Trostloses Weihnachten?
1.
Gerrit saß zum wiederholten Male im Auto direkt vor dem Haus seiner Mutter. Er starrte gedankenversunken zu dem Eingang rüber. Seit dem dramatischen Tod seiner Mutter waren ca. 6 Wochen vergangen und er musste eigentlich im Haus nach dem Rechen sehen und unbedingt benötigte Unterlagen holen. Aber er konnte einfach nicht aussteigen. Zu lebendig waren die Bilder, die ständig in ihm hoch kamen, wenn er hier vor dem Eingang des Hauses stand. Hier, wo dieser Scheißkerl sie einfach nieder geknallt und ermordet hatte. Gerrit merkte, wie er bei den Gedanken an das Geschehen anfing, zu zittern und nur mit Mühe konnte er die Tränen zurückhalten, die sich langsam aber sicher ihren Weg zu bannen versuchten. Er schluckte schnell ein paar Mal, weil er nicht wollte, dass ihn hier draußen im Auto irgend jemand weinen sah, das war einfach nicht sein Ding.
Der Staatsanwalt hatte freundlicherweise für ihn all die schriftlichen Dinge, die nach ihrem Tod zu tun waren, übernommen und nun benötigte der das Familienstammbuch seiner Mutter, damit Gerrit einen Erbschein nach ihr beantragen konnte. Der wurde benötigt, um das Haus auf ihn umzuschreiben. Überhaupt, wie sich das anhörte, Erbschein. Schrecklich. Er wollte nicht erben, nicht das Haus und auch nicht die Lebensversicherung, die mittlerweile an ihn ausgezahlt worden war! Er wollte doch einfach nur, dass sie wieder lebte. Und überhaupt, dieses Hause wollte er auch nicht mehr. Dieser Ort würde für ihn immer und in alle Ewigkeit mit ihrem Tod verbunden sein. Er wollte das Haus so schnell wie möglich verkaufen, um nicht mehr herkommen zu müssen. Aber das war leichter gesagt, als getan, denn momentan wusste er nicht, wie er überhaupt ihre Sachen aus dem Haus packen sollte, wenn er es nicht einmal schaffte, das dämliche Familienstammbuch aus dem Haus zu holen.
Er ließ den Wagen wieder an, denn er wusste genau, dass er auch heute das Haus nicht würde betreten können. Für all die Erinnerungen, die dort auf ihn warteten, war er einfach noch nicht gewappnet, da musste der Staatsanwalt halt einfach noch warten, auch wenn das hieß, sich erneut eine Ausrede einfallen lassen zu müssen. Ihm würde schon was passendes einfallen. Fürs Erste würde er ihm einfach so gut es ging aus dem Weg gehen.
Fünfzehn Minuten später stand er vor der Eingangstür zum Bürogebäude des K11. Er holte tief Luft und wappnete sich für den bevorstehenden Tag, in der Hoffnung, dass ihn nicht schon wieder Gott und die Welt fragen würde, wie es ihm ginge. Das nervte langsam ziemlich. Besonders weil er wusste, dass man ihn damit natürlich auf den Tod seiner Mutter ansprechen wollte. Am liebsten war es ihm momentan, sich nur in seine Arbeit verkriechen, dann musste er wenigstens nicht daran denken, dass sie nicht mehr wiederkommen würde.
Als er ihr Büro betrat, hörte er, wie Robert gerade erzählte, dass er Weihnachten nach Hause fahren würde. Er versuchte, sich zu beherrschen, denn die Vorstellung Weihnachten nie wieder „zu Hause bei seiner Familie“ feiern zu können, versetze Gerrit einen ganz schönen Stich. Nicht, dass er es Robert nicht gönnen würde, aber es war das erste Mal, dass er Weihnachten ganz alleine verbringen musste. Ohne Festbraten und ohne das festlich geschmückte Haus seiner Mutter.
Es war der 22.12. und er hatte sich eigentlich freiwillig zum Dienst für alle Tagesschichten über die Feiertage gemeldet. Aber aus irgendeinem, für ihn nicht nachvollziehbarem Grund war das abgelehnt worden und so hatte er nur am Heiligabend morgens Dienst und ab dem 1. Weihnachtstag Nachmittags ab 16.00 Uhr. Auf seine Nachfrage bei der Einteilungsstelle, warum seinem Wunsch nicht entsprochen worden war, hatte er nur zu hören bekommen, dass das eben so sei und fertig. So würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als zu Hause vor dem Fernseher zu hocken oder sich in irgend einer Kneipe vollsaufen zu lassen.
Alex Stimme unterbrach ihn in seinen Gedanken „Hallo, Gerrit an Erde. Wir haben Dich gerade gefragt, was Du eigentlich Weihnachten machst. Hast Du schon was geplant?“ Gerrit schüttelte den Kopf „Nee, aber mir fällt schon was ein, keine Sorge.“
Michael sah zu ihm hinüber „Wieso kommst Du nicht zu mir, Mike fährt eh Mittags schon mit Freunden in die Berge zum Skifahren und Alex will vielleicht auch vorbei schauen?“ Gerrit sah die beiden an und überlegte erst, ob er das Angebot nicht annehmen sollte, dann aber bekam er Angst davor und lehnte mit den Worten „Nein, lasst mal. Ich feiere lieber alleine. Mir ist auch eh nicht so nach feiern zumute. Am liebsten wäre mir, das Ganze wäre schon vorbei. Und ganz ehrlich, ich will Euch das Fest nicht verderben. “ Michael nickte nur und machte Alex, die gerade etwas dazu sagen wollte, heimlich ein Zeichen, es gut sein zu lassen. Michael kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass momentan weder aus ihm mehr auszuholen sein würde, noch dass er seine Meinung ändern würde.
2.
Keine zwei Stunden später saßen Gerrit und Alex im Auto und beobachteten ein bisschen die Gegend, weil momentan kein Einsatz für sie anstand. Den ganzen Vormittag war schon tote Hose angesagt. Sie tranken gerade Kaffee aus Pappbecher, als es langsam anfing zu schneien. Es faszinierte Alex immer wieder von neuem, wie scheinbar lautlos die ersten Flocken auf die Erde hinab fielen und alle Menschen, die unterwegs waren, kurz anhielten und still die Wattebäus´chen staunend bewunderten. Sie wusste genau, dass es in ein paar Tagem, wenn das Ganze zur Routine geworden war, anders sein würde. Aber jetzt, dieser eine Moment, war immer einzigartig. Beide sagten 10 Minuten lang kein Wort und beobachteten nun still, wie die Flocken langsam einen weißen Teppich auf den Boden zauberten.
Plötzlich fiel Alex ein, dass sie Gerrit ja noch an etwas erinnern sollte „Du Gerrit, der Staatsanwalt hat heute morgen angerufen und lässt Dir ausrichten, Du sollst ihm endlich irgendwelche Papiere bringen. Um was geht es denn da?“ Gerrit erzählte ihr, dass der Staatsanwalt das Familienstammbuch seiner Mutter benötigte und auch wofür.
„Und? Wo liegt das Problem“ fragte Alex. Gerrit zuckte nur mit der Schulter und starrte weiterhin so unbeteiligt wie möglich aus dem Fenster. Alex sah ihn erst erstaunt an und fragte sich, wann er endlich über den Tod seiner Mutter normal reden würde können. Nach 2 Minuten sagte er kleinlaut und ziemlich leise „Ich kann das Haus nicht betreten.“ wobei er verlegen weiter aus dem Fenster starrte, um Alex nicht anschauen zu müssen. Alex merkte, dass ihm das Ganze peinlich war und sagte vorsichtshalber erst mal gar nichts, sondern wartete weiter ab und drückte ihn auffordernd kurz am Arm. Nachdem Alex weder loslachte, noch sonst irgend eine dumme Bemerkung machte, traute sich Gerrit nun doch, ihr zu erzählen, dass er es bereits ein paar Mal versucht hatte, aber einfach nicht aus dem Auto aussteigen konnte.
Alex streichelte erneut seinen Arm und sagte leise „Ist doch nicht weiter schlimm, das ginge doch vermutlich jedem von uns so.“ Sie überlegte einen Moment und sagte dann zu ihm, während sie bereits den Wagen startete „komm wir fahren einfach zusammen dort hin“ und fuhr einfach - ohne weiter auf Gerrit´s Reaktion zu achten - los.
Gerrit war von ihrem Aktionismus völlig überrumpelt und bekam leichte Panik. Mit jedem Kilometer, den sie dem Haus seiner Mutter näher kamen, wurde es Gerrit mulmiger im Bauch. Er wusste genau, dass er jetzt nicht mehr anders konnte, als aus dem Fahrzeug auszusteigen, wenn er sich vor Alex nicht blamieren wollte. Warum hatte er ihr bloß alles erzählt? Er wünschte, er könnte es zurücknehmen.
Als sie vor dem Haus ankamen, stieg Alex langsam aus, denn auch sie hatte beim Anblick des Anwesens ein Grummeln im Bauch. Das Geschehen lief schlagartig, wie ein Film, vor ihrem Augen noch einmal ab. Sie selbst hatte Gerrit´s Mutter hier, genau vor dem Tor zum Anwesen das letzte Mal lebend gesehen und war dann, noch bevor sie erschossen worden war, in einen Transporter geschuppst worden. Sie hatte seine Mutter sehr gemocht und merkte, dass sie schwer schlucken musste, um keine Tränen aufkommen zu lassen.
Sie schaute zu Gerrit, der nun ebenfalls ausgestiegen war und sich noch tapfer zu halten schien. Aber er schien jegliche Farbe aus seinem Gesicht verloren zu haben. Wie viel schwerer musste das wohl für ihn sein? War es ein Fehler gewesen, hierher zu kommen? Sie atmete tief durch, ging zu ihm rüber, nahm ihn an die Hand und zog ihn langsam mit sich. Um seinetwegen wollte sie so schnell wie möglich mit ihm das Haus betreten, das Familienstammbuch holen und dann so schnell wie möglich wieder verschwinden.
Nachdem die beiden das Haus betreten hatten, d. h. nachdem Gerrit sich von Alex widerstandslos in den Hausflur hatte ziehen lassen, blieb er da stehen und erstarrte. Die Wohnzimmertür war noch offen und er konnte direkt auf ihren Lieblingsplatz auf dem Sofa blicken. Er wurde überwältigt von seinen Gefühlen und konnte seine Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Er war heilfroh, dass Alex bei ihm war und nicht Michael, oder noch schlimmer Robert.
Alex nahm ihn in den Arm und versuchte, ihn ein wenig zu trösten. Nachdem sie merkte, dass er es nicht weiter, als hierhin schaffen würde, fragte sie sich, warum sie ihn nicht einfach im Auto hatte sitzen lassen und allein ins Haus gegangen war. Aber jetzt war es dazu zu später. Sie sah sich erst mal kurz um.
Die Spurensicherung hatte sich nach dem Tod von Gerrit´s Mutter natürlich auch das Haus vorgenommen und es untersucht, in der Hoffnung, etwas von ihr und Gerrit zu finden. Erst jetzt kam ihr in den Sinn, dass hier eigentlich noch alles nach einer üblichen Tatortuntersuchung aussehen müsste, also leicht chaotisch. Erleichtert stellte sie jedoch fest, dass die Spurensicherung alles wieder ordentlich gemacht hatte und nichts mehr von deren Anwesenheit zu sehen war. Sie nahm sich vor, der Spurensicherung in den nächsten Tagen dafür zu danken, denn normalerweise räumen die nicht auf, wenn sie fertig waren. Selbst die Spülmaschine war offenbar ausgeräumt worden.
Da es schien, dass Gerrit momentan nicht fähig war, weiter in das Haus hineinzugehen, übernahm Alex für ihn die Suche und zog alle möglichen Schubladen, die ihr in den Blick kamen auf, um das Familienstammbuch zu finden. Endlich fand sie es im Arbeitszimmer. Schnell nahm sie es, brachte es Gerrit, der es nur wortlos entgegennahm und die beiden verließen so schnell wie möglich das Haus.
Als sie wieder draußen im Auto saßen, atmete Gerrit hörbar auf. Er sah Alex dankbar an. Bevor er etwas sagen konnte, winkte Alex ab „Komme, war doch selbstverständlich.“ Alex startete den Wagen und schaute noch einmal schwer schluckend auf die Stelle vor dem Haus, wo Frau Grass erschossen worden war. Dann fuhren sie mit dem Familienstammbuch zur Staatsanwaltschaft, um es abzugeben, um anschließend zurück ins Büro zu fahren.
3.
Den ganzen restlichen Tag und auch am nächsten Tag passierte nichts Wesentliches mehr. Nur der Staatsanwalt war froh, nun Gerrit´s Papiere vollständig zusammen zu haben und rannte endlich nicht mehr hinter ihm her.
Dann war es soweit und es war Heiligabend. Wie jedes Jahr hatten irgendwer Plätzchen besorgt und auch Kerzen. So saßen die Kollegen, die Arbeiten mussten, im Büro und unterhielten sich bei einem Glas Glühwein über die bevorstehende Feiertage. Nur Gerrit saß mal wieder etwas abseits auf „seiner“ Fensterbank und beteiligte sich nicht an die Gespräche, sondern starrte, wie so oft in diesen Tagen, stumm aus dem Fenster. Die Kollegen waren so rücksichtsvoll und sprachen ihn gar nicht erst an.
Um nicht immer wieder an Weihnachten zu denken, überlegte Gerrit, wie lange heute wohl die Supermärkte auf hatten, denn sein Kühlschrank war gähnend leer. Er beschloss gleich nach Feierabend schnell noch einkaufen zu gehen, damit er, wenn schon kein Festtagsbraten, denn dann doch wenigstens etwas essbares zu Hause hatte, denn langsam meldete sich knurrend sein Magen.
Als endlich die alljährliche Geschenkeverteilerei vorbei war und Gerrit Feierabend machen konnte, war es schon 15.30 Uhr. Er beeilte sich, zum nächsten Supermarkt zu kommen, aber vergeblich, denn die Läden hatten generell bereits um 14.00 Uhr zu gemacht. „Na prima, kein Weihnachtsfest und noch nicht mal was zu essen“ dachte er niedergeschlagen und machte sich miesgelaunt auf den Weg nach Hause. Unterwegs hielt er ein paar Mal an, um zu schauen, ob irgendwelche Gasstätten vielleicht heute Abend auf haben würden, aber überall sah er das Schild „Heiligabend geschlossen“ an der Tür prangen.
Als er seine Wohnung betrat, überlegte er sich deprimiert, ob er sich nicht lieber gleich ins Bett legen sollte, zu essen würde er heute ja wohl nichts mehr bekommen. Michael´s Einladung kam ihm wieder in den Sinn, aber jetzt hatte er schon abgelehnt und Michael würde ihn sicher nicht mehr erwarten. Ob er es doch versuchen sollte? Aber nein, das konnte er den anderen einfach nicht antun, Heiligabend war bei ihnen immer ein froher Tag gewesen und kein Tag, an dem man traurig war. Einen fröhlichen Abend, dass wünschte er sich auch für seine Freunde, da hatte ein Trauerklos, wie er es momentan war, nichts verloren.
Da er noch kein bisschen Müdigkeit verspürte, verwarf er seinen ursprünglich angedachten Plan und stellte den Fernseher an. Aber wo er auch hinschaltete, nirgends konnte er am Heiligabend Nachmittag Weihnachten umgehen. Überall liefen Sendungen oder Filme die von einem fröhlichen Familienfest handelten. Nach einer halben Stunde konnte es einfach nicht mehr ertragen und machte das Fernsehen wieder aus. Als er zu seiner Stereoanlage hinüberschlenderte, um eine CD aufzulegen, blickte er aus dem Fenster und sah, dass es wieder leicht angefangen hatte, zu schneien. Er bekam plötzlich Lust etwas durch den sacht fallenden Schnee zu wandern und so überlegte er nicht lange, nahm seine Jacke und begab sich nach unten.
Eine ganze Weile spazierte er eigentlich einfach nur so durch die Gegend, ohne darauf zu achten, wo er hin ging. Aber als er plötzlich vor dem Friedhof, auf dem seine Mutter beerdigt worden war, stand, beschloss er, solange man wenigstens noch etwas sehen konnte, nachzusehen, wie das Grab mittlerweile aussah. Als er sich dem Grab näherte, bemerkte er sofort, dass es seit seinem letzten Besuch vor einer Woche weiter eingefallen war. Er würde über kurz oder lang Erde aufschütten müssen. Vielleicht würde Alex ihm ja helfen, auch bei der Bepflanzung, denn da kannte er sich so gar nicht aus. Er nahm sich vor, Alex gleich morgen Nachmittag danach zu fragen.
Obwohl er anfangs befürchtet hatte, dass er es nicht ertragen könnte, das Grab seiner Mutter zu sehen, tröstete es ihn immer wieder, hier an dem Ort, an dem sie begraben war, zu stehen und mit ihr Zweispalt zu halten. Nein, nicht dass er jemals etwas laut in die Stille des Friedhofs sagen würde, aber in seinen Gedanken hielt er stille Dialoge mit seiner Mutter ab.
Obwohl er hier seit dem Tag der Beerdigung nicht mehr geweint hatte, konnte er nun an diesem besonderen Tag seine Tränen nicht mehr zurückhalten, zu sehr wurde ihm wieder einmal bewusst, dass es nie wieder ein Weihnachtsfest mit seiner Mutter geben würde. Der einzige Verwandte, die er gehabt hatte. Natürlich da war noch sein Vater, aber das war ein anderes Kapitel. Über dieses Problem wollte er heute einfach nicht nachdenken und schob ihn deshalb soweit wie möglich aus seinem Gedankenkreis.
Langsam wurde es immer dunkler und kälter. Gerrit beschloss, zurück nach Hause zu gehen, es nützte ja nichts, dass er sich hier draußen den Tod holte. Mittlerweile war es auch schon gegen 18.00 Uhr, als Gerrit begann, sich langsam und lustlos durch die Straßen nach Hause zu schleichen. In einigen der Wohnungen im Erdgeschoss hätte man beim Vorbeigehen die Familien beim gemeinsamen Abendbrot oder Geschenke auspacken beobachten können, aber Gerrit schaute bewusst weg, um nicht noch melancholischer und trauriger zu werden.
Auf dem letzten Stück zu seiner Wohnung erinnerte er sich daran, dass er ein paar Tage vor dem, was passiert war, Alex zugesagt hatte, morgen Mittag mit ihr in der Armenküche Essen an bedürftige Familien auszugeben. Eigentlich wusste er gar nicht, wie er das bewerkstelligen sollte. Momentan fühlte er sich ganz und gar nicht so, als könnte er morgen den Leuten aufrichtig ein schönes Weihnachtsfest wünschen. Aber er nahm sich vor, wenigstens so gut wie möglich den Fröhlichen zu spielen, wenn Alex überhaupt noch darauf bestand, dass er mit ging. Gesagt hatte sie eigentlich in den letzten Tagen davon nichts oder hatte er einfach mal wieder nur nicht zugehört?
All das ging ihm durch den Kopf, als er die Treppen zu seiner Wohnungstüre hinaufstieg.
4.
Als Gerrit seine Wohnungstüre öffnete, fiel ihm als erstes das Licht auf, dass ihm aus seiner Wohnung entgegen schien und in der nächsten Nanosekunde schoss ihm durch den Kopf „Habe ich vergessen, das Licht auszumachen?“, aber dann roch er etwas, das verdächtig nach einem Gänsebraten roch und er drückte die Türe nun verwundert vollends auf.
Freudestrahlend kamen Alex und Michael aus dem Wohnzimmer auf ihn zugelaufen „Da bist Du ja endlich, Mensch wo warst Du denn so lange?“ fragte Alex und zog ihn ins Wohnzimmer rein. Völlig verdattert und erstaunt sah Gerrit, dass die beiden nicht nur seine Wohnung weihnachtlich dekoriert hatten, sondern auch noch einen kleinen Weihnachtsbaum organisiert hatte. Da Gerrit wortlos und völlig perplex einfach nur im Wohnzimmer stehen geblieben war, haute Michael ihm von hinten eine Hand auf die Schulter „Frohe Weihnachten Gerrit.“ und zog ihm sogleich die Jacke von den Schultern, um sie aufzuhängen.
Alex nahm ihn in den Arm „Komm schon, Kopf hoch, Michael und ich haben beschlossen, dass wir Heiligabend mir Dir feiern, Du hast doch sicher nichts vor oder?“ Gerrit, der überwältigt war von seinen Gefühlen, konnte erneut an diesem Abend seine Tränen nicht zurückhalten und schüttelte einfach nur den Kopf. Er war einfach nur glücklich, solche Freunde zu haben und quetschte wenigstens ein leises „Danke“ heraus.
Nachdem er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, klärten ihn Michael und Alex darüber auf, dass sie es waren, die dafür gesorgt hatten, dass er heute Abend nicht arbeiten musste, damit sie ihn überraschen konnten. Nachdem er zu Hause nicht anzutreffen war, hatten sie einfach den Zweitschlüssel, den er bei Alex deponiert hatte, benutzt, um in seine Wohnung zu kommen. Gerrit sah die beiden glücklich an. Er wusste nicht so recht, wie er ihnen noch danken sollten.
Michael registrierte, dass Gerrit heute endlich mal wieder befreit lächelte und war glücklich, dass die Überraschung, die auf seinem Mist gewachsen war, geklappt hatte.
Die beiden setzen sich auf´s Sofa „Mensch Gerrit, bei Dir im Kühlschrank laufen sich ja die Mäuse die Füße wund. Gut, dass Alex und ich einkaufen waren!“ Gerrit versuchte sich wenigstens halbwegs zu verteidigen „aber ich wollte doch einkaufen gehen, aber wer rechnet denn damit, dass die Läden schon gegen Mittag zu machen.“ Alex und Michael lachten.
Gerrit konnte sich nun doch nicht verkneifen Michael mit einem gekonnte zerknirschten Gesicht anzusehen und übertrieben ängstlich zu fragen „und Alex hat die Gans vorbereitet, die im Ofen schmort?“ Zack, hatte er eine kleine, jedoch nur spielerische Kopfnuss von Alex weg. Michael war froh, dass Gerrit wieder Späße machen konnte und er merkte gleichzeitig, wie sehr er ihre kleinen Kebbeleien vermisst hatte. Grinsend antwortete er „Nee, die haben wir im Laden mal lieber backbereit vorbereiten lassen. An so ein paar Klößen und Rotkohl kann man ja wohl nicht viel falsch machen. Und die Soße machst eh Du!“
Eine Stunde später war die Gans fertig und das Schlemmen begann. Da die drei eine ganze Menge Rotwein dazu tranken, waren sie schnell angeheitert. Nach einer Weile begannen Michael und Alex Gerrit über seine Mutter und seine schönen Erlebnisse mit ihr auszufragen und zu seiner eigenen Verwunderung fiel ihm nicht nur eine ganze Menge dazu ein, sondern er erzählte es auch gerne und ohne dabei immer wieder in Trauer zu verfallen. Nach und nach begriff er, dass ihm das Erzählen bei seiner Trauerbewältigung helfen würde und er begriff ebenfalls, dass die beiden ihm so bereitwillig zuhörten, um ihm dabei zu helfen. Dankbar drückte er sie noch einmal.
Nach dem Leeren der vierten Flasche Rotwein legten sie sich gegen 2.30 Uhr morgens hin, wobei Gerrit Alex sein Bett überließ und sich zusammen mit Michael das Sofa im Wohnzimmer, welches man zu einem gemütlichen Schlafsofa ausziehen konnte, fertig machte und mit ihm hier schlief.
Gegen 11.00 Uhr morgens kam Alex aus dem Schlafzimmer geschossen und musste sich bei dem Anblick, der sich ihr bot, beherrschen, um nicht lauthals zu lachen anzufangen. Schnell rannte sie zurück ins Schlafzimmer und schoss für Robert erst einmal mit ihrem Handy ein Beweisfoto: Gerrit lag friedlich schlummernd in Michaels Arm. Sein Kopf lag auf Michaels Brust, während der einen Arm um Gerrit gelegt hatte und sich wiederum an ihn schmiegte. Ein Bild für die Götter.
Nachdem das Beweisfoto geschossen war, rüttelte sie die beiden gleichzeitig auf, die, als sie merkten, in welcher Position sie hier lagen, sich so schnell wie möglich voneinander wegbewegten. Alex musste sich abwenden, um nicht loszuprusten und bedauerte für sich, dies nicht auch noch mit dem Handy aufgenommen zu haben.
Alle drei begannen nun, sich so schnell wie möglich fertig zu machen, denn bis um 11.45 Uhr mussten sie in der Armenküche zur Einteilung der Arbeiten sein.
Als Gerrit die Türe hinter sich zuschloss, schaute er vorher noch einmal glücklich zu dem Weihnachtsbaum hin und rannte dann schnell hinter Michael und Alex her, die schon zum Wagen vorgegangen waren. Er freute sich nun doch auf die Essensausgabe und insbesondere darauf, den Kindern dort mit einem kleinen Weihnachtsgeschenk, für die die Kollegen schon wochenlang bei Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen betteln gegangen waren, wenigstens eine kleine Freude zu Weihnachten machen zu können.
Es war Dank seiner Freunde doch nicht das trostlose Weihnachten geworden, dass er vorher befürchtet hatte. Die Beiden hatten ihm gestern Nacht weitere Hilfe angeboten für den Fall, dass das Haus seiner Mutter ausgeräumt werden musste und er nahm sich vor, in Zukunft auch einfach mal ihre Hilfe anzunehmen. Denn wieder einmal war ihm klar geworden, dass er sich auf die beiden einfach immer verlassen konnte.
ENDE
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