haus hinlegte und ausruhte.
Alex und Michael fuhren ihn nach Hause. Da er ziemlich fertig und immer noch müde war, war er froh darüber und beschwerte sich zur Abwechslung mal nicht darüber. Unterwegs unterrichteten sie ihn darüber, dass Ralf und Bruno gestern Nacht nicht nur die 7 Einbrüche, sondern auch den Mord an Karl gestanden hatten. Karl hatte den beiden damit gedroht, seinen Eltern zu erzählen, was er da machen musste, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte. Das hatten sie nicht zulassen können und ihn deshalb ermordet. Gerrit dachte darüber nach, dass das, was die beiden den Patienten, was sie ihm angetan hatten, wohl kaum bei der Gerichtsverhandlung zur Sprache kommen würde, denn der Mord würde als höherwertiger angesehen werden. Er wusste nicht genau, ob er darüber froh oder verärgert sein sollte. Irgendwie empfand er es Karl gegenüber als nicht fair. Denn er war überzeugt davon, dass Karl von Bruno ständig unter Druck gehalten worden war.
Zuhause angekommen, brachten ihn die beiden noch nach oben und drängten ihn, sich hinzulegen. Es kam ihm wie ein Déjà-vu-Erlebnis vor und er sah die beiden mit Hundeaugenblick an „Bitte, Ihr nicht auch noch. Tut mir einen Gefallen und behandelt mich bitte nicht wie ein Kind, dass kann ich momentan gar nicht ertragen.“ Michael nickte „Gut, aber nur wenn Du Dich jetzt auch wie ein Erwachsener benimmst und tust was man Dir rät.“ und mit diesen Worten gingen die beiden. Gerrit legte sich hin und erholte sich recht schnell von den Geschehnissen.
Nach dem abschließenden Gespräch mit dem Polizeipsychologen und dessen Rat besuchte er auch auf persönlichen Wunsch von Professor Bienle noch einmal das Sanatorium. Eigentlich wollte er manche Dinge ja auf gar keinen Fall jemanden erzählen, aber nun erzählte er Professor Bienle doch seine Erlebnisse in diesem Gebäude in allen Einzelheiten. Er musste dazu manches Mal über seinen Schatten springen und der Professor, der dies ahnte, bedrängte ihn nicht, sondern ließ ihm die Zeit, die er brauchte. Er tat dies in der Hoffnung, den anderen Insassen, die wahrscheinlich keine Chance hatten, hier jemals herauszukommen, wenigstens etwas zu helfen, denn der Professor hatte ihm zuvor versprochen, einige Dinge ändern zu wollen. Anders, als erwartet, half ihm das Erzählen diesen Fall, der ihm einiges abverlangt hatte, loslassen zu können.
Unmittelbar nach seinem Besuch bei Professor Bienle fuhr Gerrit zum Labor, um dort Laura zu ihrem ersten Rendezvous abzuholen. Er hatte sie zu einem Nobelitaliener eingeladen und freute sich auf den Abend.
Der ganze Fall verschwand bald in den hintersten Regionen seines Gedächtnisses, nur eines wollte er nie wieder, in einem Irrenhaus ermitteln.
ENDE
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