Der Ausbruch

Es war Dienstag  Abend, 19.24 Uhr. Er sah sich um und versuchte, zu Atem zu kommen. Gefolgt war ihm niemand. Da war er sich sicher. Alles hatte wie am Schnürchen geklappt. Der geschmierte Wärter hatte zur richtigen Zeit weggeschaut und so konnte er mit dem nachgemachten Schlüssel nach draußen entkommen. Wegen der Überwachungskameras war er sicherheitshalber die ganze Strecke bis zum vereinbarten Treffpunkt zu Fuß gelaufen und nun wartete er ungeduldig auf Bernd. Er stand, vor neugierigen Blicken versteckt, in einem Hauseingang und hielt nervös nach Bernds Auto Ausschau.

Verdammt, wo blieb bloß Bernd. Man sollte meinen, er habe in den letzten Jahren im Gefängnis gelernt, geduldiger zu sein, aber seit der Plan zur Flucht immer reifer wurde, hielt er es vor Spannung fast nicht aus und konnte sich kaum noch beherrschen. Wenn Bernd erst mal da war, würde er die Kleinigkeit noch kurz erledigen, natürlich nicht, ohne vorher seinen Spaß zu haben und dann, wenn man hier davon ausging, dass er längst über alle Berge war, würden sie sich schön in Ruhe ins Ausland absetzen.

Ihm schwebte Brasilien vor, ja das könnte ihm schon gefallen. Nichts als Sonne, Strand und Meer. Und natürlich die Weiber, nicht zu vergessen. Geld hatte er genug während seiner kriminellen Vergangenheit gesammelt, daran sollte es nicht scheitern. Da - endlich sah er Bernds Wagen die Straße entlangfahren.

Er sprang mitten auf die Fahrbahn und Bernd kam mit quitschenden Reifen vor ihm zum Stehen. Schnell ging er zur Beifahrertür, riss sie auf und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Nach einer kurzen Begrüßungszeremonie kam er gleich zur Sache "Und alles eingestielt?" Bernd sah ihn an "Willst Du das wirklich durchziehen? Ich meine, warum das ganze Risiko, er ist immerhin ein Bulle und wir könnten uns doch einfach ganz in Ruhe ein paar Tage verstecken und uns dann von Deutschland verabschieden. Ich meine denk doch an die Aufruhr, die durch das Verschwinden eines Bullen ausgelöst wird." "Bernd, das ist immer noch meine Sache, also noch mal, habe ihr alles vorbereitet?" "Ja, Yvonne ist an ihn dran." "Na dann mal los, ich freu mich schon auf das Wiedersehen."

 

21.05 Uhr. Michael und Alex saßen noch im Büro und unterhielten sich über den vor ca. 1 1/2 Stunden durchgegebenen Ausbruch von Max Biedel. Sie waren froh, dass ihr Dienst gerade endete und eine andere Abteilung mit der Fahndung betraut worden war, als der Staatsanwalt noch einmal ins Büro kam und sofort hektisch loslegte "Guten Abend, wo ist Herr Grass?" Michael schaute Alex fragend an und antwortete "der hat vor ca. 2 Stunden schon Feierabend gemacht, wieso?" Auch Alex schaute nun fragend zum Staatsanwalt.

"Haben Sie es noch nicht gehört? Max Biedel ist vor ca. 1 1/2 Stunden aus dem Gefängnis ausgebrochen." "Doch, natürlich haben wir davon gehört, was hat das mit Ihrer Frage nach Gerrit zu tun?" hakte Alex nach. "Herr Grass hat in einer Undercover-Aktion für seine Verhaftung und letztendlich durch seine Aussage auch dafür gesorgt, dass Herr Biedel lebenslang erhalten hat. Herr Biedel hat Herrn Grass nach der Verhandlung damit gedroht, an ihn, sollte er jemals aus dem Gefängnis rauskommen, grausame Rache zu nehmen. Deswegen ist es wichtig, dass er schnellstmöglich unter Polizeischutz gestellt wird, also solange dieser Biedel frei herumläuft."

Michael glaubte, nicht richtig gehört zu haben. "Und warum erfahren wir das erst jetzt? Wenn wir das sofort erfahren hätten, hätten wir ihn sofort informiert." Der Staatsanwalt zuckte mit den Schultern "Ich habe gerade erst die Akte erhalten und von dieser Drohung gelesen."

Michael hatte in der Zwischenzeit schon seinen Telefonhörer aufgenommen und versuchte, Gerrit auf dem Handy zu erreichen. Aber vergeblich, er hörte lediglich Gerrits Mail-Box. Wütend Schmiss er den Hörer auf die Gabel "So ein Mist! Gerrit wollte sich mit jemanden in einer Kneipe treffen, vermutlich hört er das Handy nicht." "Hat er Dir gesagt, in welcher Kneipe?" frage Alex. "Nein, aber komm, wir suchen die üblichen Kneipen auf, in denen er sich normalerweise aufhält und suchen ihn." und schon war Michael dabei, das Büro zu verlassen, so dass Alex sich beeilen musste, um hinterher zu kommen. Der Staatsanwalt sah ihnen nach und rief noch hinterher "ich werde die Handyortung veranlassen. Sie hören von mir", dann waren die beiden auch schon außer Hörweite.

 

Zur gleichen Zeit amüsierte sich Gerrit prächtig. Er schaute sich ein wenig in der Kneipe, in der sie waren, um. Er war das erste Mal hier. Die Kneipe war im Westerstil eingerichtet. Über den Barhockern waren Fellimitationen gespannt und an den Wänden hingen alte Kutschenräder und sonstige Dinge, die man von einem Western her kannte. Ansonsten war die Kneipe mit Holztischen und Stühlen ausgestattet.

Mit seiner Begleitung saß er an einem der Tische. Gott sei Dank war einer der Ecktische frei gewesen, als sie ankamen. Um sich näher kennen zu lernen, war es immer besser, etwas abseits zu sitzen und nicht gerade mitten im Getümmel.

Vorgestern erst hatte er seine Begleitung kennen gelernt. Sie war ihm über den Weg gelaufen, als er ins Büro eilte. Besser gesagt, war sie ihm direkt in die Arme gefallen bzw. hätte ihn fast umgerannt, weil sie telefonierend durch die Gegend rannte, ohne auf die anderen Fußgänger zu achten. Sie hatte aufgehört zu telefonieren und sich bei Gerrit für ihre Unachtsamkeit entschuldigt und so war man ins Gespräch gekommen. Gerrit hatte ihr am Ende ihres kurzen Gesprächs seine Visitenkarte gegeben. Zu seinem Glück hatte sie ihn gestern angerufen und nun saßen sie hier in dieser Kneipe und sprachen von allem Möglichen.

Er hatte sein Telefon schon gehört, aber als er sah, dass Michael am anderen Ende war, hatte er nicht abgenommen. Vermutlich wollte er sich mit ihm noch auf ein Bier verabreden, denn Abrufdienst hatte er heute nicht, dienstlich konnte es also nicht sein. Da er aber nicht wollte, dass Michael sich zu seinem Date zugesellte, nahm er nicht ab. Er wollte gerade Yvonne, so hieß seine Begleitung, fragen, was sie beruflich macht, als erneut sein Handy läutete.

Er verdrehte die Augen und schaut auf sein Display. Diesmal war es Alex. Es ärgerte ihn, dass Michael nun offenbar Alex vorschob und beschloss, auch diesmal nicht dranzugehen. Sollte sie doch auf seine Mail-Box sprechen, er würde den Text später abhören. So steckte er das Handy wieder ein und wandte sich erneut seiner Begleitung zu.

 

"Gerrit, wenn Du Deine Mail-Box abhörst, ruf mich oder Michael bitte dringend sofort an! Max Biedel ist aus dem Gefängnis ausgebrochen. Ich nehme an, dass Dir der Name noch etwas sagt. Ruf uns also bitte sofort an und mach nichts, bevor wir nicht bei Dir sind. Hörst Du." Alex legte auf und wandte sich an Michael "Ich verstehe nicht, warum Gerrit nicht an sein Handy geht. Hoffentlich ist da nichts passiert."

Michael wiegelte ab. "Nun mal Dir mal nicht das Schlimmste aus. Gerrit hat gerade ein Date und hört wahrscheinlich wirklich nur das Handy nicht. Wir versuchen es von Zeit zu Zeit einfach weiter. Irgendwann wird er es schon hören" Alex sah ihn skeptisch an, sagte aber nichts dazu.

Nach und nach fuhren sie die einzelne Kneipen an, in denen Gerrit sich schon mal aufhielt und gegen 11.00 Uhr fiel ihnen keine weitere Kneipe mehr ein, so dass sie zu Gerrit nach Hause fuhren, hoffend, dass er dort bereits eingetroffen war. Als sie ankamen, sahen sie, dass jemand zu Hause war, weil Licht im Wohnzimmer brannte. Unten vor der Türe stand ein Zivil-Fahrzeug der Polizei. Der Staatsanwalt hatte also schon reagiert und eine Wache abgestellt. Michael klopfte ans Fenster und die Kollegen machten die Scheibe runter "Hey Michael, wie geht's." "Geht so, sagt mal ist Gerrit schon zu Hause angekommen." "Wir sind erst seit ungefähr einer halben Stunden hier, in der Zeit haben wir ihn nicht gesehen. Gem Anweisung sollen wir uns hier ganz unauffällig verhalten, falls dieser Biedel hier vorbeikommen sollte" "OK, wir gehen dann mal hoch und schauen nach."

Alex war schon an der Türe, als Michael nachkam und schellte. Im Türrahmen empfing sie Kathrin "Hallo Kathrin, ist Gerrit da?" fragte Alex noch bevor sie ganz bei Kathrin angekommen war. Kathrin schaute sie verwirrt an. "Nee, der ist noch nicht da, ist was passiert?" Michael antwortete statt Alex "Nein, nein, es ist nichts passiert, aber wir müssen ihn dringend sprechen. Wir haben schon in sämtlichen Kneipen, in denen er sich normalerweise schon mal aufhält, nach ihm gesucht. Sag mal, kennt Du vielleicht noch eine?" Kathrin schüttelte den Kopf. "Nein, aber vielleicht Falk, er ist da, ich geh ihn mal holen."

Keine 2 Minuten später kam sie mit Falk zurück, aber der wusste außer den Kneipen, die Michael und Alex bereits aufgesucht hatten, auch keine mehr. "Na gut, dann gehen wir mal wieder und schauen noch in denen, die wir bisher nicht angefahren haben." sagte Michael. Kathrin hielt Alex an Arm fest "Hat es etwas mit dem Ausbruch zu tun?" fragte sie ängstlich. Den ganzen Abend über war im Radio über den Ausbruch berichtet worden und auf die Gefährlichkeit des Ausbrechers hingewiesen worden.

Alex wollte nicht, dass Kathrin sich unnötige Sorgen machte und sagte deshalb lediglich beim Hinausgehen "ja, wir brauchen ihn als Verstärkung, deshalb suchen wir ihn." Kathrin sah den beiden nach und das ungute Gefühl, dass sie beschlichen hatte, seit sie die erste Durchsage gehört hatte, wollte nicht verschwinden.

 

Als sie wieder am Fahrzeug ankamen, klingelte Michaels Handy. Es war der Staatsanwalt. Als Michael das Gespräch beendet hatte, stiegen sie in ihr Fahrzeug und Michael legte sogleich den Gang ein und fuhr los. "Der Staatsanwalt hat durchgegeben, dass die Handyortung ergeben hat, dass es sich in der Goethestraße befindet, ungefähr in Höhe der Goethestraße 10 bis 20. Also sehen wir als nächstes da mal nach."

Keine 15 Minuten später waren Michael und Alex vor Ort und sahen schon im Anfahren, dass Gerrits Auto am Straßenrand geparkt war. Erleichtert, ihn endlich gefunden zu haben, parkten sie ebenfalls und steuerten auch gleich auf die Westernkneipe, die sich unter dieser Anschrift befand, zu. Beide sahen sich um und Michael erkannte gleich Gerrits Jacke über einem Stuhl in der hintersten Ecke. Er steuerte direkt darauf zu und sah, dass zwei angetrunkene Gläser auf dem Tisch standen. "Alex sieh mal, Gerrit muss hier noch irgendwo sein. Seine Jacke hängt hier und die Gläser sind auch noch nicht ganz ausgetrunken. Ich geh mal auf Toilette nachsehen" Alex sah sich ein wenig im Lokal um, konnte Gerrit aber nirgendwo entdecken. Sie versuchte erneut Gerrit über Handy zu erreichen, aber sie hörte sofort beim ersten Klingeln, dass Gerit sein Handy momentan gar nicht bei sich hatte, denn der Ton kam eindeutig aus Gerrits Jacke, so dass sie wieder auflegte. Sie sah sich den Tisch noch einmal an. Gerrits Jacke und Handy waren hier, aber von seiner Begleitung war nicht ein Stück an diesem Tisch. Weder eine Jacke, noch eine Tasche oder sonst irgendetwas, nur ihr Glas.

Als die Kellnerin vorbei kam, fragte Alex sie nach den Gästen dieses Tisches und die Kellnerin antwortete, dass sie sie mindestens seit 20 Minuten schon nicht gesehen habe, der Deckel aber auch noch nicht bezahlt sei. Sie konnte Alex wenigstens schon einmal eine ungefähre Beschreibung der Frau, die hier mit Gerrit gesessen hatte, geben.

Michael kam zurück "Keine Spur von Gerrit. Da hinten ist ein Hinterausgang. Da habe ich mich auch umgesehen, aber keine Spur von den beiden. Hast Du was?" Alex sah ihn besorgt hat "Michael hier stimmt was nicht. Wir sollten die Kollegen von der Spurensicherung kommen lassen. Die Kellnerin sagt, dass sie die beiden seit mindestens 20 Minuten nicht mehr gesehen hat. Außerdem habe ich festgestellt, dass Gerrit sein Handy in der Jackentasche hat. Er würde niemals ohne seine Jacke und sein Handy gehen" "Verdammter Mist. Ok, ich ruf die Spurensicherung an. Fang Du schon einmal mit der Befragung der Gäste an."

 

Max Biedel und Bernd Wagner hatten das Westernlokal eine halbe Stunde vor dem Eintreffen von Michael und Alex erreicht und warteten am Hinterausgang. Bernd ging rein und sah Yvonne sofort an einem Tisch in der Ecke sitzen. Wie es aussah, schien sie sich tatsächlich zu amüsieren. Gut, dass Max das Ganze nicht sehen konnte, er würde wieder sofort ausgeflippt.

Yvonne war die Freundin von Max und der glaubte tatsächlich immer noch, dass Yvonne sich während der Jahre, in denen er bereits im Gefängnis war, allein für ihn aufbewahrt hatte. Nee, das wäre aber auch eine reine Verschwendung gewesen. Aber besser, Max erfuhr nichts von Yvonnes verschiedenen Liebhabern, wer weiß, was der mit ihr anstellen würde, denn Max konnte schnell ausrasten und Yvonne hatte ihn bislang immer noch um den Finger wickeln können.

Auch Bernd mochte Yvonne, und deshalb würde er alles tun, damit Max hinsichtlich ihrer Liebeleien unwissend blieb, obwohl es ihm jedes Mal einen Stich ins Herz versetzte, Yvonne mit anderen Männern zu sehen. Ja, er war in Yvonne verliebt, schon seit er sie kennengelernt hatte. Aber davon hatte er ihr bis heute nichts gesagt. Er wußte, dass er nicht ihr Typ war und deshalb wollte er das Risiko nicht eingehen, dass sie sich ganz von ihm abwandte, außerdem hatte er gegen Max eh keine Chance. Und so war Yvonne die ganze Zeit wenigstens noch wegen Max mit ihm in Kotankt geblieben. Sie jetzt hier mit diesem Bullen zu sehen, versetzte ihn erneut einen Stich und er merkte, wie er innerlich zu kochen begann. Er versuchte sich selbst zu beruhigen, denn schließlich wollte er hier nicht unangenehm auffallen.

Bernd wartete ein paar Minuten ab, bis Yvonne ihn sah und machte ihr ein Zeichen. Schnell verschwand er durch die Hintertür wieder nach draußen und sah, dass Max hin und her tigerte, um seine Nervosität zu unterdrücken. "Und kommt Sie endlich?" Bernd hob zuckend seine Schultern "Ich habe ihr jedenfalls das Zeichen gemacht. Dauert bestimmt nicht mehr lange. Ich denke ja immer noch, wir sollten einfach abhauen, sobald sie kommt und zwar ohne den Typen da drin. Das verschärft die ganze Sache doch bloß." "Hör zu, was ich mache oder nicht, ist immer noch meine Sache und jetzt stell Dich an die andere Hauswand, wir wollen unseren Gast doch gebührend empfangen."

 

Gerrit war kurz auf die Toilette gegangen und als er wieder raus kam, stand Yvonne so unerwartet vor ihm, dass er sich erschrak. "Ich habe schon auf Dich gewartet" flirtete sie und zog ihn in hinter sich her in Richtung Hinterausgang. "Warte, lass uns eben bezahlen und die Sachen holen" versuchte Gerrit sie zu stoppen. Aber mit den Worten "Ach was, das hat Zeit, wir kommen gleich wieder" zog Yvonne ihn weiter nach draußen. 'Die geht ja ganz schön ran für den ersten Abend' dachte Gerrit, aber er hatte schon 4 Bier getrunken und machte sich keine weiteren Gedanken darüber, sondern wollte es einfach fließen lassen. Was konnte schon passieren.

Yvonne ging vor und als Gerrit hinter ihr her nach draußen kam, wurde die Hintertür hinter ihm kräftig zugeschlagen. Er zuckte zurück und bemerkte da erst, dass zwei Männer an der Türe standen. Einen davon erkannte er sofort "Ach nee, Max Biedel, wie hast Du denn das geschafft, bei Lebenslang jetzt schon raus zu sein?" enttäuscht schaute er bei diesen Worten Yvonne an, denn er wusste sofort, dass sie ihn in diese Falle gelockt hatte.

Aber Yvonne sah beschämt weg, so dass er sich wieder Max zuwandte und sich innerlich begann auf die Auseinandersetzung mit ihm vorzubereiten. "Tze Tze, wie naiv. Ich bin natürlich geflohen und jetzt rechnen wir beide schön ab, aber nicht hier, sondern in trauter Zweisamkeit." Mit einer Waffe in der Hand wedelnd deutete Max Biedel Gerrit an, dass er in das Auto hinter ihm steigen sollte.

Gerrit hatte sich während dessen darauf eingestellt, pfeilschnell auf Max zuzuspringen, um ihn abzulenken und so vielleicht wieder ins Lokal zu kommen. Er wollte dies gerade in die Tat umsetzen, als er plötzlich einen Stich im Oberschenkel spürte. Verwundert sag er an sich runter und bemerkte nun die Spritze, die in seinem Oberschenkel steckte. Er wollte sie schnell rausziehen, aber irgendwie schaffte er es nicht mehr, seine Hand dazu zu bekommen, sich an die richtige Stelle zu bewegen. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen und nur nebenbei registrierte er, dass er auf den Rücksitz des Autos geschoben wurde, dann verlor er das Bewusstsein.

 

Michael und Alex waren seit 2 Stunden dabei, die Gäste des Westernlokals und die Angestellten zu verhören. Viel war dabei nicht rumgekommen. An Gerrit konnten sich viele erinnern, aber niemand hatte gesehen, wohin er verschwunden war. Von seiner Begleitung konnte wenigstens durch die vielen Beschreibungen ein Phantombild erstellt werden. Ob die allerdings etwas mit dem Verschwinden von Gerrit zu tun hatte oder nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, waren sich Alex und Michael noch nicht ganz einig.

"Alex überleg doch mal, der Kerl ist erst vor ein paar Stunden aus dem Gefängnis ausgebrochen, woher hätte er denn wissen sollen, wo sich Gerrit aufhält. Nicht einmal wir wussten, wo er ist. Ich sage Dir, diese Frau steckt 100 %-ig dahinter." "Und was, wenn Gerrit die ganze Zeit beobachtet worden ist? Dann kann es durchaus sein, dass sie nur durch Zufall in die Sache hineingeraten ist." Michael sah Alex deprimiert an "Jedenfalls kommen wir so nicht weiter. Komm lass uns ins Büro fahren."

Als sie im Büro ankamen, saß der Staatsanwalt immer noch auf Michaels Stuhl und telefoniert. Michael und Alex warteten das Gespräch ab. "Und schon was neues, was die Suche nach diesem Max Biedel angeht?" fragte Alex. "Nein leider nicht, der ist natürlich wie vom Erdboden verschwunden."

Michael schüttelte verärgert den Kopf und haute mit der Faust auf den Tisch "Wie um Himmels Willen konnte der überhaupt entkommen und warum wurden wir nicht sofort über die Situation informiert. Da muss doch ein Hinweis in der Akte gestanden haben." "Nun fest steht, dass er nicht nur im Gefängnis Hilfe beim Entkommen hatte, sondern offenbar auch bei seiner Flucht selbst, sonst hätte der nie so spurlos verschwinden können. Irgendeiner hätte ihn gesehen. Wie dem auch sei, die Kollegen sind daran und jetzt, wo Herr Grass verschwunden ist, mit noch mehr Druck, dafür habe ich bereits gesorgt. Das heißt wir können nur abwarten."

Alex schaute auf ihren Tisch nach. "Hier ist die Akte von damals. Vielleicht finden wir irgendeinen Hinweis, wo sich dieser Bieder vielleicht aufhalten könnte, oder wer ihm geholfen hat."

 

Während Alex und Michael sich die ganze Nacht um die Ohren schlugen, um überhaupt irgendeinen Hinweis zu bekommen, wachte Gerrit im Morgengrauen langsam auf. In seinem Schädel summte es wie in einem Bienenstock. Vorsichtig hob er seine Augenlieder und versuchte, sich erst einmal zu orientieren. Schnell schloss er wieder seine Augen, denn wie ein Blitz schoss ein stechender Schmerz durch seinen Kopf.

Irgendwie konnte er sich nicht richtig bewegen und das Erste, was er, als er erneut die Augen aufschlug, sah, war ein nahzu leeres Zimmer. Alles hier sah aus wie in einer Holzhütte. Langsam kam auch seine Erinnerung an den gestrigen Abend zurück und er merkte, warum er sich nicht richtig bewegen konnte. Er war an einem stabilen Rohr, welches zu einem Kamin gehörte, gefesselt. Da das Rohr durch eine Querverstrebung an die Wand festgehalten wurde, hingen Gerrits Hände etwas einen halben Meter über den Boden auf der Querverstrebung, so dass man ihn sitzend hier platziert hatte.

Die Fesseln waren so fest gebunden, dass sich in seinen Händen bereits ein Kribbeln ausbreitete. Ein Zeichen dafür, dass diese langsam aber sicher einzuschliefen. Er bewegte vorsichtig seine Finger, um wieder das Blut darin fließen zu lassen. Als er dies ein paar mal gemacht hatte, ruckte er an den Fesseln, aber dadurch wurden diese nicht wirklich lockerer, im Gegenteil, sie schienen sich nur tiefer in seine Haut einzureißen.

Frustriert sah er sich erst einmal weiter um. Die Hütte bestand offenbar aus zwei Räumen. Links von ihm die TÜre sah aus, wie die Eingangstüre. Sie schienen mitten im Wald zu sein, denn er konnte im Fenster neben der Eingangstüre außer Bäumen nichts anderes sehen und außer Vögelgezwitscher war kein weiterer Ton zu hören.

Rechts von ihm befand sich eine weitere Tür, die man offengelassen hatte. Er konnte erkenne, dass diese in einen zweiten Raum führte. Matratzen lagen auf den Boden und er konnte mindestens vier Füße erkennen die sich in sein Blickfeld schoben. Aber das war es auch schon, seine Bewegungsfreiheit reichte nicht aus, um sich weiter in dem anderen Zimmer umzusehen, so dass er erst mal davon ausging, dass im Nachbarraum nur zwei Personen waren. Wer das war, konnte er sich lebhaft vorstellen, denn wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich um ein paar Frauen- und ein paar Männerfüße. Die beiden schienen noch zu schlafen, denn es regte sich im anderen Zimmer bislang nichts und von ihm aus, konnte das auch erst mal so bleiben.

Er selbst saß auf dem nackten Boden und, da es immer noch Winter war, kroch langsam aber sicher eine unangenehme Kälte in ihm hoch und er begann zu zittern. Bei dem Gedanken daran, was dieser Biedel wohl mit ihm vorhatte und dass das sicher nichts war, das ihn erfreuen würde, fror er noch mehr. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er nicht an sein Handy gegangen war und warum hatte er es bloß in seine Jackentasche gesteckt und nicht in seine Hosentasche, wie er es sonst in Gaststätten machte?

Niedergeschlagen schüttelte er über sich selbst den Kopf. Wie sollten seine Kollegen ihn hier überhaupt finden, wenn die nicht sowieso erst heute Nachmittag feststellten, dass er verschwunden war, da er heute ja zur Nachtschicht eingeteilt war. Wer weiß, wann die überhaupt anfangen würden, nach ihm zu suchen.

 

Während Alex sich daran begab, die Akten durchzulesen, war Michael noch in der Nacht zum Gefängnis gefahren und hatte erst dort erfahren, dass Max Biedel erst einen Tag vor seinem Ausbruch hierher nach München gebracht worden war. Eigentlich saß er in Nürnberg ein, aber er hatte angeblich etwas auszusagen und die Bedingung war, dass er das hier in München tun wollte. Staatsanwalt Groß, dessen Name Michael noch nicht allzu viel sagte, weil er noch ziemlich neu war, hatten die Informationen, die Biedel vorab erteilt hatte, wohl ausgereicht, um ihn zur Aussage hier nach München zu überführen.

Nun, jetzt wussten sie auch warum. Hier waren die Bedingungen viel besser um auszubrechen, als in Nürnberg, dies war schließlich nur ein Untersuchungsgefängnis, wo die Überwachungen nicht ganz so genau genommen wurden und hier in München konnte er das Ganze dann ja auch gleich mit seiner Rache in Verbindung bringen. Michael informierte Alex kurz und beschloss direkt im Anschluss nach Nürnberg zu fahren, um dort weiter zu recherchieren. Sie brauchten unbedingt alle Informationen, die sie bekommen konnten und er wollte dafür sorgen, dass sie die auch aus erster Hand erhielten.

Nach knapp 2 Stunden kam er dort an. Es war erst 5.00 Uhr morgens und so ließ er kurzerhand den Gefängnisdirektor wecken, um schnellstmöglich an die notwendigen Informationen zu kommen. Als dieser gegen 05.30 Uhr endlich eintraf, war der Gefängnisdirektor stinksauer und fuhr Michael sofort an "Was erlauben Sie sich eigentlich!" aber Michael nahm ihm sofort den Wind aus den Segeln "Jetzt hören Sie mir mal zu, ich bin davon überhaupt, dass mein Kollege von diesem Biedel gefangen gehalten wird, wenn er ihn nicht schon kalt gemacht hat. Er hat ihm schließlich mit Rache gedroht und da zählt jetzt Minut. Also wie sieht´s aus, können wir jetzt die Unterlagen durchgehen oder nicht?"

Der Gefängnisdirektor entschuldigte sich bei Michael damit, dass er von der ganzen Situation nichts gewusst habe und ging sofort mit ihm in sein Büro. Dort suchte er selbst, da seine Sekretärin noch nicht anwesend war, die Akte Biedel raus und Michael sah sie durch. In den Unterlagen befand sich eine Aufstellung über Besuche und Telefonate, die Biedel in diese Anstalt geführt hatte. Michael sah sie sich an. Zwei Personen waren auffallend häufig zu Besuch, eine Yvonne Klett und ein Thilo Maas. Yvonne? Hatte nicht einer der Gäste im Lokal gesagt, sich erinnern zu können, dass Gerrit die Frau mit Yvonne angeredet hatte.

"Sagen Sie, gibt es auch bildliche Aufzeichnungen der Besuche, sei es Videos oder Fotos? Hier war mehrfach eine Frau Yvonne Klett bei Bieder. Es kann sein, dass sie in der Entführung meines Kollegen verwickelt ist." Der Gefängnisdirektor überlegte einige Minuten "Hm, wir zeichnen die Besuche zwar auf, überspielen sie aber wieder, wenn darauf nichts ungewöhnliches zu entdecken ist. Damit kommen wir also nicht weiter. Aber wir machen von den Personalausweisen der Besucher Kopien, da ist ja auch ein Bild drauf. Ich lasse sofort die Kopie des Passes dieser Yvonne Klett heraussuchen." "Danke, und wenn sie schon dabei sind, lassen Sie bitte auch den Pass von einem gewissen Thilo Maas raussuchen."

Keine 5 Minuten später hatte Michael von beiden Ausweisen Kopien in Händen. Aufgrund der Zeugenaussagen zu dieser Yvonne gab es für ihn gar keinen Zweifel daran, dass es sich bei Gerrits Begleitung um Yvonne Klett gehandelt hatte. Also hatte ihn sein Gefühl doch nicht betrogen.

Auf den Rückweg informierte er Alex kurz telefonisch, die sich sofort schon einmal daran setzte, mehr zu Yvonne Klett und Thilo Maas herauszufinden.

 

Gerrit versuchte weiter, die Fesseln etwas zu lockern, nicht nur, um wieder mehr Blut in seine Finger zu bekommen, sondern auch, um die Fesseln ggf. ganz loszuwerden, aber er war mit einer Nylonschnur gefesselt und die wurde nicht einen Tick weit lockerer. Er sah sich um, um etwas Brauchbares zu finden, was ihm weiterhelfen könnte, aber weit und breit war nichts zu sehen, was auf Anhieb geeignet schien. Plötzlich sah er, dass abseits von ihm ein kleiner Stein lag. Nun ein Stein machte im ersten Augenblick nicht so viel her, aber er war wenigstens etwas spitz, vielleicht konnte man damit das Seil durchscheuern.

Da nichts anderes in seiner Nähe lag, versuchte er, den Stein mit den Fuß weiter zu sich hinzuziehen. Er versuchte dies so sacht wie möglich zu machen, um die Personen im Nachbarzimmer nicht aufzuwecken. Als er den Stein endlich zu sich herangezogen hatte, versuchte er, mit dem Mund an den Stein zu kommen, damit er ihn so in seine Hände legen konnte. Endlich nach zwei vergeblichen Versuchen und weiteren Anstrengungen, den Stein noch weiter zu ihm zuziehen, gelang es ihm, den Stein mit dem Mund aufzunehmen und in seine Hände zu legen. Aber leider waren seine Hände schon soweit eingeschlafen, dass sie den Stein nicht wirklich festhalten konnten und der Stein fiel mit einem "Plock" auf den Boden.

"Was tust Du da!" hörte er die schneidende Stimme von Biedel und mit einem Ruck sah er hinter sich zur Tür zum zweiten Zimmer. Verdammt, wegen seiner konzentrierten Anstrengungen war ihm entgangen, dass die Personen im Nachbarzimmer wach geworden waren.

Biedel kam drohend auf Gerrit zu, der versuchte, den Stein, der wieder auf der Erde lag, mit seinem Körper abzudecken, damit Biedel ihn nicht entdeckte, vielleicht hatte er ihn ja gar nicht gesehen. Aber die Hoffnung konnte Gerrit schnell vergessen, denn Biedel zog ihn unsanft zur Seite, klaubte den Stein auf und schmieß ihn in die am weitest entfernte Zimmerecke. Anschließend schlug er Gerrit hart ins Gesicht, so dass Gerrit sofort das Blut schmeckte, dass aus einem Mundwinkel floss.

Biedel schrie ihn an "Du glaubst wohl, Du kannst hier entkommen was? Aber wir werden hier noch ordentlich viel Spaß haben, wir beide. Oder besser mal ausgedrückt zumindest ich werde meinen Spaß dabei haben. Davon kannste mal ausgehen." Er erhob sich wieder und trat Gerrit so heftig in die Seite seines Oberkörpers, dass der sich vor Schmerzen krümmte. Nur mühsam schaffte er es, einen Schmerzenslaut zu unterdrücken.

Nachdem er zwei bis dreimal durchgeatmet hatte und der Schmerz etwas nachließ, schaute er Biedel an und wartete, was da noch kommen würde. Aber der sah nur mit einem gehässigen Blick zurück und verschwand durch die Eingangstüre. 'Was hat er jetzt bloß vor?' überlegte Gerrit und hoffte, dass er so schnell nicht wiederkommen würde.

 

Als Michael wieder ins Büro kam, saß Alex über ihren Bildschirm und versuchte weiter, Informationen zu sammeln. "Und hast Du was?" fragte er sofort nach. "Zu dieser Yvonne habe ich außer der Anschrift und der Telefon- und Handynummer nichts Nennbares herausgefunden. Natürlich ist sie nicht zu Hause und ihr Handy ist ausgeschaltet. Dieser Thilo Maas führt eine kleine Gaststättenkette hier in München. Ich habe geraden den Staatsanwalt gebeten, entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse für die Privatwohnungen zu besorgen. Er ist daran."

Michael stand hinter seinem Bürostuhl und hatte seine Arme auf seine Bürostuhllehne gestützt. "Die Kollegen sind auch noch nicht viel weiter, die Ringfahndung läuft. Aber wenn ich richtig liege, hat der sich irgendwo versteckt und wartet dort nun auf eine Lockerung der Fahndung. Die Kollegen haben zugesagt, dass, wenn es dort etwas Neues gibt, wir natürlich sofort Nachricht erhalten."

Alex nickte. "Ich habe noch was. Aus der damaligen Akte ist zu entnehmen, dass Max Bieder einen Freund hatte, dem man zwar nichts nachweisen konnte, von dem aber gemunkelt wird, dass er stets in allen Machenschaften eingeweiht war. Er soll sozusagen der Budenfreund von unserem Ausbrecher sein." "Und wer ist das?" "Ein gewisser Bernd Wagner. Auch dessen Anschrift wurde bereits überprüft. Ist natürlich auch nicht da. Ebenso ist sein Handy ausgeschaltet. Max überprüft mal die drei Namen auf Immobilien etc."

Alex und Michael besprachen kurz, wie sie weiter vorgehen wollten und beschlossen, zusätzliche Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnung von Bernd Wagner anzufordern. Als diese eintrafen, forderten sie sofort Verstärkung an und machten sich auf den Weg zu den Wohnungen. Michael wollte sich die von Bernd Wagner und Alex die von Yvonne Klett vornehmen. Zur Wohnung von Thilo Maas schickten sie Max, um notfalls sofort über Neuigkeiten informiert zu sein.

 

Biedel kam trotz Gerrits Wünschen bereits kurze Zeit später zurück in die Hütte. In der Hand hielt er einen dicken stabil aussehenden Ast. "So dann werden wir erst mal zusehen, dass Du selbst dann, wenn es Dir gelingen sollte, hier abzuhauen, nur humpelnd vorankommst." Unbehaglich beobachtete Gerrit, das Biedel bei diesen Worten direkt auf ihn zukam und den Knüppel ohne weitere Umschweife direkt auf sein rechtes Bein sausen ließ. Mit einem lauten Knackgeräusch brach sein rechtes Schienbein. Gerrit schrie gepeinigt auf. Kaum auszuhaltende Schmerzwellen durchdrangen seinen Körper und während er versuchte, wieder Herr seiner Sinne zu werden sah er am Rande, dass Yvonne im Türrahmen erschienen war, auf Biedel zurannte und gerade noch verhindern konnte, dass Biedel noch einmal mit dem Knüppel zuschlug.

Yvonne schrie Biedel an "Sag mal bist Du bescheuert? Was soll das, ich dachte, wir brauchen den als Geisel?" Biedel drehte sich zu ihr "Als Geisel? Du glaubst auch alles, was? Wir brauche keine Geisel. Ich will meinen Spaß mit ihm haben und meine verdiente Rache. Und das war erst der Anfang!" dann holte er ein Päckchen Zigaretten aus seiner Hosentasche und ging ins Nachbarzimmer, in dem sich ein Fernseher befinden musste. Denn plötzlich klangen vertraute Stimmen einer Morningshow zu Gerrit rüber.

Yvonne sah Biedel ungläubig nach und beugte sich dann zu Gerrit runter "Ich sehe mal nach, ob wir was zum Schienen haben, ich glaube das Bein ist gebrochen." Gerrit nickte nur, denn sagen konnte er vor lauter Schmerzen immer noch nichts. Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass sie ihn ja nicht anfassen solle, immerhin hatte sie ihm diesen Schlamassel ja eingebrockt, aber er wusste auch, dass er unbedingt einen Verbündeten gegen Biedel brauchte und vielleicht konnte er ja Yvonne dazu bringen, ihm zu helfen und so sagte er lieber mal nichts, was er später bereuen könnte.

Yvonne kam kurze Zeit später mit einigen draußen gesuchten Ästen wieder. Nachdem sie im Nachbarraum noch etwas von der Nylonschnur, mit der Gerrit gefesselt war, gefunden hatte, legte sie vorsichtig die Äste um Gerrits Bein und zog diese dann mittels der Schnur an Gerrits Bein fest. Bei jedem Ziehen stöhnte Gerrit auf, stets bemüht, ein Schreien zu unterbinden, denn die Genugtuung wollte er Biedel nicht geben.

Als Yvonne mit dem Verschnüren und festzurren fertig war, stellte Gerrit fest, dass, solange er das Bein nicht bewegte, tatsächlich der Schmerz etwas nachließ. Er sah sie an und bedankte sich bei ihr. Sie wollte noch etwas sagen, aber Biedel rief sie aus dem Nachbarzimmer zu sich, so dass sie es sich anders überlegte und nach nebenan ging.

Gerrit versuchte, es sich so bequem wie möglich zu machen und etwas zu dösen, aber die Schmerzen im Bein waren einfach zu groß, als dass er zur Ruhe kam. Hinzu kam, dass er nicht wusste, wann Biedel sich das nächste Mal "mit ihm beschäftigen würde", was ihn zusätzlich frustrierte und ihn nahzu ständig beschäftigte.

 

Michael war mit einigen Kollegen der Spurensicherung in der Wohnung von Bernd Wagner angekommen und stellte zunächst fest, dass dieser nicht zu Hause war. Er half daher den Kollegen bei der Durchsuchung der Wohnung. Das alles ging ihm nicht schnell genug, so dass er die Kollegen ständig anfeuerte schneller zu arbeiten. Die genervten Kommentare der Kollegen störten ihn dabei nicht.

Eine Stunde nachdem sie in der Wohnung angekommen waren, erhielt Michael einen Anruf von Max, der ihn darüber informierte, dass man Thilo Maas entgegen aller Vermutungen in seiner Wohnung angetroffen habe und er unterwegs zum Präsidium sei, um dort verhört zu werden. "Und warum sagt Du mir das erst jetzt?" raunzte Michael Max an, aber der konterte "Ihr beiden, Du und Alex habt Euch sofort die bereit stehenden zwei Teams der Spurensicherung für die Wohnungen Wagner und Klett geschnappt. Ich musste erst einmal ein Team zusammenstellen und Leute, die heute frei hatten, antanzen lassen. Das dauert halt. Wir sind daher erst eine Stunde nach Euch losgefahren. Was ist jetzt, soll ich auch ins Präsidium kommen?" "Nee, bleibt Du mal da und berichte weiter, falls was relevantes gefunden wird. Ich mach mich auf den Weg dahin. Und Max, nichts für ungut." "Schon gut" antwortete Max und legte auf. Auch er machte sich so seine Gedanken über Gerrits verbleib.

Alex war gerade zusammen mit den Kollegen dabei, die Wohnung der ebenfalls nicht anwesenden Yvonne Klett auf den Kopf zu stellen und wenigstens einen kleinen Hinweis zu erhalten, als sie von Michael über das Gespräch mit Max informiert wurde. Da Michael bei der Vernehmung dieses Herrn Maas anwesend sein würde, blieb Alex vor Ort und half weiter bei der Durchsuchung. Leider ließ sich nicht sofort sagen, was genau ein konkreter Hinweis war und was nicht, so dass erst mal alles, was relevant werden könnte, mitgenommen wurde.

Trotz der Eile, die jeder an den Tag legte, dauerten die Durchsuchungen nahezu 3 Stunden, bis alle drei Wohnungen vollständig durchsucht waren und so trafen Alex und Michael sich erst gegen Mittag wieder im Büro.

 

"Und, was hat die Vernehmung von diesem Maas gebracht?" wollte Alex sofort wissen, als sie zur Bürotür hereinkam und Michael erblickte. "Ach frag nicht, natürlich gar nicht´s. Der behauptet steifenfest, mit der Flucht von Biedel nichts zu tun zu haben oder gar davon gewusst zu haben. Aber was soll der auch anderes sagen." "Und was jetzt?" "Nichts jetzt, wir mussten ihn wieder gehen lassen, weil wir bislang noch keine Beweise haben. Aber der Staatsanwalt lässt ihn wenigstens rund um die Uhr beschatten."

Alex stand mit vor ihrer Brust verschränkten Armen vor dem Fenster und bemerkte, dass sie ziemlich fertig war. Das Denken fiel ihr aufgrund ihrer Müdigkeit mittlerweile ziemlich schwer. Langsam drehte sie sich zu Michael um "Und was glaubst Du im Hinblick auf diesen Maas?" Michael zuckte mit den Schultern "Ich weiß nicht, aber irgendwie glaube ich ihm, dass er nicht mit der ganzen Sache zu tun hat. Bislang ist er noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten und warum sollte er das für diesen Biedel riskieren, auch wenn sie befreundet sind?" "Ach ich weiß auch nicht. Michael was wenn wir etwas übersehen und zu spät kommen, dieser Gedanke macht mich ganz wahnsinnig." Michael antwortete nicht, weil er Alex darauf nichts Beruhigendes sagen konnte. Im Grunde dachte er die ganze Zeit genau wie sie. Was wenn sie etwas übersahen und dieses Gerrit dann das Leben kosten würde.

Da die Spurensicherung die mitgenommenen Sachen erst noch näher untersuchen mussten, beschlossen Alex und Michael nun doch, sich erst mal 3 Stunden auf´s Ohr zu legen und am späten Nachmittag weiterzumachen, denn beide konnten sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten.

Alex hatte sich erst gegen eine Pause ausgesprochen, aber als sie zu Hause ankam, merkte sie doch, wie müde sie wirklich war und in dem Zustand konnten sie wohl kaum etwas ausrichten. Sie ließ sich angezogen auf ihr Bett fallen und sofort kamen ihre Grübeleien darüber, ob Gerrit wohl noch lebte oder .... zurück. So dauerte es ziemlich lange, bis sie endlich wenigstens etwas schlummerte.

Keine 2,5 Stunden später schellte das Telefon Alex wieder aus dem Schlaf. Es war Michael. Das sah sie schon auf dem Display. "Michael, gibt´s was neues?" "Ja, wir haben endlich eine Spur. Dieser Freund von Biedel, der Bernd Wagner hat hier in München ein Appartement auf den Namen seiner Mutter gekauft. Der Staatsanwalt hat bereits einen Durchsuchungsbeschluss ausgestellt, ich hole Dich in einer halben Stunde ab."

Alex legte auf und begab sich ins Badezimmer, um sich frisch zu machen. Hoffnungsvoll wartete sie eine halbe Stunde nach dem Anruf unter auf der Straße auf Michael.

 

Gerrit´s Kopfschmerzen ließen nach einiger Zeit nach und so pocherte der Schmerz nur noch in seinem Schienbein. Er versuchte, das Bein so gut wie möglich nicht zu bewegen, aber das war schwierig, denn er bekam langsam einen ganz schön kalten Hintern. Von Yvonne und Biedel hatte er Gott sei Dank schon seit Stunden nichts gehört. Das heißt, das war nicht ganz richtig. Nachdem Yvonne von Biedel ins Nachbarzimmer gerufen worden war, hatten sich die beiden miteinander vergnügt und Gerrit hatte die lustvollen Geräusche der beiden über sich ergehen lassen müssen. Aber wenigstens war dann Biedel nicht damit beschäftigt, sich an ihn auszulassen.

Der Fernseher im Nachbarraum lief immer noch, aber da Gerrit sonst keine Geräusche mehr hörte, ging er davon aus, dass die beiden nach ihrem Akt eingeschlafen waren. Die Kälte und die Schmerzen erschöpften ihn, so dass er einige Zeit nur so dasaß und den Kopf gegen die Wand lehnte. Trotzdem er nicht daran geglaubt hatte, döste er doch nach einigen Minuten ein.

Unsanft wurde er von Biedel dadurch geweckt, dass dieser gegen sein gebrochenes Bein trat. Gerrit schreckt hoch und war sofort hellwach. Er bereitete sich auf eine weitere Gemeinheit von Biedel vor, aber der verschwand wortlos durch die Eingangstüre nach draußen. Jetzt erst hörte Gerrit, dass Draußen jemand mit einem Wagen angekommen war, denn eine Autotüre wurde zugeschlagen. 'Wahrscheinlich der dritte Mann' dachte Gerrit und schaute zum anderen Zimmer. Dort stand Yvonne in der Türe und beobachtete ihn wortlos. Gerrit überlegte, ob er was sagen sollte, entschied sich aber dagegen und starrte einfach nur zurück.

Keine Minute später betrat Biedel zusammen in Begleitung seines Freundes wieder die Hütte. Dieser hatte offenbar eingekauft, denn die beiden brachten die Einkäufe und einen Kasten Bier rein. Alles wurde nach hinten gebracht und den Geräuschen zufolge, die Gerrit vernahm, verstaut.

 

Gerrit dachte schon, dass er jetzt vor Biedel erst mal Ruhe habe, aber der erschien im nächsten Moment schon wieder vor ihm und hockte sich zu ihm runter. In der Hand hielt er demonstrativ eine brennende Zigarette und sah ihn teuflich grinsend an. Gerrit stellte sich innerlich auf das Unvermeidliche ein und schloss die Augen, als Biedel sein Hemd und sein T-Shirt hochzog und die Zigarette vor seinem nackten Bauch hielt. Doch bevor Biedel ihn damit verletzten konnte, hörte er Yvonne´s flüstern "Max, bitte, tue das nicht, mir zuliebe."

Gerrit öffnete wieder seine Augen und sah, dass Biedel Yvonne anstarrte, langsam die Zigarette wieder wegzog und sein Hemd nebst T-Shirt wieder los ließ. Innerlich atmete Gerrit auf, leider zu früh, denn statt ihn zu verbrennen, schlug Biedel ihm erneut derart hart ins Gesicht, dass er mit dem Kopf gegen die Wand hinter ihm schlug. Er schüttelte den etwas benommenen Kopf und spürte augenblicklich, dass seine Nase anfing fürchterlich zu bluten. Schwer atmend wartete Gerrit auf den nächsten Schlag, aber Biedel stand einfach auf und ging wieder ins Nachbarzimmer.

Gerrit sah hoch. Yvonne stand immer noch im Türrahmen und als Biedel an ihr vorbeiging, ging sie ihm nach. Gerrit dachte, dass sie nicht wiederkommen würde und versuchte unbeholfen, sich das Blut, dass immer noch aus seiner Nase lief, irgendwie aus dem Gesicht zu wischen. Das war angesichts der gefesselten Hände etwas schwierig, hinzu kam, dass ihm ganz schwindlig war.

Als ihn jemand an den Schultern fasste, zuckte er zusammen. Aber es war nur Yvonne, die im Nachbarzimmer einen Lappen geholt hatte, den sie ihm jetzt unter der Nase hielt und mit dem sie versuchte, das Bluten zu stoppen. Er ließ es geschehen und sah Yvonne an. "Danke" flüsterte er. Aber sie sah ihn nur traurig an und sagte "Gerrit es tut mir leid, ich habe echt gedacht, Du würdest nur als Geisel benötigt und Dir würde nichts geschehen. Sonst hätte ich das nicht gemacht, das musst Du mir glauben." Gerrit konnte darauf nichts erwidern, denn schließlich hatte er Yvonne diesen ganzen Mist, und somit auch die Schmerzen hier erst zu verdanken und was sollte man schließlich auch jemanden sagen, von dem man wusste, dass man demjenigen vermutlich seinen Tod verdankte.

 

Alex und Michael durchsuchten jeden Winkel der zweiten Wohnung von Bernd Wagner, aber ohne irgend einen Anhaltspunkt zu finden. Demoralisiert ließen sie sich nach zwei Stunden auf das Sofa im Wohnzimmer fallen und sahen den Kollegen bei der Arbeit zu. Alex sah zu Michael "Was, wenn Biedel Gerrit schon umgebracht hat?" Michael sah Alex entgeistert an und schüttelte sie dann an der Schulter "Alex, so fangen wir gar nicht erst an zu denken. Gerrit lebt noch, ich weiß dass. Ich spür das einfach." Alex sah zu Boden "Ich weiß nicht." "Alex, komm wir dürfen nicht aufgeben. Gerrit würde das auch nicht. Also los weiter. Hier muss irgend etwas sein."

Nach einer weiteren halben Stunde saßen die beiden erneut auf dem Sofa und sahen Papiere, die die Spurensicherung in einem Versteck gefunden hatte, durch. "Hey Alex, sieh mal, hier ist ein Stadtplan mit einer Einzeichnung. Und da ist etwas eingekreist, sieht wie ein ganzes Waldstück aus!" Alex sah sich den Plan an. "Warte mal, der eingekreiste Bereich, ich habe gerade Unterlagen gefunden, wonach Wagner´s Mutter auch Eigentümerin eines Waldstückes hier im Umkreis von München ist. Ja, hier ist es." Michael sprang auf. "Los wir suchen uns sofort den zuständigen Jäger, vielleicht kann er uns dazu was sagen."

Etwas später saßen Michael und Alex dem zuständigen Jäger im Büro gegenüber, der sich den Plan genau ansah. "Das ist ein sehr altes Waldgebiet. Privatbesitz. Da läuft kaum einer durch, ist auch ziemlich verwildert." Michael hatte bei den Worten "Da läuft kaum einer durch" sofort aufgehorcht. "Sagen Sie, gibt es da vielleicht eine Versteckmöglichkeit, irgendwas, wo man sich mehrere Tage aufhalten kann?" "Ja, da gibt es eine alte Hütte, ist zwar jetzt ziemlich kalt dort, aber soviel ich weiß, wurde vor ein paar Jahren sogar Strom zur Hütte verlegt."

Alex und Michael sahen sich hoffnungsvoll an. Sie ließen sich von dem Jäger genau beschreiben, wo die Hütte genau lag und informierten sofort ein SEK Team, dass sie begleiten sollte. Endlich eine Spur!

 

Yvonne war wieder gegangen, nachdem das Blut nicht mehr in Strömen aus Gerrits Nase floss. Dem Gefühl nach, hatte Biedel Gerrit die Nase gebrochen und Gerrit hoffte trotz seiner Hoffnungslosigkeit, dass seine Nase dadurch nicht allzu krumm werden würde. Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Wie konnte er in dieser Situation nur über so belanglose Sachen nachdenken.

Gerrit fragte sich gerade, wie lange Yvonne Biedel wohl noch abhalten konnte, ihn weiter zu quälen, als Biedel bereits erneut vor ihm stand. Gerrit erkannte sofort, dass Biedel einiges an Bier intus hatte, denn er sah ihn mit glasigen Augen an. "So, Du wolltest also mit meinem Mädchen schlafen he? Was glaubst Du eigentlich wer Du bist?" ging er ihn an. Gerrit antwortete darauf lieber nicht. Er wollte das Ganze nicht eskalieren lassen, aber es war bereits zu spät. Bevor er sich versah, hatte Biedel erneut seinen Kopf in der Hand und schlug ihn heftig gegen die Wand. Gerrit war sofort bewusstlos. Er bekam nicht mehr mit, dass Yvonne von hinten gelaufen kam und Biedel anflehte, Gerrit in Ruhe zu lassen, denn Biedel wollte weiter auf Gerrit eindreschen.

Als auch Bernd Wagner dazu kam, schaffte es Yvonne zusammen mit ihm, Biedel wieder ins Nachbarzimmer zu lotzen. Biedel stänkerte dort noch einige Minuten rum, bis er sich schließlich doch noch beruhigte. Dann setzten sich die drei hin und sahen fern. Yvonne versuchte, Biedel so gut wie möglich abzulenken, denn sie hatte Angst, dass er Gerrit umbrachte und sie wollte nicht für einen Mord verantwortlich sein. Sie hatte einen Entschluss gefasst und nun wartete sie gedulgit, bis Biedel und Wagner endlich von all dem Bierkonsum einschliefen.

 

Michael und Alex besprachen mit dem SEK, wie man vorgehen sollte. Man wollte auf jeden Fall vermeiden, dass Biedel - sofern es sich denn um das Versteck handeln sollte - ihr Ankommen vorzeitig sah und Gerrit als Geisel nahm, um zu entkommen. Man beschloss daher, da es bereits ziemlich spät war, bis zur Dämmerung zu warten, um in der Dunkelheit unerkannt so nahe wie möglich an die Hütte zu gelangen. Alle Beteiligten hofften dabei, Gerrit auch noch lebend vorzufinden.

Als es endlich soweit war, war Michael kaum noch von Alex zu halten. Die ganze Zeit während des Wartens war er von einem aufs andere Bein gehüpft. Er wollte, dass es endlich los ging. Auch Alex war sehr angespannt, aber sie ließ sich nach außen hin nichts anmerken. Allerdings gelang auch ihr das immer weniger.

Zur gleichen Zeit spürte Gerrit, dass ihm jemand auf seine Wangen schlug "Gerrit, komm schon, wach auf" hörte er jemanden flüstern. Zunächst fragte er sich, warum jemand flüsterte, aber dann kam schlagartig die Erinnerungen und er riss seine Augen auf. Das hätte er besser nicht getan, denn sofort drehte sich alles um ihn herum und er schloss sie stöhnend sofort wieder. "Ganz ruhig und bitte nicht so laut" hörte er Yvonne flüstern. Gerrit wusste nicht, was er davon halten sollte und schlug erneut vorsichtig seine Augen auf, diesmal jedoch nur einen Spalt breit. Er sah sich langsam und immer noch etwas desorientiert um. Außer Yvonne war niemand im Zimmer. Na wenigstens stand Biedel nicht erneut vor ihm

Er merkte erst jetzt, dass Yvonne ein Schmiermesser in der Hand hatte, mir dem sie nun versuchte, seine Fesseln durchzuschneiden. Da er ziemlich fertig war, versuchte er nur die Schmerzen, die durch das Rütteln in seinen Handgelenkten aufkamen, zu unterdrücken und sah ihr ansonsten unbeteiligt dabei zu. Während sie mit dem Durchschneiden befasst war, fragte er sich die ganze Zeit, ob das Ganze nicht sinnlos war, denn mit einem gebrochenen Bein würde er nicht weit kommen.

 

Dann nach endlos scheinenden und schmerzhaften Minuten waren die Fesseln letztlich doch durchtrennt. Gerrit rieb sich seine Handgelenke, und bewegte seine Arme, die von der Fesselei steif geworden waren dann sah er Yvonne skeptisch an "Ich bin Dir ja durchaus dankbar, aber was hast Du Dir jetzt vorgestellt. Wie soll ich hier denn entkommen?" Yvonne lächelte "Keine Sorge, ich komme mit und helfe Dir, dann schaffen wir es schon."

Eigentlich konnte es Gerrit ja egal sein, warum sie dies tat, aber hektisch überlegte er, ob es sich hierbei wohl ein Spiel von Biedel handeln konnte. Wollte er am Ende nur etwas Abwechslung? Yvonne merkte, dass Gerrit zögerte und sprach ihn erneut an "Gerrit bitte, komm, wir haben nicht viel Zeit, ich weiß nicht, wann Max aufwacht" und versuchte, ihn auf hochzuziehen. Gerrit hielt sie zurück "Warum machst Du das?" "Ist denn das jetzt wirklich wichtig? Also gut, ich will nicht, dass er Dich umbringt. Reicht Dir das als Grund und können wir jetzt endlich los?"

Gerrit überlegte einen Moment und nickte dann, dann ließ er sich von Yvonne auf die Beine helfen oder besser gesagt auf das verbleibende gesunde linke Bein. Dann half sie ihm, zur Haustüre und gemeinsam mit ihm floh sie in den Wald, na ja, mehr schlecht als recht, denn Gerrit konnte nur stark humpeln, genau, wie Biedel es ihm prophezeit hatte und Yvonne war ziemlich zierlich, so dass er versuchte, nicht sein ganzes Gewicht auf sie zu verlagern.

Gerrit zeigte zu Wagners Auto "Warum nehmen wir das nicht?" Aber Nicole schüttelte den Kopf "geht leider nicht. Wagner hat die Türen abgeschlossen und den Schlüssel in seiner Hosentasche verstaut, da komme ich nicht ran, ohne ihn zu wecken." Gerrit überlegte, ob es einen anderen Ausweg gab, aber momentan war die Flucht mittels Hilfe von Yvonne in den Wald hinein seine einzige Alternative, um Biedels Aggressivitäten zu entkommen. Zusammen mit Nicole versuchte er nun, so schnell wie möglich durch das Dickicht und so weit wie möglicht von Biedel weg zu kommen.

 

Er wachte mit einem Schädel der Sonderklasse auf und drehte sich auf der Matratze, auf der er lag, um. Hm, eigentlich sollte Yvonne neben ihm liegen, aber die Matratze neben ihm war leer. Er öffnete verschlagen die Augen und sah auf dem in der Ecke stehenden Sofa Bernd schlafen. Na ja, sehen musste man den nicht unbedingt, weil man ihn hören konnte, denn er schnarchte so laut, dass man angst haben musste, dass die Bäume draußen im Wald umgesägt werden. Er sah sich um, von Yvonne war weit und breit in diesem Zimmer nichts zu sehen. Nun, vielleicht war sie ja auf Toilette.

Er drehte sich um und döste wieder ein, aber nicht lange, denn plötzlich fiel ihm auf, dass er außer dem Schnarchen von Bernd kein anderes Geräusch mehr vernahm. Wo war Yvonne? Er stand auf und sah sich erneut um. Mit einem unguten Gefühl ging er langsam auf die Tür zum Nachbarzimmer zu, um nachzusehen, was der Bulle machte. Er hätte Yvonne nicht mitnehmen sollen, mit ihrem ewigen Genörgel und Gequengel machte das alles keinen Spaß. Seine Rache hatte er sich die ganze Zeit über anders vorgestellt.

Als er sah, dass dieser Grass gar nicht mehr an der üblichen Stelle saß, sondern auf dem Boden nur noch die durchgeschnittenen Fesseln lagen, brüllte er ein "Nein!" Er vernahm, dass Wagner sich im Nachbarzimmer regte. Gleichzeitig schnaubte er vor Wut. Wie konnte sie ihm das nur antun? Sie hatte ihn schändlich verraten. Dafür würde sie büßen. Lange konnten die beiden noch nicht unterwegs sein. Außerdem hatte er ja dafür gesorgt, dass der Bulle nicht schnell voran kam. Er schnauzte Bernd an "Mach Dich fertig, wir werden sie finden und dann gnade ihnen Gott."

Er zog sich so schnell er konnte seine Jacke und seine Schuhe über und wartete ungeduldig darauf, dass Bernd fertig wurde. Er malte sich aus, was er mit ihr anstellen würde, nie wieder würde sie es wagen, ihn zu demütigen. Und den Bullen, den würde er an Ort und Stelle niederstrecken. Aber nein, doch nicht, das war zu schnell. Er würde sie zwingen diesem Bullen bei seinem langsamen und äußerste schmerzhaften Tod zuzuschauen, ja, das würde ihr ein für alle mal zeigen, wer hier der Boss war!

Als Bernd endlich fertig war, stürmten sie zusammen nach draußen, um die beiden zu suchen.

 

Gerrit und Yvonne waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr weit gekommen. Erneut mussten sie eine Pause machen. Gerrit schwitze und zitterte von der ganzen Anstrengung. Mehrmals wurde ihm schwarz vor Augen und er hatte Mühe, nicht umzukippen, sondern auf den Beinen zu bleiben, vermutlich hatte er sich eine Gehirnerschütterung zugezogen. Obwohl das Auftreten mit seinem rechten Bein äußerst schmerzhaft war, konnte er bei seinen Schwindelanfällen doch nicht umhin, es ab und zu doch aufzusetzen.

Yvonne merkte es jedes Mal, wenn Gerrit einen Schwindelanfall hatte, denn obwohl er sich bemühte, sich nicht zu schwer bei ihr aufzustützen, wurde er dann immer erheblich schwerer und sie fürchtete jedes Mal, ihn nicht halten zu können. Bislang war es ihr zwar gelungen, ihn jedes Mal abzufangen, aber sie wusste nicht, wie lange ihr das noch gelingen würde, denn ihre Kraft schwand von Mal zu Mal mehr.

Gerrit saß während ihrer Pause auf einen umgestürzten Baum und drückte sich nach einer Minute Ausruhen wieder nach oben "Nun wollen wir weiter?" fragte er. Aber Nicole schüttelte den Kopf "Nein ich bin noch nicht so weit, ich brauche noch ein paar Minuten OK?" Gerrit nickte und ließ sich wieder auf den Baumstamm fallen. Er wusste, dass sie das nur gesagt hatte, weil sie ihn schonen wollte. Aber es half doch alles nichts, sie mussten schließlich zusehen, dass sie so weit weg wie möglich kamen, solange Biedel in der Hütte noch schlief.

Gerrit schaute sich etwas um, weit konnten er jedoch nicht sehen, denn seit einiger Zeit war der Mond hinter schweren Regenwolken verschwunden und im Wald war es fast stockfinster. Und so versuchte er, den Wald wenigstes etwas zu durchdringen. Immer wieder hörte er es im Wald knacken, aber bisher hörte es sich nur nach kleineren Tieren an. Biedel würde sicherlich mehr Krach machen. Das der durch den Wald schleichen konnte und dass dann noch mit einer Mordwut im Bauch, konnte er sich einfach nicht vorstellen. Nein, der würde wahrscheinlich einfach nur wie eine Dampfwalze auf sie zugeprescht kommen, wenn er sie entdecken würde.

Schließlich blieb sein Blick wieder auf Yvonne haften. Was würde wohl mit ihr passieren, wenn Biedel sie fand, bevor sie aus dem Wald raus waren und Hilfe bekamen? Das Biedel sie verschonte und sich nur an ihn ausließ, damit war wohl nicht zu rechnen. "Hör mal Yvonne, wir sollten uns vielleicht trennen. Wir haben sicher mehr Chancen, wenn Du vorläuft und versucht, Hilfe zu holen und ich versuche, hier allein weiter zu kommen." Yvonne sah ihn ärgerlich an "Niemals, ich bin schuld, dass Du in diesem Dilemma sitzt, nein, alleine hast Du gar keine Chance. Außerdem werden wir es ganz bestimmt schaffen!" Gerrit wollte erst darauf etwas erwidern, aber als er die Entschlossenheit in Yvonnes Augen sah, ließ er es lieber bleiben.

 

Alex und Michael lagen zusammen mit dem SEK im Umkreis von 20 m um die Hütte herum auf Lauer. Als Biedel laut "Nein!" schrie, wollte Michael bereits losstürmen, aber Alex hielt ihn zurück, weil sie lieber erst versuchen wollte, herauszufinden, was in der Hütte los war. Als die Biedel und Wagner keine 2 Minuten später aus dem Haus in Richtung Wald stürmten, waren alle so überrascht, dass die beiden fast schon durch waren, als Michael endlich doch schrie "Zugriff!"

Biedel und Wagner waren so überrascht, dass sie abrupt stehen blieben und sich, als sie mehr als 10 Pistolenläufe auf sich gerichtet sahen, widerstandslos festnehmen ließen. Anschließend wurde vom SEK die Hütte gestürmt, aber weder von Yvonne noch von Gerrit fand sich außer den Resten der Fesseln und Blutspuren irgendein Hinweis auf deren Verbleib. Alex starte auf den Blutflecken an der Wand und überlegte, was hier bloß passiert war. Sie ging wieder nach draußen und beobachtete Michael, der Biedel befragte.

Michael wurde es langsam zu bunt und ging draußen auf Biedel los "Also, noch einmal von vorne: Wo ist mein Kollege. Was haben Sie mit ihm gemacht?" Biedel grinste ihn nur an. Michael sah die beiden Kollegen, die Biedel fest im Griff hatte an "Kollegen geht mal kurz um die Ecke pinkeln, ich muss wohl mal unter 4 Augen mit dem Typen hier sprechen." Biedel lachte, aber das Lachen verging ihm schnell, als er merkte, dass die SEK-Leute sich tatsächlich zurückzogen. Kurz darauf spürte er einen Faustschlag von Michael in seiner Lendengegend und brach gurgelnd zusammen. Michael sah fragend zu Alex und als diese nur mit den Schultern zuckte beute er sich zu Biedel runter und zog ihm an seiner Jacke ein Stück nach oben "Na, willst Du nun antworten oder wollen wir weiter machen?" Biedel japste keuchend "Ich weiß es nicht. Ehrlich. Ich bin gerade erst aufgewacht und habe festgestellt, dass Yvonne mit ihm weg ist. Vermutlich in den Wald. Wir wollten gerade hinterher"

Michael überlegte, ob das die Wahrheit sein konnte. Die Fesseln im Haus waren offenbar mühsam mit einem normalen Schmiermesser durchgeschnitten worden. Wenn Biedel die Fesseln gelöst hätte, dann vermutlich eher mit einem scharfen Messer. Außerdem passte seine Ausage zu dem Geschrei, dass Biedel kurz nach ihrer Ankunft hier in der Hütte von sich gegeben hatte. Michael beschloss, Biedel in Ermangelung weiterer Möglichkeiten erst einmal zu glauben.

Er zog ihn an seinem Jackenkragen noch weiter zu sich hoch "Und wo ist diese Yvonne jetzt vermutlich mit ihm hingelaufen?" Biedel zuckte mit seinen Schultern "Keine Ahnung, aber weit können sie nicht gekommen sein, denn ich habe diesem Grass versehentlich ein Bein gebrochen."

Michael war außer sich vor Wut und wollte nur noch auf Biedel einschlagen, aber Alex war mittlerweile dazu gekommen und konnte Michael mit viel Mühe davon abhalten, erneut auf Biedel einzuschlagen. "Michael, das lohnt sich doch nicht, der ist es nicht wert. Komm wir müssen die Suche organisieren, um Gerrit zu finden.“

 

Nachdem Michael dafür gesorgt hatte, dass Biedel so schnell wie möglich wieder ins Gefängnis kam und Bernd Wagner ebenfalls weggebracht wurde, machten er und Alex sich zusammen mit den SEK-Leuten auf die Suche durch den Wald.

Gerrit und Yvonne waren noch nicht weit gekommen, denn außer Gerrits Handykap mit dem Bein, musste er immer noch alle paar Minuten stehen bleiben, weil ihm schwindelig war. Bei seinem sprichwörtlichem Glück hatte er sich bestimmt eine Gehirnerschütterung zugezogen. Yvonne nahm nach wie vor Rücksicht und blieb steht neben ihm stehen, sah sich aber immer wieder ängstlich um, um zu schauen, ob Max bereits hinter ihnen her war. Sie machten gerade erneut eine kleine Pause, als sie von weit weg her hörten, dass jemand "Gerrit" durch den Wald rief.

Hektisch und voller Angst zog Yvonne an Gerrits Arme, um ihn wieder auf die Beine zu bekommen, denn der hatte sich erneut auf einen Baumstumpf niedergelassen, aber der wehrte sich, denn er hatte die Stimme sofort erkannt. Freudig sagte er "Yvonne, warte, ich kenne die Stimme, dass ist Michael. 100 %-ig, wir sind gerettet."

Yvonne ließ ihn los und sah ihn an "OK, blieb Du hier liegen, sie werden Dich hier finden. Aber ich will nicht ins Gefängnis. Bitte Gerrit, ich muss weiter, ich werde versuchen, zu entkommen." Bevor sie das letzte Wort ausgesprochen hatte, drehte sie sich um und rannte so schnell sie konnte weiter in den Wald hinein. Gerrit wollte ihr hinterherrufen, dass er ein gutes Wort für sie einlegen würde, aber sie war schon zu weit weg, so dass er ihr nur kopfschüttelnd nachsehen konnte.

Er war überzeugt davon, dass es besser wäre, sich der Justiz zu stellen. Andererseits verdankte er ihr vermutlich sein Leben und nachrennen konnte er ihr in seinem Zustand eh nicht. So lehnte er sich wieder an den Baum, an dem er saß und wartete einfach darauf, das man ihn fand. Lauf rufen schien ihm ausgeschlossen, denn sein Kopf dröhnte, als wäre eine Dampfwalze darüber gefahren, außerdem war er völlig erschöpft.

 

Die Rufe kamen immer näher und als sie nahe genug waren, rief auch er nach Michael und Alex, so dass sie ihn dann auch relativ schnell fanden. Freudig umarmten sie ihn und Michael fragt sogleich "Wo ist diese Yvonne?" Gerrit zuckte unwissend die Schultern "Keine Ahnung, ich konnte nicht mehr weiter, so dass sie mich hier sitzen lassen hat und allein weiter ist." "Wie lange ist das her" wollte Alex wissen. Gerrit überlegte kurz und zuckte dann erneut bedauernd mit den Schultern "keine Ahnung." Alex sah sich um und entschied dann "Na da kann man nichts machen, vermutlich ist sie über alle Berge. Wir sorgen erst mal dafür, dass Du ins Krankenhaus kommst und leiten die Fahndung nach ihr ein, sobald wir wieder im Büro sind."

Alex warf sich den einen Arm von Gerrit über die Schulter und Michael den anderen, und so humpelte Gerrit teils zwischen den beiden, teils trugen sie ihn zurück in Richtung Hütte, wo bereits ein Krankenwagen auf ihn wartete.

Was alle drei nicht wußten, was, dass Yvonne gar nicht weit in den Wald hineingelaufen war, sondern sich in der Nähe von Gerrit versteckt und alles beobachtet hatte. So hatte sie auch mitbekommen, dass Gerrit sie offenbar deckte, damit sie entkommen konnte, denn er hatte nicht ganz die Wahrheit gesagt, denn zwischen dem Eintreffen von Michael und Alex und ihrem Verschwinden waren gerade mal 2 bis 3 Minuten vergangen.

Im Krankenhaus wurde Gerrits Bein operativ genagelt und er musste wegen der erlittenen Gehirnerschütterung einige Tage im Krankenhaus verbringen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er vollständig genesen war, denn bei seinem Schienbeinbruch handelte es sich glücklicherweise um einen glatten Bruch, so dass die Heilung relativ schnell voranschritt.

Biedel kurz darauf wurde wegen der Geiselnahme eines Polizisten und schwerer Körperverletzung vom Gericht zur Sicherheitsverwahrung nach Ablauf seiner lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Wagner, der bislang noch nicht vorbestraft war, wurde wegen Geiselnahme zu 10 Jahren verurteit. Yvonne Klett war entkommen und bis Ende des Prozesses gegen Biedel und Wagner immer noch nicht gefasst.

Gerrit verließ nach Verkündung der Urteile gegen Biedel und Wagner das Gerichtsgebäude und wartete draußen am Wagen auf Alex, die noch zur Toilette war. Als er am Fahrzeug lehnte, klingelte sein Handy. "Grass" "Hey, ich wollte mich nur kurz verabschieden. Ich werde das Land morgen verlassen. Ich weiß, dass Du nichts gesagt hast und wollte mich dafür bei Dir noch bedanken, bevor ich ganz verschwinde."

Gerrit hatte Yvonnes Stimme sofort erkannt und schaute sich um, ob Alex auch nicht in der Nähe war "Yvonne, wo steckst Du?" "Das willst Du doch nicht wirklich wissen. Dann müsstest Du doch sofort die erforderlichen Maßnahmen einleiten, um ich zu verhaften, also lassen wir es dabei, dass ich bereits sehr sehr weit entfernt bin." "Yvonne, ehm, ich wollte mich auch bei Dir bedanken, ohne Deine Hilfe hätte ich das Ganze vielleicht nicht überlegt, also, Danke". "Sagen wir, wir sind quitt OK? Vielleicht sehen wir uns in diesem Leben ja noch einmal." Dann hörte Gerrit nur noch ein Tuten. Yvonne hatte aufgelegt.

Gerrit sah Alex auf ihn zukommen als er sein Handy wieder wegsteckte. "Na wer war das?" "Ach niemand besonderes, eine alte Freundin" log Gerrit und hoffte, dass Alex ihm diese Lüge abnahm, denn normalerweise durchschaute Alex ihn irgendwie immer. Alex sah ihn einen Moment komisch an, beschloss dann aber, die Sache auf sich beruhen zu lassen. "Komm, lass uns ins K11 fahren, Michael wartet bestimmt schon." Kaum hatte sie das ausgesprochen, klingelte auch schon ihr Handy. und sie sah am Display, dass es Michael war.

ENDE

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